Hanau:Auf die Trauer müssen Reaktionen folgen

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Zeichen setzen nach dem Anschlag: Fremd sein ist relativ in der Gebrüder-Grimm-Stadt, in der Zuwanderung schon seit der Reformation Tradition hat und dies zur Blüte der Stadt wesentlich beitrug. (Foto: REUTERS)

SZ-Leser kritisieren, dass aus Anschlägen wie zuletzt in der Gebrüder-Grimm-Stadt kaum Konsequenzen gezogen werden: Einige reklamieren strengere Regeln zur Aufbewahrung von Waffen, ein Leser fordert zu Protesten gegen rechts auf.

Zu " Wenn die Welt nicht zuhören will, zwingt man sie eben dazu" vom 29. Februar/1. März, " Sie sind wieder da" vom 28. Februar, " Tat und Trauer" vom 22./23. Februar sowie " Unter Waffen" vom 21. Februar:

Ausgerechnet diese Stadt

Dass der Fremdenhass ausgerechnet in der Stadt Hanau, die einen großen Teil ihres Wohlstandes und ihrer kulturellen Entwicklung den "Fremden" verdankt, sein hässliches Haupt erhebt, erhöht ungemein das Gefühl des Entsetzens angesichts des Terroranschlags im Zentrum. Nicht zu vergessen: Als die Südniederlande im 16. Jahrhundert an das katholische Spanien fielen, mussten protestantische Flüchtlinge auswandern. Viele von ihnen - Flamen und Wallonen - fanden in Hanau eine neue Heimat. Später kamen die Hugenotten hinzu, die mit viel Kapital und handwerklichem Können die Neustadt gründeten. Mit dem Zuzug der "Refugiés" begann der Aufstieg Hanaus zu einem wichtigen Wirtschaftsstandort. Daran erinnert heute unter anderem der europäische Hugenotten- und Waldenserpfad, der durch die Brüder-Grimm-Stadt führt.

Jeffrey Myers, Frankfurt

Waffen im Verein aufbewahren

Das in Hanau war nach Winnenden der zweite verheerende Anschlag von Männern mit Sportwaffen. Im Internet kann nachgelesen werden, dass es in Deutschland legale Schusswaffen gibt, mit denen laut Statistik jährlich etwa 70 Menschen erschossen werden. Ein sicher großer Teil dieser Schusswaffen gehört Mitgliedern von Schützenvereinen. Völlig unverständlich und unerklärlich ist in diesem Zusammenhang, dass nicht schon längst Gesetze existieren, die vorschreiben, dass Schusswaffen immer nur innerhalb von Schützenvereinen aufbewahrt werden müssen. Und das unter Aufsicht von hierzu geeigneten Personen. Diese Waffen dürfen die Vereinsräume nicht verlassen! Das Argument mancher Vereinsvorsitzenden, dies wäre ein nicht durchführbarer Aufwand, sind völlig abwegig. Es geht hier um Menschenleben und nicht um Kosten, Räume oder dergleichen. Die Aufbewahrung muss kontrolliert und bei Nichtbeachtung sanktioniert werden.

Burkhard Reineking, Gauting

Ausgrenzen ist der falsche Weg

In der Analyse stimme ich dem Terrorforscher Böckler vollumfänglich zu. Allerdings ist in dem Interview auch vieles nicht gesagt. Nimmt man dann noch die Hassplakate dieses Bundesligaspieltages und die darauf folgenden Reaktionen hinzu, so komme ich zu dem Schluss, dass wir als Gesellschaft nicht gut daran tun, in dieser Art und Weise zu reagieren. Wir beantworten den Hass mit Ausgrenzung und Abwertung. So bitter es ist, diese Reaktionen ähneln in Form und Ergebnis der kriminell handelnden und Hass verbreitenden "Gegenseite". "Kranke, Idioten, psychisch Gestörte" oder wie im Interview "der schwache Mann, der sozial ausgestoßene Mann, der bei Frauen nicht erfolgreiche Mann" - wenn Menschen in dieser Art und Weise pauschal herabgewürdigt und gekränkt werden, möchte ich nicht Teil derer sein, die das tun.

Es fehlen mir Sachlichkeit, angemessene juristische Schritte und der politische Wille, auch tätig zu werden. Außerdem empfinde ich es als zu selbstgerecht, andere Menschen pauschal abzuwerten und sich selbst damit indirekt zu überhöhen. In dem hervorgehobenen Satz schreibt die SZ sinngemäß, Attentäter kämen mit der Welt nicht klar. So wird es sein, aber stellen sich da nicht die Fragen, warum nicht? Und was können wir konstruktiv tun?

