Gesundheit digital:Auf den Datenschutz kommt es an

Lesezeit: 4 min

Bald soll die elektronische Gesundheitsakte kommen. Das geht vielen Ärzten zu schnell, die Umstellung ist aufwendig und muss sicher sein, schon wegen der Schweigepflicht zu Patientendaten. Auch einige Leser sehen das kritisch.

Zu "Gesundheitsapps statt Karteikarten" und "Sorgfalt vor Schnelligkeit", beide Artikel vom 16. Mai:

Modern, aber nötig?

Was ist eine "Gesundheitsapp"? Als jemand, der ein Smartphone weder besitzt noch benutzt - ich höre das Telefon nicht oder nicht ausreichend verständlich -, frage ich mich, was machen die Millionen gesetzlich Krankenversicherten (ich bin auch einer), die auch keines haben, wenn sie sich diese Wunderwaffen nicht beschaffen? Es ist ein Aberglaube, dass die sogenannte Digitalisierung das Heil der Welt und speziell hier der Krankenversicherung ist. Viele dieser "Apps" sind wohl nur von Vorteil für den Produzenten und Anbieter, ein schönes Geschäft, mit dem sogenannte Coolness, Modernität und Ansehen verkauft werden.

Dr. rer.pol. Götz Uebe, Ludwigslust

Sicherheitsbewusste ,,Trödler"

Mit Wurzeln quasi aus dem vergangenen Jahrtausend erlebe ich einen Wandel vom Krankenschein, mit dem man von erheblichem Krankheitsgefühl angetrieben zum Arzt ging, zur praktischen modernen "Gesundheitskarte", handlich wie eine Scheck- oder Kreditkarte. Dieses Format könnte dem Inhaber im Laufe der vergangenen 24 Jahre seit Einführung das Gefühl vermittelt haben, beim Arzt gegen Vorlage der eleganten Karte irgendwie Gesundheit erwerben zu können. Prompt erhöhte sich die Zahl der Arztbesuche seit ihrer Einführung. Aktuell erscheint die "Digitalisierung" als Krönung fantastischer Gesundheitsversorgung, wenn denn endlich alles verkabelt wäre.

Die Heilswirkung der Digitalisierung scheint so durchschlagend zu sein, dass man schon im Vorfeld der Installation festschrieb, die Ärzte, die da trödeln sollten, mit einem Honorarabzug von einem Prozent zu bestrafen. Wie kam denn nur der Gesetzgeber auf die Idee, dass die Ärzte da nicht spuren könnten? Ungefähr 58 000 Praxen zögern mit dem Anschluss ihrer Praxis-EDV (ist übrigens schon digital) an das Netz der Telematik-Infrastruktur. Das sind etwa ein Drittel aller deutschen Praxen. Lauter säumige, desinteressierte und verantwortungslose Ärzte, denen das Höchstmaß an möglicher Gesundheit ihrer Patienten egal ist? Ewig gestrige Damen und Herren, die den Anschluss an die Moderne verpasst haben und mit verstaubten Karteikarten hantieren und von keinem Patienten mehr ernst genommen werden können, wie der Gesundheitsminister spottet?

Wenn Zehntausende Ärztinnen und Ärzte eine gesetzliche Vorgabe nicht umsetzen, dann trödeln sie nicht. Sie haben sich informiert und sind dem zu dem Schluss gekommen, dass Digitalisierung nicht in jedem Format automatisch die Versorgungsqualität erhöht, denn es braucht immer noch einen Arzt, der die Daten sichtet und auf die aktuellen Beschwerden des Patienten bezieht, und das kostet Zeit!

Was das Schicksal der Daten betrifft, betrachtet das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die derzeit für Smartphones vorgesehenen Authentifizierungsverfahren für die elektronische Patientenakte (ePA) als "neuralgischen Punkt für die gesamte nachfolgende Sicherheitskette". Doch der Nutzer ist in keiner Weise aufgeklärt über seine damit verbundenen Risiken. Das ist nicht fair.

