Impfpflicht:Viel Wind um wenige Problemfälle

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Die positiven Voten aus der SZ-Redaktion zur obligatorischen Masern-Impfung sind bei einigen Lesern auf Unverständnis gestoßen. Sie stellen vor allem die Verhältnismäßigkeit infrage. Zudem gebe es drängendere Gesundheitsrisiken.

Was brächte eine allgemeine Impfpflicht wirklich? Masernimpfung eines Erwachsenen in Berlin. (Foto: dpa)

Zu den Artikeln " Kleiner Pikser, große Wirkung" vom 7. Mai, " Alle Kinder sollen geimpft werden" und " Zur Vernunft gezwungen" vom 6. Mai sowie zu " Länder fordern eine Impfpflicht" vom 3. Mai:

Angstmacherei

Lassen wir einmal die Hysterie beiseite und prüfen nüchtern: Gibt es aktuell tatsächlich eine Masernepidemie, welche eine staatlich angeordnete Impfpflicht rechtfertigen würde? Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts zeigen eine rückläufige Entwicklung der Fallzahlen (siehe Masernfälle in Deutschland von 2001 bis 2019; Quelle: SurvStat@RKI). Mit populistischer Angstmacherei geht Minister Spahn auf Wählerfang. Mit der Bußgeldandrohung für Eltern, die ihr Kind nicht gegen Masern impfen lassen möchten, das sind laut Erhebung bei den Einschulungsuntersuchungen drei Prozent der Eltern, aktiviert er lediglich Widerstand als Konsequenz auf eine autoritäre Anordnung. Hilfreicher wäre es, den Druck aus der Diskussion zu nehmen, sachlich mit Fakten zu hantieren und vor allem in der Auseinandersetzung mit Andersdenkenden respektvoll umzugehen, statt sie zu verunglimpfen.

Sabine Sonnabend, Inning am Ammersee

Verhältnismäßigkeit fehlt

Alle reden derzeit über Impfquoten und Gefährdung von Menschenleben, aber keiner stellt das Ausmaß der "Bedrohung" dar: Bei einer Impfquote in Deutschland von 97 Prozent (Erstimpfung) beziehungsweise 93 Prozent (Zweitimpfung) reden wir über 2,5 beziehungsweise 5,8 Millionen nicht oder nicht ausreichend geimpfte Menschen in ganz Deutschland. Bei 543 Fällen im Jahr 2018 ergibt sich daher eine Ansteckungsquote von nicht mal 0,01 Prozent bei nicht ausreichend geimpften Personen. Bis zum Erreichen der geforderten Impfquote von 95 Prozent (Zweitimpfung) fehlen 1,7 Millionen Menschen. Ziehe ich davon die angeblich so gestiegene Zahl von aktiven Impfgegnern ab (die sich ja ihre "Gefährdung" selbst ausgesucht haben), bleiben weniger als eine Million Menschen in ganz Deutschland; um diese zu "gefährden", müsste ich allerdings an Masern erkrankt durch ganz Deutschland fahren und ihnen begegnen.

Die Ankündigung von bis zu 2500 Euro Strafe für eine Impfverweigerung ist bei dieser Gefährdungslage völlig überzogen! Fahre ich zum Beispiel mit einem Gefahrguttransporter oder einem voll besetzten Schulbus mit 120 km/h durch eine Ortschaft, gefährde ich aktiv und akut Hunderte Menschenleben, zahle aber laut Bußgeldkatalog gerade mal 760 Euro. Wo ist hier die Verhältnismäßigkeit?

Holger Nachtigall, Sachsenried

Viele teure Impfungen erwartet

Nach der Einführung einer Impfpflicht für Masern durch Jens Spahn und die Großkoalitionäre werden mindestens 700 000 Impfungen erwartet. Laut einer Preisliste des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der Uniklinik Bonn kostet eine Masern-(dreifach)-Impfung satte 50 Euro (Stand von März 2018). Das macht mal eben auf die Schnelle einen Umsatz von 35 Millionen Euro für die Medizinindustrie. Da werden die Sektkorken knallen!

Karsten Neumann, Nürnberg

Impfstoff gibt keine Garantie

Bitte berichten Sie nicht einseitig über die Masernimpfung. Mit dem derzeitigen Impfstoff lassen sich die Masern nicht ausrotten, denn die Rate der primären und sekundären Impfversager ist viel zu hoch. Würde man das untersuchen, würde man feststellen, dass Masernerkrankungen immer wieder von dieser Personengruppe ausgehen.