Die üblichen Reaktionen jedenfalls führen zu mehr Spaltung, zu mehr Hass und lassen Menschlichkeit außen vor. Es entsteht aus diesen Berichten und Reaktionen ein Narrativ, dass Schwache und Kranke ausgrenzt und Starke und Gute auf der vermeintlich richtigen Seite bestärkt, sprich die bestehenden Verhältnisse werden gefestigt und erfahren nicht die zum Gedeihen unserer Gesellschaft so nötigen Verbesserungen.

Detlef Bertram, Wedemark

Rechte Netzwerke aufdecken

Vielleicht können dieses Interview und die spätere Veröffentlichung des Forschungsprojektes doch mithelfen, dass der Erforschung des Rechtsterrorismus in unserem Land auch von der Politik viel mehr Aufmerksamkeit und Geldmittel zugewandt werden (und dass zum Beispiel Projekte gegen rechts nicht auslaufen, weil sie nicht mehr finanziert werden). Die mörderischen Untaten des Rechtsterrorismus haben eben nicht erst mit der Ermordung des Politikers Walter Lübcke begonnen! Und die NSU-Terroristen waren keine Einzeltäter; vielleicht kapiert man jetzt endlich, dass die rechtsterroristischen Aktivitäten Einzelner in Netzwerke und Traditionen eingebunden sind. Diese zu untersuchen und gegen sie vorzugehen, ist wichtiger, als die kaputte Psyche von Einzeltätern zu beleuchten.

Dr. Ulla Schacht, Bremen

Widerstand aufrechterhalten

Es ist inzwischen immer derselbe Ablauf, der aber trotzdem nicht aufhören darf. Ein mörderischer Anschlag rechter Täter führt zu der zu Recht bestürzten Reaktion der Trauer, des Protests und des Ankündigens von Konsequenzen. Diese Reaktionen, immer und in jedem Fall, sind bitter notwendig, und die Demokratie ist es sich selbst schuldig, bei keinem rechten Terrorfall auch nur das geringste Zeichen einer Gewöhnung zu zeigen. Nein, in einer Demokratie verbietet es sich, ihren Feinden das Gefühl zu lassen, sie hätten schon erreicht, dass Demokraten gegen die Grausamkeit und die Brutalität Rechter abstumpfen. Es spielt keine Rolle, ob der oder die Täter, wie offenbar im vorliegenden Fall, psychisch krank sind. Denn auch für den Fall, dass eine psychische Krankheit vorliegen mag, sind Rechte die Stichwortgeber für jene Menschen, die total aufgehetzt und verblendet aus politischen Gründen morden.

Was die Taten Rechter gemeinsam haben, ist der abgrundtiefe Hass, und er erfordert ein konsequentes und kompromissloses, deutschlandweites Vorgehen. Gemeinsam ist braunen Verbrechern in den letzten Jahrzehnten, ob in Mölln, Solingen, Rostock-Lichtenhagen, Halle oder jetzt in Hanau, dass die Täter Toleranz für ein Fremdwort halten und einen tiefen Ekel gegen Minderheiten hegen. Friedliches und fruchtbares Zusammenleben von verschiedenen Kulturen ist jenen Kräften zuwider. Es riecht wieder nach Weimar. Wir dürfen nicht aufhören, bei jedem neuen Anlass die demokratische Gesinnung zu zeigen und mit Inbrunst für Demokratie, Völkerverständigung und gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit einzutreten. Wer es noch nicht gewusst haben sollte, dem muss man sagen, dass der Abbau der Demokratie von innen heraus nach jedem rechten Terrorschlag ein Stück Erfolg hatte.

Manfred Kirsch, Neuwied

Herkunft der Täter nicht nennen

Die Dauerbetroffenheit, aber vor allem die schematischen Reaktionen der Politik nach derartigen Vorfällen führen ja leider zu einer emotionalen Abhärtung. Zwar verzichtet die SZ auf Täternennung (am 21.2.2020, Seite 2), aber dennoch wiederholt sie auch die Formulierung: "Mitbürger mit Migrationshintergrund". Allein diese "Umgrenzung" führt schon - aus der Natur der Grenze - zu Zugehörigkeit und den anderen. Diese sind dann je nach politisch-moralischer Grundhaltung gut oder schlecht, aber auf jeden Fall besonders zu behandeln. Wir sollten es da doch besser mit der Schlauheit des Grundgesetzes (Artikel 3) halten, das nur Staatsbürger mit gleichen Rechten und Pflichten kennt und jegliche Ausgrenzung verbietet. Ähnliches gilt in diesem Sinne nach den Gesetzen unseres Landes auch für Nichtstaatsbürger, die zudem aufgrund der zivilisatorischen Errungenschaft des Gastrechts gut zu behandeln sind.

Dr. Ralf Biering, München

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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