Kindesmissbrauch:Die Opfer sind allein die Kinder

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Eine Leserin kritisiert die Fokussierung auf den Täter in der Berichterstattung der SZ über den Missbrauch in Lügde, eine andere die Wortwahl des Autors. Ein Leser macht sich Gedanken über das Konzept der Resozialisierung.

Zu "Nie ohne Risiko" und "Die Freiheit der Kinder" vom 29. /30. Juni und "Schützen und helfen" vom 27. Juni:

Wenn man liest, wie viele Worte die Süddeutsche Zeitung auf die Darstellung des Täters und seiner Freiheits- und Resozialisierungsgeschichte und wie wenige Worte auf die Darstellung des Opfers und dessen Geschichte verwendet, dann kommt man ins Grübeln. Ist es wirklich wichtiger, dass den Menschen, die sich an Kindern vergangen haben, recht geschieht, als dass Kindern recht geschieht? Eine Gesellschaft, die Rechtsstaatlichkeit dadurch definiert, dass sie sich mit der Schuld des Täters mehr beschäftigt als mit der Unschuld der Opfer, ist auf einem Auge blind. Da wundert es nicht, wenn der Kommentar zum Thema Missbrauch den Eltern auch noch "Die Freiheit der Kinder" empfiehlt. "Es wird immer wieder passieren", schreibt die SZ. Aber sicher wird es das. Menschen werden zu Schaden kommen durch eingestürzte Dächer genauso wie durch fehleingeschätzte Verbrecher. Als Großmutter wundere ich mich nur über die Risikobereitschaft, wenn die Opfer Kinder, die Täter mehrfach einschlägig vorbestrafte Sexualstraftäter und die Gutachter Ärzte sind. Gabi Baderschneider , Sinzing

Der Autor Ralf Wiegand schreibt in seinem ersten Satz, dass "schmerzhafte Monate" bevorstehen. Hier fragt man sich, für wen oder was schmerzhafte Zeiten bevorstehen: für das Gericht, für die Angeklagten oder für die Zuschauer. Vielleicht wollte der Autor ja auch das Wort schwierig benutzen, schmerzhaft ist aus meiner Sicht unangemessen. Nicht angemessen finde ich auch den Hinweis, dass Kindern laut Angaben von Experten nicht automatisch das ganze Leben "versaut" wird. Laut Duden bedeutet das Wort versaut, dass man sich schmutzig gemacht hat. Ich glaube nicht, dass die Kinder sich schmutzig gemacht haben. Und natürlich kann es Kinder geben, die solche Gewalttaten ohne schwere psychische Schäden durchleben können, aber meiner Meinung nach wird durch diese Aussage suggeriert, dass die Kinder, die psychische Schäden davontragen, selbst schuld daran seien könnten. Ingrid Schmitt, Würzburg

Menschen, die Kinder missbraucht haben, haben im deutschen Rechtsstaat die Chance auf Resozialisierung. Dies, so die Autorin Barbara Vorsamer, sei unfassbar für Eltern. Letzteres gilt, wenn das Recht absolut gesetzt wird, nicht nur für betroffene Eltern. In diesem Zusammenhang ist der Satz, dass für die Gutachter mit einer neuerlichen Tat eines Täters nicht zu rechnen war, niederschmetternd, weil unverantwortlich und geradezu obszön. Möglicherweise hätte dieser Staat auch Doktor Josef Mengele, dem NS-Kriegsverbrecher, eine zweite Chance zugestanden. Und dann wird unweigerlich in diesem Kontext das merkwürdig juristisch-philosophische Konstrukt von einer Würde des Menschen ins Spiel gebracht, einer Würde, die die Spezies Homo sapiens sich in ihrer Hybris quasi schon vor der Geburt exklusiv zubilligt. Würde muss nach meiner Überzeugung erworben werden. Der Gedanke der Resozialisierung soll damit keineswegs verworfen werden, muss aber gegenüber dem Aspekt der Sicherheit der Allgemeinheit als absolut zweitrangig behandelt werden. Robert Tomaske, Bochum

© SZ vom 21.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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