Ihr Ausblick 2022:"Ein Hoffnungsschimmer"

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Die SZ hat ihre Leserinnen und Leser gebeten, noch einmal ins Jahr 2021 zurückzublicken, ihr Durch­halte-Rezept für diese schwere Zeit zu teilen, und lädt auch zu einem hoffnungsvollen Blick in das kommende Jahr 2022 ein.

SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte (Foto: N/A)

Die Süddeutsche Zeitung hat ihre Leserinnen und Leser gebeten, auf das Jahr 2021zurückzublicken, ihr Durchhalterezeptfür diese schwere Zeit zu teilen, und lädt darüber hinaus auch zu einem Blick in das Jahr 2022 ein:

Wiederaufbau

Liebe Redaktion, wir hier im Ahrtal haben für das neue Jahr ein gemeinsames, jedoch wahrlich unfreiwilliges Projekt vor uns: unsere Heimat nach der Flutkatastrophe wieder aufzubauen. Die Welle an Hilfsbereitschaft und Solidarität hat uns in den vergangenen Monaten die Kraft gegeben, dieses Mammutprojekt anzugehen und nach vorne zu blicken. Wir hoffen und wünschen uns, dass wir auch im kommenden Jahr diese Unterstützung von außen bekommen, ohne die es gar nicht geht. Danke, dass Medien wie die Süddeutsche Zeitung mit einer ausgewogenen Berichterstattung dazu beitragen, dass die Aufmerksamkeit für unser Tal hoch bleibt.

Ein erster "Hoffnungsschimmer" aus den ersten Stunden nach der Flut hat unmittelbar mit der Süddeutschen Zeitung zu tun. Während das Tal vollkommen im Ausnahmezustand war, ohne Strom und Wasser, überschwemmt, sämtliche Brücken waren eingestürzt, die Straßen großflächig unterspült oder durch Treibgut verstopft, hat es meine Zeitungsbotin dennoch geschafft, mir am Folgetag die SZ in den Briefkasten zu werfen. Wie sie das geschafft hat, habe ich bis heute noch nicht herausbekommen.

Melanie Contoli, Bad Neuenahr-Ahrweiler

Kleine Fluchten

Im Jahr 2022 werde ich 70 Jahre alt. Ein Alter, in dem man einiges erleben durfte. Niemals aber hätte ich mir eine Pandemie dieses Ausmaßes vorstellen können! Das Jahr 2021 forderte mich immer wieder heraus, nicht zu verzweifeln. Zum Glück blieben meine Kinder und Enkelkinder, Freunde und Freundinnen und auch ich gesund. Ich habe mir immer wieder kleine Fluchten gesucht, in der Natur, alleine und mit Freunden. Dazu hatte ich das große Glück, zweimal zur Familie in Südeuropa fliegen zu können, als sich in beiden Ländern die Pandemielage gerade etwas entspannte. Ja, ich habe gottlob Resilienzen, die mich immer wieder aus Tiefs herausholen.

Mein Plan für 2022 lautet folglich, alles mir Mögliche dazu beizutragen, dass die Pandemie eingedämmt wird, damit auch ich wieder ein einigermaßen normales Leben führen kann; damit die Krankenhäuser und die dort arbeitenden Menschen entlastet werden; damit Kinder wieder frei und unbeschwert leben können; damit ich wieder Schulkindern ohne Einschränkungen helfen kann, den Schulalltag zu bewältigen.

Ich wünsche mir so sehr, dass die Corona-Pandemie im nächsten Jahr nicht mehr das alles beherrschende Thema sein wird! Denn wir haben gemeinsam noch viele sehr drängende und soziale Probleme zu lösen!

Dorothee Derichsweiler, Eichenau

Keine Hemmungen

"Hemmungen sind eine falsche Form des Widerstandes" - dieses Zitat von A. R. Penck hängt seit Jahren in meinem Arbeitszimmer, gewissermaßen als "Deko". Durch Corona hat diese Aussage aber für mich an Bedeutung gewonnen und diesen "Dekocharakter" abgelegt: All die privaten und beruflichen Herausforderungen, die durch die Pandemie entstanden sind, hätte ich mir in normalen Zeiten nicht zu wuppen zugetraut - aber es geht! Hemmungen bzw. das Gefühl, ich schaffe das nicht, habe ich abgelegt - und nehme ich als Stärkung in das neue Jahr mit!

