Igor Levit:Kritik am Umgang mit der Kritik

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Die Debatte reißt nicht ab: Eine Entschuldigung der SZ-Chefredaktion zu einer Polemik über den Pianisten sowie eine veröffentlichte Gegenmeinung zum Thema haben abermals viele Reaktionen von Leserinnen und Lesern hervorgerufen. Es geht dabei auch um die Meinungsfreiheit. Was darf gesagt werden und wie?

Pianist mit Auszeichnung: Igor Levit mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik. (Foto: Getty Images)

Zu " Ich bin auch müde" vom 22. Oktober, " In eigener Sache" vom 21. Oktober sowie zu " Igor Levit ist müde", vom 16. Oktober:

Antisemitismus-Verdacht ist unfair

Mit zunehmender Irritation habe ich in den vergangenen Tagen die Diskussion über meine SZ-App verfolgt. An prominenter Stelle entschuldigte sich die SZ-Chefredaktion bei den Lesern und Igor Levit für einen in der SZ publizierten und offenbar skandalösen Beitrag. Dann las ich einen Gastbeitrag von Carolin Emcke zum selben Thema, in dem nicht weniger als "die mächtige jüdische Lobby" und die "Auseinandersetzung mit Auschwitz" angesprochen und somit schwerstes Geschütz aufgefahren wird. Daraufhin bin ich dem Link zum Originalartikel gefolgt, und meine Irritation wandelte sich in Unverständnis und Bestürzung.

Ich verstehe nichts von Klavierspiel und weiß nicht, ja will auch gar nicht wissen, welchen Glauben oder Staatsangehörigkeit die angesprochenen Personen haben. Laut SZ-Autorenverzeichnis ist Herr Mauró offenbar Musikkritiker und hat selbst Klavier studiert. Bei meiner mangels Fachkenntnis unvoreingenommenen Lektüre seines Artikels entstand bei mir der Eindruck, dass Herr Mauró Herrn Levit offenbar für einen bestenfalls mittelmäßigen Pianisten hält, dem aber ungerechterweise mehr Aufmerksamkeit zuteil wird als dem künstlerisch überlegenen Herr Trifonov. Weiterhin habe ich aus dem Text abgeleitet, dass sich Herr Levit offenbar öffentlich gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus positioniert. Herr Mauró unterstellt Herr Levit nun, dieses Engagement diene dazu, von seiner künstlerischen Mittelmäßigkeit abzulenken, er deutet an, es könnte nur eine "Marketingstrategie" sein, die aber dank guter Vernetzung in Presse und Politik erfolgreich ist und ihm sogar das Bundesverdienstkreuz eingebracht hat.

Zusammenfassend wirkt dieser Artikel wie ein persönlicher Angriff eines Pianisten auf einen anderen, der sich unverdienten Erfolgs erfreut. Da es plump und vermutlich lächerlich wäre, das eigene Können über das von Levit zu stellen, gibt man sich als selbstloser Fürsprecher des zu Unrecht verkannten Genies Trifonov. Hauptmotiv des Textes ist aber die von narzisstischem Neid getriebene Demontage Levits.

Man darf diskutieren, ob Herrn Levits politisches und gesellschaftliches Engagement als Vehikel dient, um seine Bekanntheit zu steigern, wie es Herr Mauró empfindet, oder ob Herr Levit im Gegenteil seine durch künstlerische Fähigkeit verdiente Prominenz nutzt, um unter hohem persönlichen Einsatz und Risiko das unerträgliche Erstarken von rechtsradikalem und antisemitischem Denken und Handeln in Deutschland anzuprangern, wie es offenbar der Bundespräsident empfand, als er Herrn Levit dafür das Bundesverdienstkreuz verlieh.

