Kirche:Wenn der Glaube verdunstet

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Welche Bedeutung hat die Kirche noch? Und in welche Richtung entwickelt sie sich in den kommenden Jahren? Über diese Fragen haben sich auch die Leser Gedanken gemacht - mit unterschiedlichem Ausgang.

Wie geht es weiter mit der Kirche? Mit dieser Frage setzen sich auch die Leser kontrovers auseinander. (Foto: Peter Bauersachs)

" Neue Glaubwürdigkeit" vom 21./22. Juli:

Kein Wunder

In oben genanntem Artikel heißt es trotz des Desasters der vielen Kirchenaustritte von 660 000 Mitgliedern 2017: "Die Kirche ist auf dem richtigen Weg." Dem möchte ich nachhaltig widersprechen.

Die Kirche, besonders die katholische Kirche, agiert völlig an ihren Mitgliedern vorbei. Ihre mittelalterlichen Botschaften wirken auf aufgeklärte Menschen des 21. Jahrhunderts eher abschreckend und bewirken nur ungläubiges Kopfschütteln. Wer kann sich heute noch beispielsweise für eine unbefleckte Empfängnis, Auferstehung und andere wilde Geschichten begeistern? Daneben erleben wir immer noch eine Ablehnung von Frauen in höheren Ämtern der katholischen Kirche und die Weigerung, als Ursache der weltweiten pädophilen Entgleisungen das unselige Zölibat zu erkennen. Noch immer wird dieses Problem lieber unter den Teppich gekehrt, als es konsequent gerichtlich zu verfolgen und zu ahnden. Dazu kommen die aus der Sicht vieler Bürger unverständlichen Geldzuweisungen aus Steuermitteln des Staates an die Kirchen.

Es erscheint als Hohn, wenn heute noch Entschädigungen aus der Säkularisation von 1803 an die Kirchen jährlich gezahlt werden (2016: 500 Millionen Euro). Dazu noch alle Gehälter höherer Kirchenvertreter und zusätzlich die Reparaturen von Kirchen und Glocken, natürlich noch neben der Kirchensteuer, die der Staat einzieht. An eine Organisation, die selbst nicht einmal weiß, wie vermögend sie ist, weil sie keine ordentliche Buchführung öffentlich macht und ihre Vermögensverhältnisse selbst nicht kennt.

Wer wie die katholische Kirche nicht einmal Ehepaare verschiedener christlicher Glaubensrichtungen an der Eucharistie teilnehmen lässt, der kann nicht praktizierende Nächstenliebe für sich in Anspruch nehmen und muss sich nicht wundern, wenn die Gemeinden immer kleiner werden.

Prof. H. Jochen Medau, Coburg

Zeichen der Hoffnung

Von den vielen diskutierten Ursachen für die Kirchenaustritte - zu konservativ, zu links, zu politisch, zu entweltlicht - gerät die wichtigste zu wenig in den Blick: der Glaube selbst. Verdunstet dieser, gerät das Fundament ins Wanken. Dabei geht es um die existenziellen Fragen des Lebens: Verschwinden der Mensch und seine Welt einmal im Nichts? Ist irgendwann einmal gleichgültig, ob überhaupt etwas war? Ist es im Trubel des Heute egal, ob einmal alles egal sein wird oder doch nicht? Oder kann man doch auf so etwas wie einen übergreifenden Sinn vertrauen - auf Gott? Mit der Antwort auf diese Frage steht oder fällt Kirche. Ermutigend viele Menschen - sowohl explizit Gläubige als auch Ungläubige - verhalten sich in ihrem Leben so, als sei die Antwort positiv, als gäbe es Sinn: Sie leben nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Menschen, für das große Ganze. Auf die Kirchen wird so viel geschimpft; aber ist nicht gerade ihr Einsatz für Geflüchtete, mit dem sie sich dem skandalösen Fatalismus gegenüber dem Sterben im Mittelmeer entgegenstellen, egal ob ihr gerade deshalb vermeintliche Verteidiger des christlichen Abendlandes den Rücken kehren, Zeichen der Hoffnung für heute und auf ein Morgen?

Jonas Christopher Höpken, Oldenburg

Irritierende Position

Zur Trennung von Kirche und Staat gehört nach meinem Verständnis zweierlei: erstens, dass der Staat die Religionsfreiheit sowie Selbstbestimmung der Kirchen respektiert, und zweitens, dass sich die Kirchen aus der Politik heraushalten, denn dafür haben sie weder die angemessene fachliche Kompetenz noch ein demokratisch legitimiertes Mandat. Sie sollten sich stattdessen auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, nämlich die Seelsorge.

Wenn man sich in Erinnerung ruft, für welche weiter reichenden Themen sich die Kirchen im Verlaufe ihrer Geschichte bereits engagiert haben, würde man sich heute gerne etwas mehr politische Zurückhaltung wünschen. Dies gilt auch für die gegenwärtige sogenannte Flüchtlingsproblematik. Das Recht auf politisches Asyl ist unbestritten. Aber darum geht es doch gar nicht! Vielmehr geht es um eine massenhafte illegale Zuwanderung über den offensichtlichen Missbrauch des Asylrechts.

Die moralisierende Position der Kirchen zu diesem Thema ist aus verschiedenen Gründen irritierend: Erstens wird das Problem weder korrekt dargestellt, noch mit allen relevanten Aspekten zu Ende diskutiert. Zweitens wird es externalisiert, das heißt, die Kirchen halten ihr Vermögen sowie ihre Immobilien schön zusammen und muten der Allgemeinheit die anfallenden Kosten zu. Und drittens finden die zunehmenden sozialen und ethnischen Konflikte nicht in den Kirchen statt, sondern sie müssen von den Bürgern im Alltag ausgehalten werden.

Den führenden Vertretern der Kirchen wird dabei ein Raum in den Medien zugestanden, als würden sie für die Mehrheit der Bürger sprechen. Davon kann jedoch keine Rede sein. Nur etwa die Hälfte unserer Bevölkerung gehört nämlich formal den beiden christlichen Kirchen an, und der Anteil der aktiven Kirchenmitglieder ist noch wesentlich kleiner. Nimmt man als Anhaltspunkt lediglich die Zahl der durchschnittlichen Gottesdienstbesucher, so entfallen auf die beiden christlichen Kirchen in Deutschland 3,2 Millionen (Kinder und Jugendliche eingerechnet). Das sind knapp vier Prozent der deutschen Bevölkerung. Um naheliegenden Unterstellungen vorzubeugen, möchte ich abschließend erwähnen, dass ich selber Kirchenmitglied bin.

Dr. Manfred W. von Glehn, Hinterschmiding

© SZ vom 06.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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