Impf-Streit zwischen Söder und Aiwanger:Taktischer Nadelstich auf offener Bühne

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Darf Aiwanger die Regierungspolitik vertreten, obwohl er den Piks verweigert? Ist das eine politische Finte? Und kann Söder sich das bieten lassen? Die Leserinnen und Leser sind da ziemlich geteilter Meinung.

Gemeinsam regieren – getrennt marschieren in der Impf-Frage: Minister Hubert Aiwanger (links) und Ministerpräsident Markus Söder. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

"Wirtschaft kritisiert Impfskeptiker Aiwanger" vom 2. August, "Impf und Schande" vom 30. Juli, "Verstörende Aussagen" vom 19. Juli, Kommentar "Sankt Ungeimpft" vom 29. Juli sowie "Ein Piks als Politikum" und Kommentar "Aiwanger, der Pate der Impfgegner" vom 2. Juli:

Aiwangers große Finte

Unterschätzt den bauernschlauen Aiwanger nicht. Ihm geht's nicht ums Impfen, seine Impfverweigerung ist eine politische Finte, um möglichst viele Wählerstimmen von Reichsbürgern, Impfgegnern und Aluhutträgern zu bekommen. Ziemlich egal ist es dabei, dass jeder Gemeinsinn verloren geht - um Wählerstimmen zu gewinnen, ist eben jedes Mittel recht. Ähnlich wie die CDU Hans-Georg Maaßen braucht, um mit Duldung von Herrn Laschet Wählerstimmen bei den Rechtsaußen zu gewinnen. Einem nachdenklichen Wähler dürften solche Parteien nicht wählbar sein.

Peter Ehrensperger, München

Wo bleibt Söders Machtwort?

Wenn Hubert Aiwanger, immerhin Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident des Freistaates Bayern, im Zusammenhang mit möglichen Nebenwirkungen der Corona-Impfung "die Spucke wegbleibt" und er öffentlich anzweifelt, dass die Impfungen wirken, muss man sich ernsthafte Sorgen um diesen Mann machen. Aber auch um Ministerpräsident Söder, der sich von seinem Vize öffentlich so vorführen lässt. Nicht nur CSU-Wähler lässt hier die Tatenlosigkeit des Ministerpräsidenten etwas ratlos zurück und steigert die Zweifel an seiner Führungsfähigkeit. Ein Machtwort ist längst überfällig!

Sepp Kufner, Ismaning

Faktisch herrscht Impfzwang

Aiwangers Ablehnung des Impfzwangs kommt zu spät. Wir haben diesen Zwang faktisch längst. In einer Zeit, da ich als Geschäftsmann nur noch mit Zwangstests in Hotels gelange, besteht faktisch ein Impfzwang. Anders kann ich meine Arbeit, die mit fast täglichen Reisen durch Deutschland verbunden ist, nicht betriebswirtschaftlich erledigen. Daher fahre ich, während ich diese Zeilen schreibe, gerade zu meiner Impfärztin. Gezwungenermaßen.

Dr. David Schneider-Addae-Mensah, Karlsruhe

Minister schadet der Wirtschaft

Unser stellvertretender Ministerpräsident möchte sich nicht impfen lassen, weil es seine persönliche Entscheidung ist. Nein! Das ist sie nicht. Er muss als prominenter Politiker und Wirtschaftsminister eine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Die Wirtschaft profitiert von den Geimpften, die diese Verantwortung übernommen und dazu beigetragen haben, dass die Infektionszahlen so erfreulich abgesunken sind, weil die Wirtschaft wieder öffnen konnte. Wie kann er sich da arrogant Sonderrechte rausnehmen? Sehr richtig, dass Markus Söder ihn hier so bloßgestellt hat. Wahrscheinlich spekuliert Herr Aiwanger auf Stimmen der ganzen Verschwörungstheoretiker und Impfgegner.

Dr. Eveline Krieger-Dippel, München

Bodenständig und unbequem

Warum darf der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger eine Impfung eigentlich nicht ablehnen? Noch besteht keine Impfpflicht. Garantiert Markus Söder eine Impfung ohne eventuelle Negativfolgen? Es besteht doch auch keine absolute Garantie gegen spätere Langzeitschäden. Hubert Aiwanger als bodenständiger und geerdeter Politiker erscheint manchen Jasagern der CSU etwas unbequem.

Stefan Herb, Roding

Eigennutz über Verantwortung?