Cornelia Hauswald, Leverkusen

Mein Wunschzettel

Kurz und bündig:

Kein Gehampel, Politik mit Sachverstand, Recht und Freiheit mit der Ampel, nebst Respekt im ganzen Land.

Grundkonsens beim Thema Klima, Biomasse statt Benzin, Menschenrechte bis nach China, keinen Platz für Pandemien.

FIFA-Fairplay ohne Ende, beim Gekicke in Katar, gutes Geld und Helferhände, für die Menschen an der Ahr.

Ohne Covid und Corona, vei den Enkeln fern am Rhein, mit dem Flieger nach Pamplona, oder Roma - muss nicht sein!

Vincenz Keuck, Oerlinghausen

Im Alltag begegnen

Mein größter Wunsch ist es, für vier bis sechs Wochen in derselben Stadt zu leben, in der meine Tochter Tilla zurzeit ihre Masterarbeit schreibt: in Rotterdam. Ihr hin und wieder im Alltag begegnen zu können, ist mein Wunsch. Dabei möchte ich mich separat in einem Airbnb einquartieren. Ich wünsche mir neue Inspirationen für meine Arbeit als Goldschmiedemeisterin, gerne würde ich in Rotterdam in einer anderen Werkstatt arbeiten und mithelfen.

Jutta Kross, Wismar

Unser Durchhalterezept

Heißes Ingwerwasser trinken, mit "Om-Om-Shanti" ein kurzes Versenken in die eigene Atmung und - je nach Zeitfenster - 15 bis 20 Minuten leichte Yoga-Übungen. So sind mein Mann und ich früher schon in schwierige Tage und Arbeitstage gestartet. Der medizinische Beruf hat uns bis zum Äußersten gefordert, und mit diesem Einstieg fanden wir Ruhe und innere Kraft! Als Großeltern von fünf Enkelkindern sind wir auch in Corona- Zeiten gefordert: Ersatzlehrer im Homeschooling, fantasievolle Geschichtenerzähler bei Langeweile und ein lebendes, analoges Kontrastprogramm zu "Minecraft" und "Robolux".

Für die diesjährige Adventszeit hat mein Mann für alle, die uns nahestehen, einen "tönenden Adventskalender" besprochen - die von ihm wunderbar vorgetragenen 58 Kapitel aus J. K. Rowlings "Jack und das Weihnachtsschwein" werden per E-Mail versendet: jeden Abend zwei bis drei Kapitel. Weitere tönende E-Mail-Botschaften von literarischen Kostbarkeiten - von Lindgren bis Böll - sind bereits in Planung und sollen an Silvester, Valentinstag und Ostern versendet werden. Eine liebenswerte Tradition, die sowohl dem Absender als auch den Adressaten ein gerüttelt Maß an Lebensfreude schenken. Und, falls Corona im Advent 2022 noch immer nicht vorüber sein sollte: Vorlesegeschichten für große und kleine Menschen gibt es in unserem Bücherschrank noch zuhauf!

Christian und Micaela Potrawa, Würzburg

Anstehende Probleme

Mein Ausblick in das Jahr 2022 bedeutet für mich einen dankbaren Rückblick auf die Vergangenheit. Unserer Politik traue ich parteiunabhängig keine Lösung der bevorstehenden Probleme zu. Gerade bei der Aufstellung neuer Minister und Ministerinnen muss festgestellt werden, dass fachliche Kompetenz vielfach nicht vorhanden ist.

Anstehende Probleme wie Klimaschutz in Verbindung mit der Flutkatastrophe im Ahrtal, bundesweit einheitliche Bekämpfung von Corona und unter anderem Sicherung der Rente lassen sich nur von Fachleuten im Ansatz lösen. Wo sind diese Fachleute? Mit ewigen, letztendlich ergebnislosen Diskussionen und einer Politikverwaltung anstatt einer politischen Führung mit Weitblick und Verantwortung besteht wenig Hoffnung auf einen positiven Ausblick für 2022.