Vielen Kinderärzten ist dieses Problem bekannt. Man kann keine Strafe androhen, wenn sich jemand weigert, sich mit einem Impfstoff impfen zu lassen, der nicht hält, was er verspricht.

Hanne Lindner, Apothekerin, Berlin

Bevormundung überflüssig

In der ehemaligen DDR war Impfen eine Staatsangelegenheit. Wollen wir wirklich wieder rückständig werden und der Bevölkerung jegliche Entscheidungsfreiheit nehmen? Dass die Bevölkerung nicht selbständig denken darf oder frei ihre Meinung kundtun kann, sondern alles vom Staat vorgegeben wird? Vor 1970 gab es noch keine Impfung, fast alle Kinder haben die Masern durchgemacht. Epidemiologische Daten zeigen, dass 95 bis 98 Prozent der Kinder aus den 1960ern und 1950ern eine Immunität gegen Masern aufweisen. Sie gehören zu jenen, die damals die Krankheit folgenlos überlebt und keine Komplikation erlitten haben.

Dass eine durchgemachte Masernerkrankung eine lebenslange Immunität hinterlässt, ist unumstritten. Menschen, die nach einer Impfung (zunächst) eine Immunität entwickelt haben, können im weiteren Verlauf bei Masernkontakt erkranken - es gibt bei der Masernimpfung also ein sekundäres Impfversagen.

Franziska Riemensberger, Aiglsbach

Ein Minister der Pflichten

Erst spricht sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für eine allgemeine Organspendepflicht aus, dann für eine allgemeine Impfpflicht; vielleicht spricht er sich demnächst ja noch für eine "Blutspendepflicht" aus.

Klaus P. Jaworek, Büchenbach

Grundrecht tangiert

Eltern treibt immer die Sorge um das Wohl ihrer Kinder um. Die meisten lassen aus diesem Grund ihre Kinder, ohne groß nachzudenken, impfen, da es wichtig zu sein scheint. Eltern aber, die sich gegen eine Impfung ihrer Kinder entscheiden, sind in der Mehrzahl viel besser informiert, da sie recherchieren und sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzen. Impfschäden sind nicht wegzudiskutieren - sie existieren einfach. Und dass die Pharmaindustrie, für die das Impfen ein Milliardengeschäft ist, diese bis zuletzt negiert, ist aus deren Sicht verständlich.

Dass nun die Regierung unter Beifall des Koalitionspartners SPD einen so drastischen Gesetzentwurf vorlegt, ist erschreckend. Ohne auch nur im Geringsten die verfassungsmäßigen Fragen, die hier aufgeworfen werden, zu diskutieren, soll hier im quasi militärischen Durchmarsch ein Gesetz durchgepeitscht werden, das einen sehr großen Teil der Bevölkerung (und bei der Radikalität des Entwurfs sicher auch viele dem Impfen unentschieden gegenüberstehende Menschen) verunsichert.

Leopold und Gudrun Henneberger, Grafing

Kita-Verbot für Ungeimpfte

Neben der Forderung einer flächendeckenden Impfpflicht sollten mögliche Risiken von Impfstoffen mitbeachtet werden. Da Impfstoffe Komplikationen hervorrufen können, erscheint mir ein flächendeckender Impfzwang fragwürdig. Eltern sollten weiterhin für ihr Kind entscheiden dürfen; eventuell mit der Konsequenz, dass ungeimpfte Kinder nicht in die Kita dürfen.

Andreas Hagmeier, Hopferau

Erfahrung mit "Impfschaden"

Wieder ein Artikel ohne Fingerspitzengefühl für die vielen Impfschäden, die es ja angeblich nicht gibt. Warum wohl nicht? Weil der Staat sich weigert, sie anzuerkennen. Er müsste sonst eine Rente zahlen. Ich weiß, wovon ich rede: Mutter eines "Impfschadens" (nicht anerkannt), geimpft mit 1¼ Jahren, danach schwerbehindert. Sieben Jahre Kampf um Anerkennung mit vielen Schikanen aller Art, 25 Jahre Kümmern um dieses Kind (ohne Beruf dann) und 99 Euro Rente. Sie bekommen für ein schwerbehindertes Kind nicht mehr als für ein normales Kind anerkannt. Vielleicht sollte sich ein verantwortungsvoller Journalist auch mal um diese Schicksale kümmern.

Erika Lünenborg, Hamburg

© SZ vom 15.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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