Gesundheit:Allmacht und Ohnmacht

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Dass die SZ Aufstieg und Fall des Psychiaters Michael Winterhoff dargestellt hat, freut viele Leser, doch es gibt auch Kritik

Zu "Und alle schauten zu" vom 19. November:

Warum gab es keine Kontrolle?

Der Aufstieg und Fall des Psychiaters Michael Winterhoff hat seine Ursache mit der Zunahme "hyperaktiver Kinder" in den Neunzigerjahren. Das brachte einen Run auf Schulpsychologen mit sich und führte zu Warteschlangen in Kinder-und Jugendpsychiatrien. Ich selbst habe in dieser Zeit ein Praktikum bei einem Schulpsychologen gemacht, habe die Hilflosigkeit der Eltern oder Alleinerziehenden erlebt,die Rat und Hilfe suchten. Als Lehrer in einer dieser Kliniken hatte ich diese Kinder zu unterrichten - mal mit, mal ohne Medikament, meist Ritalin. Ich erlebte sie dankbar fürs Zuhören, für meine Anteilnahme und Beachtung. Zeit und Geduld im Umgang miteinander waren hilfreich.

Die Allmacht der Jugendämter erlebte ich oft als überheblich und kontraproduktiv, dem Wohl des Kindes nicht unbedingt zuträglich. Allein kam man nicht gegen deren "Sicht" an. Ich verstehe die Ohnmacht der Eltern und Kinder dieser Behörde gegenüber. Hier muss eine Kontrolle durch eine unabhängige Instanz ansetzen, die das wirkliche Wohl des Kindes (unter seiner Beteiligung und Mitwirkung) im Blick hat.

Warum hat man den Psychiater Michael Winterhoff allein handeln lassen? Warum hat man ihm kein (Kontroll-)Team aus Menschen, die artverwandte Berufe haben, wie Lehrer, Sozialarbeiter oder Psychologen zur Seite gestellt?

Allein auf sich gestellt, verführt geradezu zum Narzissten, Besserwisser, Gott in Weiß und Guru seiner Zunft und zu dem, wofür er jetzt zur Verantwortung gezogen werden muss!

Harald Dupont, Ettringen

Undifferenzierte Darstellung

Gerade habe ich den Artikel auf Seite Drei der Freitagsausgabe über den Psychiater Michael Winterhoff gelesen. Ich begrüße sehr die mediale Thematisierung des Einsatzes von Neuroleptika wie Pipamperon oder Risperidon bei Kindern. Diese werden auch meiner Erfahrung nach von Kinder- und Jugendpsychiatern mitunter ohne Indikation oder zumindest sehr leichtfertig verschrieben. Auch Michael Winterhoff scheint das systematisch und in breitem Stil so gehalten zu haben. Gut, dass Rainer Stadler und Nicole Rosenbach darüber berichten.

Was allerdings über die Vorgänge in der genannten Einrichtung (und übrigens auch über die möglicherweise auf die Medikation zurückzuführenden Symptome der beiden jungen Männer) berichtet wird, ist undifferenziert und schlecht recherchiert. Listen zur Medikamentenvergabe gibt es in jeder Jugendhilfeeinrichtung, ebenso Kinder mit Mehrfachmedikation (also einem "Medikamentencocktail"). Medikamente sind in der Jugendhilfe immer allgegenwärtig.

Es ist ärgerlich, dass so eine undifferenzierte Darstellung der tatsächlich "organisierten Verantwortungslosigkeit" des Psychiaters Michael Winterhoff und auch anderer Kinder- und Jugendpsychiater wieder einmal mehr die Jugendhilfe in Verruf bringt. Das ist unnötig und der SZ nicht würdig.

Diplom-Psychologin Clara Schneller, Würzburg

© SZ vom 09.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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