Stefan Herb, Roding

Düstere Aussichten

Ich bin 72 Jahre alt und denke, dass meine Nachkriegsgeneration viel Glück gehabt hat. Wir haben 76 Jahre Frieden, dafür bin ich unendlich dankbar. Wir haben viel gearbeitet, mussten mit wenig zufrieden sein, konnten aber mit der Zeit einen steigenden Wohlstand erleben, hatten ein erfülltes Berufsleben und bekamen eine Bezahlung, von der eine Familie leben konnte. Auch die Gleichstellung von Mann und Frau scheint endlich Realität zu werden.

Unsere Gesellschaft könnte zufrieden sein, aber ich erlebe seit 30 Jahren einen immer stärker werdenden Trend, der in die negative Richtung geht: Die Schere von Arm und Reich geht immer weiter auseinander, die Ausbeutung der Ressourcen der Erde wird von multinationalen Konzernen im Raubbau betrieben, die Zerstörung der Natur aus Gewinngier nimmt katastrophale Formen an, der alltägliche Egoismus in der Gesamtgesellschaft bis hin zur Rücksichtslosigkeit ist an der Tagesordnung, die befristeten Arbeitsverträge nehmen zu und behindern damit die Zukunftsgestaltung der jungen Leute, die Bildung und die Erziehung unserer Kinder vermittelt nicht das, was sie für ihr Leben mit zahlreichen neuen Herausforderungen brauchen, der Werteverlust einer ganzen Gesellschaft ist inzwischen überall sichtbar, Gewalt gegen Frauen bis hin zum Femizid wird durch die patriarchalischen Strukturen gedeckt, die fehlenden bezahlbaren Wohnungen haben zu einer Wohnungsnot geführt, die mich an die Nachkriegszeit erinnert und leider vieles mehr.

Seit zwei Jahren leben (und sterben) wir mit dem Coronavirus. Ich kann nur hoffen, dass weltweit alle Regierungen aus ihrem globalen Versagen Lehren gezogen haben. Praktisch sieht es aber so aus - wie auch im Leben ohne Corona -, dass reiche Menschen länger leben, da sie sich Gesundheit kaufen können. Wir reichen Industriestaaten können die Impfung gegen Corona kaufen, die armen Länder nicht. Das ist Menschenverachtung und Kapitalismus in seiner widerlichsten Ausprägung.

Mein Ausblick und mein Wunsch für das Jahr 2022: Ich hoffe, dass wir alle erkennen, dass wir eine Menschheit sind und nur eine Erde haben. Teilen mit anderen ist angesagt, und um allen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, ist eine Umverteilung des Reichtums unverzichtbar. In unserem Grundgesetz finden wir auch die entsprechenden Gesetze: Artikel 1 "Die Würde des Menschen ist unantastbar" und Artikel 14 "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. "

Anni Rosenfeld, Kempen

Jeder von uns

Wenn man die Ereignisse der letzten zwei Jahre - die Pandemie, den Klimawandel und die Situation in Krisengebieten - betrachtet, dann könnte selbst ein Optimist zum heillosen Skeptiker werden. Dennoch sollten wir nicht übersehen, dass wir es trotz aller Fehler und Versäumnisse noch in der Hand haben, das Blatt zu wenden. Die Verantwortung liegt dabei nicht allein bei Staat, Wissenschaft und Wirtschaft, sondern bei jedem von uns.

Mein Wunsch - und zugleich mein persönlicher Vorsatz - für 2022 ist, dass wir uns mehr auf unsere Stärken und Tugenden besinnen, auf Eigenschaften wie Verständnis, Respekt und Solidarität. Dies mag einfältig klingen, doch diese Werte begleiten uns seit Menschengedenken. Wenn es uns gelingt, sie wieder in den Vordergrund zu stellen, dann könnte sogar eintreten, was uns die indische Schriftstellerin Arundhati Roy auf wunderbare Weise anvertraut: "Another world is not only possible, she is on her way. On a quiet day, I can hear her breathing."

Winni Schindler, Zaragoza/Spanien

© SZ vom 31.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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