Beim Kräfte-Spiel im bayerischen Olymp drängt sich die Frage auf: Steht jetzt der Eigennutz über der Verantwortung? Ich fürchte, nicht wenige Claqueure aus verschiedenen ungeliebten Ecken bilden das Fundament für diese Anti-Impf-Kampagne. Dazu passt auch das Manifest des Möchte-Gern-Bundestag- Parteivorsitzenden zu seinem viel zu lange hoch gehaltenen Polder-Manifest: "Was kümmert mich der Schutz für die stromabwärts liegenden Nachbar-Gemeinden." Ich frage mich, wo steht hier das Wohl seiner Wähler und Wählerinnen? Hier werden doch letztlich gemeinsam beschlossene, nicht unwesentliche Ziele geopfert oder gefährdet, nur damit neue Wähler und Wählerinnen aus ungeliebten Ecken seinen Platz in Berlin ermöglichen. Geht's noch?

Stephan Hansen, Ergolding-Piflas

Applaus für den Standhaften

Ich bin 77 und rufe aus vollem Herzen: Bravo, Herr Aiwanger! Wenigstens ein Politiker, der sein Mäntelchen nicht in den Wind hängt. Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, als Anti-Impf-Esoteriker zu bezeichnen, das ist eine Frechheit. Soweit ich informiert bin, schützt dieser Piks nicht vor einer Infektion mit dem Virus, sondern nur vor einem eventuell schweren Verlauf. Auch können Geimpfte das Virus sehr wohl weitergeben. Und damit komme ich zur Solidarität. Ich behaupte mal: So gut wie keiner, der sich impfen lässt, tut das aus Solidarität. Die Menschen tun es für sich, weil sie wieder reisen wollen, die alte Mutter besuchen, die Enkel wiedersehen, zu Veranstaltungen gehen. Oder sie geben dem Druck von Werbung, Politik, Umfeld nach. Manche tun's sogar für Geld.

Margot Speimann, Wörthsee

Aiwangers Weigerung schadet der Schutz-Strategie

Irritiert vernehme ich als Arzt und Angehöriger einer zwischenzeitlich verstorbenen Pflegeheimbewohnerin, dass sich Herr Aiwanger nicht impfen lässt und dies öffentlich kundtut. So wird von einem Politiker, der eigentlich Vorbild sein sollte, in großem Stil ein Negativbeispiel gesetzt: zum Beispiel gegenüber Pflegefachleuten oder Beschäftigten in der ambulanten Patientenversorgung - diese werden nun in ihrer ängstlich-ablehnenden Haltung gegenüber der Impfung bestärkt. Und werden als ungeimpfte Überträger die ihnen anvertrauten immunkompromittierten Patienten gefährden. Die Impfquote in bayerischen Pflegeheimen ist bereits ohne die Aiwanger-Aussagen optimierungsbedürftig gewesen.

Medizinisch ist aktuell unklar, inwieweit die Impfungen gegen die Delta-Variante bei hochbetagten, immungeschwächten Menschen helfen. Darum ist eine Kokon-Strategie gemäß Robert-Koch-Institut (RKI) wichtig. Herr Aiwanger behindert in seinen Aussagen die RKI-Strategie.

Die bayerische Landesregierung hat im Herbst 2020 wegen der pandemischen Situation drastische, persönliche Freiheiten so stark wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg einschränkende Maßnahmen verfügt: Rigoroses Besuchsverbot in Pflegeheimen außer in der Sterbephase. Dies hat über Monate großes Leiden bei vielen Pflegeheimbewohnern ausgelöst. Viele bayerische Pflegeheimbewohner waren monatelang isoliert in Einsamkeit.

Eine Teststrategie wurde von der bayerischen Landesregierung leider sehr spät, für viele Bewohner zu spät, verfügt. Die drastischen Maßnahmen vom Herbst 2020 waren leider alternativlos wegen damals fehlender Impfmöglichkeit. Jetzt muss jedoch alles getan werden, dass solche menschenunwürdigen Maßnahmen in Pflegeheimen für die Zukunft, konkret: in einer vierten Welle durch die Delta-Variante, nicht mehr nötig werden. Es ist darum verantwortungslos, dass ein Politiker in Regierungsverantwortung die Impfkampagne derart boykottiert.

Dr. med. Matthias Neusser, Uznach/Schweiz

© SZ vom 06.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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