Völlig inakzeptabel ist aber die Behauptung, dass der Text von Herrn Mauró antisemitisch sei oder antisemitische Ressentiments zu schüren versuche. Den Seitenhieb Maurós auf die angebliche gute Vernetzung Levits im politischen und publizistischen Berlin - das, was man in Bayern "Spezlwirtschaft" nennt - als unterschwelligen Hinweis auf die "jüdische Weltverschwörung" umzudeuten, ist geradezu bösartig oder paranoid. Wenn weder Glaube noch Herkunft der Beteiligten eine Rolle spielen - und das sollte der Goldstandard jeder Betrachtung sein -, so bleibt von Herrn Maurós Artikel der Eindruck eines schäbigen, nahezu substanzlosen und persönlichen Feldzugs gegen einen Künstlerkollegen, dem er seinen Erfolg nicht gönnt. Dies hätte die Redaktion verhindern sollen. Aber hier als Gegenwehr die "Auschwitzkeule" zu schwingen, ist ebenso unerträglich und unangemessen, denn es instrumentalisiert den Horror des Holocaust zum Totschlagargument.

Dr. Robert Koburg, Hildburghausen

Taktische Entschuldigung der SZ?

Ich werde langsam sehr müde, wenn ich weiter zusehen muss, wie das Feuilleton der SZ sich einreiht in die allgemeine Lust am Krawall und dem Schüren von Ressentiments. Was bitte hat Herr Mauró mit seinem Artikel über Levit bezweckt, in dem er Klavierspiel mit politischer Stellungnahme aufrechnet? Was soll das? Wieso erwähnt er mit keiner Zeile, welch rechter und antisemitischer Hetze Levit ausgesetzt ist? Wieso duldet die SZ Maurós antisemitische Anspielungen, sein eigenes, diffuses Sofa-Richtertum? Das ist unqualifizierte Meinungsmache. Es macht mich wütend und, ja, auch sehr müde, leider. Die Chefredaktion hat sich zwar entschuldigt, und zum Glück gibt es Frau Emcke, die in der SZ auf Mauró geantwortet hat, aber ein mieser Geschmack bleibt zurück, und das ist das eigentliche Problem: Der Geschmack hat sich anscheinend bereits verschoben und wird in der Zeitung geduldet: wenn es sein muss, entschuldigt man sich halt später. Kommt Ihnen diese Taktik bekannt vor?

Prof. Doris Dörrie, München

Levit selbst kritisiert hart

Mit Fassungslosigkeit habe ich die Bitte der SZ-Chefredaktion um Entschuldigung gelesen. Ich hatte den Artikel "Igor Levit ist müde" von Helmut Mauró gelesen und sehr geschätzt. Klar, die Urteile sind teils hart: "Trifonovs technisches Raffinement, sein perfektes Legato (über das Levit leider gar nicht verfügt)"; "Das ist gut so, denn sonst müsste man ja feststellen, dass das Klavierspiel Igor Levits nicht hinreicht - selbst die aktuelle Einspielung der Beethoven-Sonaten ist eher unerheblich - , um so eine Auszeichnung zu rechtfertigen." Aber wer Musikkritiken kennt, der weiß, dass solche harten Urteile nicht unüblich sind.

Es ist Levit, der sich mit seinen öffentlichen, politischen Äußerungen in diese Arena begeben hat. Seine Äußerungen können hart sein: AfD-Mitglieder seien "Menschen, die ihr Menschsein verwirkt" hätten. "Deutschland hat ein Menschenverachtungsproblem." Helmut Mauró veröffentlicht seine eigene Meinung zu dieser Vermischung aus Musikalischem und "Social Media"-Politischem. Und die Reaktion: Levit werde als "Künstler und Mensch herabgewürdigt", und "Manche empfinden den Text als antisemitisch". Mauró schreibt: "Während der Dirigent Daniel Barenboim als Mittler zwischen Israelis und Palästinensern auch seinen Ruf als Künstler immer wieder aufs Spiel setzt, während Anne-Sophie Mutter Benefizkonzerte spielt und Waisenhäuser in Rumänien baut, beschwört Levit, der womöglich auch sonst Gutes tut, vor allem Tag für Tag die rechten Feinde." Mauró lobt also Barenboim als "Mittler" und couragierten Künstler, der seinen Ruf für eine gute Sache aufs Spiel setzt. Daraus kann man keine Tendenz bestätigen! Es sind erschreckende Beispiele wie dieses, die einer "Aber das wird man doch noch sagen können"-Fraktion in die Hände spielen, indem sie zwischen tatsächlich "unsäglichen" Aussagen und entgegengesetzten, aber völlig akzeptablen Aussagen nicht mehr differenzieren.