In zwei Jahren droht dann die ärztliche Praxis in der Tat zum Trödelladen für "Gesundheitsapps" zu verkommen, in dem der Arzt den Patienten unterstützen soll, diese mit Daten zu bestücken. Die Zeit für Untersuchungen und Therapieplanung dürfte noch knapper werden. Während die gesundheitsfördernde Wirkung solcher Apps im Schnellverfahren überhaupt erst belegt werden muss, besteht das neueste Strafmaß für Ärzte, die dies nicht anbieten wollen, schon bei 3,5 Prozent Honorarabzug. Sorgfalt? Eher nicht.

Warum dieser Druck? Um die Ärzte in ein schlechtes Licht zu rücken? Aber warum sind die so standhaft? Wenden Sie sich vertrauensvoll an Ihren besorgten Arzt!

Dr. med. Alexandra Obermeier, München

Gegen die digitale Therapie

Die Selbstverständlichkeit, mit der angenommen und vermutlich bald erwartet wird, dass jeder ein Smartphone hat und dies für alles Mögliche benutzt, ist unverschämt. Ob meine Ärzte mich demnächst noch ernst nehmen, wenn sie merken, dass sie eine total app-resistente Patientin vor sich haben, die sich einfach nicht digital therapieren lassen will?

Susanne Tillich, München

Warum strafen statt überzeugen

Tatsächlich ist Gesundheitsminister Jens Spahn nur sehr begrenzt zu einem Dialog mit der Ärzteschaft bereit und zögert bei Widerstand nicht lange mit Strafen. Die Telematik-Infrastruktur (TI) und die elektronische Patientenakte (ePA) sind bei seinen Vorhaben zentrale Projekte, auf deren Verzögerung die angeführten Strafen gerichtet sind. Diese Strafen betreffen niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die die TI nicht fristgemäß bis März bestellt haben. Ihnen werden rückwirkend zum Jahresbeginn die Honorare um ein Prozent gekürzt. Mit seinem jüngsten Gesetzesvorhaben will er nun diese Strafen ab April 2020 auf 2,5 Prozent erhöhen und bei fehlendem Input in die dann geplante ePA ab Juli 2020 nochmals auf 3,5 Prozent.

Warum versucht ein Bundesminister bei ausbleibender Mitwirkung der Betroffenen sein Vorhaben mit Strafen statt mit Überzeugung, Dialog und Veränderungsbereitschaft durchzusetzen? Es liegt nicht am "Trödeln", wie Frau Ludwig schreibt, sondern an weitreichender und sehr verbreiteter Kritik an dem mangelnden Datenschutz und dem großen Risiko des "Hacking" von Patientendaten, wenn diese zentral in Servern abgelegt werden.

Beinahe täglich können wir von neuen Datenverlusten an das Netz oder an kriminelle Hacker lesen, und diese Daten bleiben in der Öffentlichkeit oder in nicht autorisierten Händen und werden missbraucht. So hat etwa die Versicherungswirtschaft daran ein immenses Interesse.

Die Ärzteschaft ist nun unverrückbar der Schweigepflicht und dem Datenschutz verpflichtet. Dennoch sollen sie sich widerstandslos dem Anschluss an die vorläufig besonders gesicherten Netze fügen. Und warum vorläufig? Nach dem Angriff auf solche schützenden Strukturen ist vor dem Angriff; es handelt sich um einen permanenten Wettlauf, bei dem die Sicherheit "realistisch betrachtet für digitale Daten ohnehin nicht garantiert, sondern nur optimiert werden kann", wie selbst der Leiter für Informationssicherheit und Datenschutz im Bundesgesundheitsministerium, Holm Diening, im Interview zugibt.

Also: Herr Spahn zwingt die Ärztinnen und Ärzte in die Zwickmühle für Folgsamkeit für seine IT-Projekte oder für Schweigepflicht und Datenschutz und damit gegen die TI, und er bewehrt das noch mit steigenden Strafzahlungen - ein beispiellos respektloser Umgang mit der Ärzteschaft. Deshalb hat Minister Spahn mit dem von ihm selbst provozierten Widerstand von mindestens 20 Prozent der niedergelassenen Ärzte ein Problem.

Dr. med. Dipl. Psych.Harald Tegtmeyer-Metzdorf

© SZ vom 27.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: