Handys an Schulen:Entzugs­erscheinungen

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Schüler lieben Handys, doch sie stören den Unterricht. Also verbannen immer mehr Länder sie aus den Klassenzimmern. Muss das wirklich sein? Mit dieser Frage haben sich auch die Leser beschäftigt.

SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte (Foto: Michael Holtschulte)

" Killervirus fürs Hirn" vom 4./5. August, " Nicht ohne meinen Freund" vom 14./15. August sowie weitere Artikel zum Thema Handys in der Schule:

Aufsichtsfreier Raum

In Ihren beiden Artikeln und auch bei der öffentlichen Diskussion um Smartphones in der Schule wird ein grundlegender Aspekt vollkommen unbeachtet gelassen: der fehlende Jugendschutz, wenn Schülern der unkontrollierte Zugang zum Internet mit ihren privaten Smartphones in der Schule gestattet wird. Das private Smartphone gehört zur Privatsphäre des Schülers, wir Lehrer haben kein Recht, auf das Smartphone zu schauen, geschweige denn Zugriff darauf zu nehmen, um zu sehen, welche Inhalte im Unterricht oder aber in der Pause aufgerufen und verbreitet werden. Aufgrund der Privatsphäre der Schüler, die ein sehr hohes, schützenswertes Rechtsgut in unserem freiheitlichen Staat ist, ist der kontrollierende Lehrerblick auf ein privates Schüler-Smartphone verboten.

Wenn wir nun die Nutzung privater Smartphones in den Pausen oder aber im Unterricht freigeben, ermöglichen wir den Schülern, dass sie auch verbotene Inhalte, die unter das Jugendschutzgesetz fallen, aufrufen und einander zeigen. Es ist, als hätten wir in der Schule einen aufsichtsfreien Raum eingerichtet, bei dem die Lehrer draußen bleiben müssen, während die Schüler viele sinnvolle, anregende, aber auch viele verbotene Dinge tun können. In diesem aufsichtsfreien Raum können beispielsweise Enthauptungsvideos oder andere Grausamkeiten oder Gewaltpornos oder volksverhetzende Inhalte geschaut und verbreitet werden.

Antje Pommerening, Karlsruhe, Studienrätin

Heillos überschätzt

Die öffentliche Debatte zum Handy-Einsatz an Schulen ist holzschnittartig, oberflächlich und unerträglich polarisiert sowie in ihrer pädagogischen Bedeutung heillos überschätzt. Zudem machen sich Bildungspolitik und manche sogenannte Medienpädagogen zum Sklaven einer Zeiterscheinung, anstatt das Heft des erzieherischen Handelns selbstbewusst in der Hand zu behalten. Eine Pädagogik mit Augenmaß zielt darauf ab, die Schüler zur unmittelbaren Beschäftigung mit wertvollen Bildungsinhalten anzuleiten.

Lassen wir die Kirche im Dorf: In der Schule geht es nicht darum, wie man ein technisches Gerät benützt, sondern ob man differenziert denken und selbstbewusst handeln kann. Ebenso wenig gehören das Ausfüllen einer Steuererklärung oder die Fähigkeit zum Einsatz von Verhütungsmitteln zum Kerngeschäft von Schule. Interessanter Unterricht hängt primär davon ab, ob ein fachlich kompetenter, gerechter, humorvoller und an den Schülern interessierter Lehrer junge Menschen begeistern kann. Methoden und Medien gehören dazu, haben aber nachrangige Bedeutung für Lernerfolg und Unterrichtsqualität. Statt über Phantomthemen wie digitale Bildung Scheindebatten zu führen, wären weit wichtigere Herausforderungen zu diskutieren, etwa wirksame Ansätze von Persönlichkeitsbildung und Demokratieerziehung; mit den damit verbundenen Kompetenzen wären die Schüler dann auch zum sinnvollen Medieneinsatz in der Lage.

Thomas Gottfried , Freising

Gehirn einschalten

Als jetzt im Ruhestand befindlicher Versuchsingenieur durchlebte ich im Beruf über 42 Jahre bewusst drei Zeitabschnitte: Vor dem Computer, mit Computer und der Datenverarbeitung ohne Internet- und noch die Zeit bis heute mit Internet und Smartphone. Auch im Ruhestand arbeite ich noch viel am Computer, nutze das Internet und das Smartphone, bin also nicht in den 1970er-Jahren stecken geblieben.

Hier versuche ich aus meiner Sicht diese Dinge differenziert zu bewerten. Nach meiner Bewertung wird diesen ganzen Computer-, Internet- und Smartphone- Themen eine viel zu große Bedeutung zugeordnet. Sie sind ein Arbeitsmittel, das wir heute gebrauchen, um schneller und präziser arbeiten und uns informieren zu können. Sie ersetzen oder fördern aber in keinem Fall die menschliche Intelligenz, Kreativität und die alles förderliche Faulheit. Und in diesen Punkten sehe ich die Schwerpunkte für Förderungen. Erfindungen, Ideen und Kreativität entstehen in dem Körperteil, das bei uns zwischen den Ohren angeordnet ist. Die ersten Entwürfe für Neues findet man dann häufig auf Notizzetteln, auf Servietten oder gar im Sand auf dem Boden.

Peter Müller, Hagen

Die Rolle der Eltern

Es gibt kein entwicklungs- oder lernpsychologisches Argument für eine Smartphonenutzung an Schulen. Und auch das "Notfall-Argument" ist ein wohlfeiles. Schule ist Schutz- und Übergangsraum für Kinder auf ihrem Weg von der Familie in die Gesellschaft. Ein Smartphoneverbot auf dem Schulgelände bis zum 16. Lebensjahr sollte also eine Selbstverständlichkeit sein. Es gibt aber leider Eltern, die ihre Erziehungsverantwortung bei Kindern und Jugendlichen nicht wahrnehmen und selber schon keinen Online-Verzicht mehr leisten können. Diese Eltern suchen dann verzweifelt bei mir Rat, wenn ihre Kinder tagelang "zocken", psychische Störungen entwickeln und sich sozial isolieren.

Dr. Thomas Lukowski, München

Großer Schaden

An Frankreichs Schulen müssen die "Kids unter 16 Jahren" künftig auch die Schulpausen "ohne Smartphone durchstehen", wird bedauernd bemerkt. Ein Handyverbot bis zum Ende der Mittelstufe brauche es in Deutschland aber nicht. Hierzulande sollen die Schulen den Umgang der Schüler mit digitalen Medien richten. Was laut dem Lehrer und Autor Arne Ulbricht "ohne ein einheitliches Verbot" aber leider nicht geht. Das beweise "das Chaos an deutschen Schulen, wo jede ein anderes Konzept hat". Dass auch die Eltern zunehmend als Vorbilder ausfallen, zeigt unter anderem die bereits in einigen Bundesländern laufende Plakataktion "Heute schon mit Ihrem Kind gesprochen?" Darauf zu sehen sind Smartphone-fixierte Eltern am Spielplatz oder Esstisch und ihr Kleinkind, das vergeblich auf deren Aufmerksamkeit wartet. 50 Prozent der (Grundschul-)Kinder haben laut Bundesministerium für Bildung und Forschung eine Lernstörung. Die deutsche Bundesregierung ließ die Auswirkungen der Nutzung digitaler Medien auf Kinder in der BLIKK-Studie untersuchen, mit dem Ergebnis: "Die Folge sind Sprachentwicklungs- und Konzentrationsstörungen, körperliche Hyperaktivität, innere Unruhe bis hin zu aggressivem Verhalten." Nach einer aktuellen Studie in der Schweiz mit fast 700 Jugendlichen können hochfrequente elektromagnetische Felder "sich bei der Nutzung von Mobiltelefonen nachteilig auf die Entwicklung der Gedächtnisleistung von bestimmten Gehirnregionen auswirken".

Studien der Krankenkassen DAK und Barmer führen die massiven Anstiege von Burn-out, Kopfschmerzen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen vor allem bei Kindern und Jugendlichen auch auf die Nutzung digitaler Medien zurück. Augenärzte schlagen Alarm angesichts der zunehmenden Kurzsichtigkeit bei Kindern und Jugendlichen.

Trudi Christof, Aßling

Kleines Wunder

In der Feiertagsausgabe berichteten Sie über Smartphones in der Schule und ließen einen Medienpädagogen zu Wort kommen. Er empfiehlt, das Smartphone in den Unterricht zu integrieren, und ich möchte dem zustimmen, denke dabei aber an etwas anderes als Herr Holnick. Ich bin kein Lehrer und erst recht kein Pädagoge - habe aber sechs Enkelkinder und sehe, wie sie ihr iPhone lieben. Ich sage ihnen, dass ich auch gerne mein iPhone nutze, allerdings nie, ohne über das handliche Wunderwerk und seine Details zu staunen. Ich sage meinen Enkeln dann, dass fortgeschrittene Technologie kaum von Magie zu unterscheiden ist und versuche, sie selbst staunen zu lassen. Insgesamt scheint mir ein Smartphone der ideale Einstieg für den gesamten Schulunterricht zu sein.

In dem Wunderding steckt die Wissenschaftsgeschichte von den Quantensprüngen zum Transistor, in ihm steckt die Wirtschaftsgeschichte der Nachkriegszeit mit der Gründung von Silicon Valley und Intel, in ihm steckt die Geschichte der Software und des menschlichen Verlangens nach Kommunikation und so weiter und so fort. Wenn die Schule die Geschichte des Smartphones so anbietet, dass das Technische des Geräts und das Psychische seiner süchtigen Nutzer erörtert werden und Staunen über das magische Instrument einsetzt, kann man von der gewünschten Integration in den Unterricht sprechen.

Ernst Peter Fischer , Heidelberg

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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