Intelligenzfalle:Zweischneidiger Scharfsinn

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Wie wirkt sich eine hohe Intelligenz auf die Er- beziehungsweise auf die Verkennung der Realität aus?

Keine Emotionen verklären die Analyse von Sherlock Holmes. Deshalb wäre der fiktive Detektiv heutzutage der utopische Bürger. (Foto: Arnd Wiegmann/Reuters)

Zu "Prof. Dr. Irrlicht" vom 16./17. Oktober:

Ehrliche Intelligenz

Zweifellos behandelt Sebastian Herrmann ein wichtiges Thema, wenn er den Einfluss besonders hoher Intelligenz auf die Er- oder Verkennung der Realität im Licht der Forschung darstellt. Demnach bilden Emotionen den Ausgangspunkt für die Beurteilung der Realität und dienen besondere intellektuelle Fähigkeiten nur dazu , den eigenen Standpunkt geschickt zu verteidigen.

Allerdings widerspricht dies meiner jahrzehntelangen Erfahrung mit Hochintelligenten. Unter ihnen war sogar einer, der von anderen höchstbegabten Stipendiaten als Genie angesehen wurde. Ich kann mich nicht an eine Person unter ihnen erinnern, die aufgrund ideologischer Barrieren nicht zur Erkenntnis der Realität gelangt wäre.

Natürlich kann es Hochbegabte geben, die ihre Urteile von Emotionen abhängig machen. Doch besitzen im Gegensatz zu weniger Intelligenten gerade Hochbegabte die Fähigkeit, Schein und Täuschung zu durchdringen, raffinierte Methoden der Manipulation zu durchschauen. Die Hochbegabtenforschung hat außerdem ergeben, dass besonders Intelligente viel weniger zum Lügen neigen als "mittlere Intelligenzen", die meines Erachtens großenteils unter politischen Agitatoren zu finden sind. Politiker, die um die Gunst der Masse buhlen, tun dies gewöhnlich zu Lasten ihrer Selbstachtung oder werden zu Zynikern werden.

Karl Seegerer, Hannover

Der Starrsinn als Notwehr

Angesichts gesellschaftlicher Spaltungstendenzen und des Widerstandes gegen wissenschaftliche Erkenntnisse verdient das Thema heute besondere Aufmerksamkeit. Denn heute scheint sachliches Fragen und besonnenes Schlussfolgern weitgehend einer reflexhaften Zustimmung oder Ablehnung zu weichen. Der Artikel zeigt, dass bornierte Dummheit auch auf hohem Intelligenzniveau möglich ist, wenn man lieber Bestätigung sucht, als Ansichten zu revidieren. Das ist verständlich, denn man identifiziert sich mit seinen Meinungen in hohem Maße. Wer stellt sich schon gerne selbst infrage?

Wo Haltlosigkeit in Umbruchzeiten befürchtet wird, erscheint Starrsinn fast wie psychologische Notwehr. Wie objektiv Erkenntnisse sind, hängt davon ab, inwiefern jemand gewillt ist, seinen Standpunkt infrage zu stellen, beziehungsweise sich bemüht, den konträren einzunehmen. Wissenschaftliche Qualität ist von der moralischen Einstellung der Beteiligten abhängig und nicht allein von bestimmten Methoden.

Im Wissenschaftsbetrieb sollte immer eine Auseinandersetzung bezüglich der besten Methoden und ein Austausch von Standpunkten möglich sein. Goethe hat in diesem Sinne den Spruch "Erkenne dich selbst" am Tempel zu Delphi zur Grundlage seiner Naturwissenschaft gemacht, gar zur Lebensmaxime: "Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur Außenwelt, so heiß' ich's Wahrheit. Und so kann jeder seine eigene Wahrheit haben, und es ist doch immer dieselbige." Damit würde man quasi eine produktive "Selbstentlarvung" praktizieren und bemerken, dass der eigene Geist beweglich sein kann wie ein Schmetterling.

Tarik Özkök, Hamburg

© SZ vom 16.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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