Dr. Lorenz Schneider, Lyon/Frankreich

Polemik und Empörung ist gut

Diejenigen, die sich über Maurós Polemik über Igor Levit empören, sollten bedenken, dass ihnen niemand das Recht auf ihre Empörung nehmen kann, aber dass auch sie selbst mit ihrer Empörung nicht zu einer Zensur von Polemik beitragen dürfen. Dass Igor Levit selbst empört ist und sich beleidigt fühlt, ist nur zu verständlich. Aber das muss er in der öffentlichen Debatte aushalten. Die Presse hat nach meinem Verständnis die Aufgabe, die Debatte unter Einbezug aller Meinungen zu beflügeln, so dass wir Leser eigene Schlüsse ziehen können. Insofern ist die Pressefreiheit unser höchstes Gut.

Dr. Jan Peters, Wangerland

Die Strategie gegen rechts fehlt

Dem Artikel von Carolin Emcke ist nichts hinzuzufügen. Ich kann diesen Leserbrief nur schreiben, um mich mit Igor Levit und Carolin Emcke zu solidarisieren. Auch ich stehe dazu, dass jedem Künstler und jeder Künstlerin ein Feedback kritischer Art gegeben werden darf, ja muss, denn das ermöglicht Weiterentwicklung. Aber dann bitte außerhalb von Verurteilungen zu seinen politischen Aktivitäten und jenseits von Querbezügen mit Begriffen wie "Opferanspruchsideologie".

Auch ich bin müde, müde, weil Alltagsrassismus gegen unsere jüdischen und muslimischen, migrantischen Mitbürger an der Tagesordnung ist, im Polizeikorps rechtsradikale Chatgruppen den Innenminister anscheinend kein bisschen zu systemischem Handeln bewegen, Attentate zu einer Reihe von Trauerritualen führen, ohne dass die Angehörigen der Opfer das Gefühl haben, ihnen würde nachhaltig geholfen, sodass sie sicher und integriert hier leben können.

Conny Folger, München

Irreführende Einordnung

Die Entgegnung von Frau Emcke zum Artikel von Herrn Mauró "Levit ist müde" finde ich irreführend. Zu Recht kritisiert Mauró die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Herrn Levit. Es kann ja nicht die pianistische Leistung Levits sein, die diese Verleihung rechtfertigt. Sie hält einem Vergleich mit den Leistungen von Weltklassepianisten wie Sokolov, Trifonov, Barenboim, Schiff und anderen nicht stand. Auch seine abendlichen Streamingkonzerte im Netz (neben vielen anderen Künstlern) sind keine "hervorragenden Leistungen für das Gemeinwesen". Da hat Mauró recht. Die Einordnung von Maurós Artikel als "krawallige Polemik" und die Diffamierung von Mauró als "ahnungslosem Transporteur von Ressentiments" sind daher unzutreffend.

Volker Dohm, Aachen

Meinung ist Pflicht

Die allermeisten Leser lieben diese Zeitung und ihre Autoren. Und Sie haben im Meinungsbereich die Aufgabe und die heilige Pflicht, ihre Meinung zu sagen. Der Artikel von Helmut Mauró über den Pianisten Igor Levit hat nun ein Riesenecho hervorgerufen. Da sollten Sie stolz darauf sein. Ich als Leser bin es. Die Meinungen sind sehr geteilt, eine Mehrheit sieht Levit als ungerecht behandelt. Es ist das Recht jedes Lesers, jeder Leserin, auf die eigene Art darauf zu reagieren. Deshalb muss man nicht einknicken. Kritik muss aufrecht ertragen werden.

Friedrich Roth, Königsbrunn

© SZ vom 28.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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