Gesichtserkennung:Angst im Kopf

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Statt selbst zu denken, verlassen wir uns auf den Staat. Der soll's richten. Unmündig, findet das eine Leserin. Sie ist sich sicher: Wir haben mehr Angst vor der Freiheit, als Lust sie zu nutzen. Wozu sonst der Schrei nach Kameras für überall?

"Die Stadt als Festung" vom 4. August, "Und täglich grüßt die Kamera" sowie "Die optische Rasterfahndung" vom 2. August:

Der Terror militarisiert

Adrian Lobe erläutert, wie sich europäische Metropolen und ihre Architektur durch Sicherheitsmaßnahmen verändert haben. Dabei verwechselt er aber Ursache und Wirkung. Es stimmt einfach nicht, dass unsere Schutzmaßnahmen den Terror erst heraufbeschworen hätten. Die Präsenz des Militärischen beschwört nicht die Gefahr herauf. Das Militärische ist die Reaktion auf die Gefahr. Die Attentate in Paris, London und Berlin sind doch bekannt. Der Terror ist es also, der den Krieg nach Europa bringt. Deshalb sehen Polizeiwachen architektonisch wie Festungen aus, weil sie, wie in den französischen Banlieues, angegriffen werden. Es gibt dort Gegenden, in die Krankenwagen nicht hineinfahren, weil sie wissen, dass sie attackiert würden. Zu behaupten, dass solche Architektur den Bewohnern als Bedrohung erscheine und sie provoziere, hat die gleiche Qualität wie die These, dass die Architektur des World Trade Centers die Terroristen dazu provoziert habe, sie zum Einsturz zu bringen. Sebastian Noetzel, Hartenholm

Unfrei im Kopf

Bald kann man nur noch mit Maske nach draußen gehen, wenn man Wert auf seine Privatsphäre legt. Da Vermummung verboten ist, muss man sich mit einer Atemschutzmaske gegen den Dieseldreck schützen. Das kann ja wohl nicht verboten werden. Schlimmer als die Gesichtserkennung ist aber die Tatsache, dass viele naive BürgerInnen das gar nicht schlimm, sondern gut finden. Die Leute sind alle nicht im Grundgesetz-Staat angekommen. Sie sind geistig im Metternichschen Feudalstaat zu Hause. Das ist die Wahrheit und das wirkliche Problem. Die Mehrheit hat Angst vor der Freiheit, sie sind lieber grundversorgte beziehungsweise ausgebeutete Sklaven, solange sie wenigstens Fußball im TV anschauen oder Golf spielen dürfen. Dagmar Schön, München

Unter Kontrolle

Ich verstehe und teile den freiheitlichen Reflex, Überwachung nur zu akzeptieren, wenn sie sachlich begründet, streng kontrolliert und im Ausmaß angemessen ist - so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Gewaltkriminalität, schwere und massenhafte Vermögensdelikte und Terrorismus bedrohen unseren Rechtsstaat und seine Bürger massiv. Daher ist es vertretbar, wenn nicht sogar notwendig, dass technische Hilfsmittel, die Straftaten verhindern oder deren Aufklärung befördern können, erprobt und angewendet werden. Selbstverständlich muss jedes dieser Mittel einer strengen verfassungsrechtlichen Kontrolle standhalten. Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Heilmann, Berlin

Dem Reiz widerstehen

Heribert Prantl skizziert zutreffend die Gefahren, die von der jetzt in einem Pilotprojekt am Bahnhof Berlin-Südkreuz installierten optischen Rasterfahndung ausgehen. Es ist immer wieder dasselbe Szenario: Gerade in Wahlkampfzeiten versuchen sich strukturkonservative Politiker durch die Einschränkung von Freiheitsrechten unverhältnismäßig beim Publikum in Szene zu setzen. Hier wird scheibchenweise der Rechtsstaat zugunsten kurzfristiger Wahlinteressen abgebaut. Mit der optischen Rasterfahndung wird jede und jeder erfasst und gilt somit als verdächtig. Die dieser Maßnahme zugrunde liegende Philosophie hat mit dem Geist des Grundgesetzes überhaupt nichts zu tun, sondern realisiert Stammtischparolen. Es ist die Aufgabe der Presse, auf diese Wunden hinzuweisen. Leider kommt vom Koalitionspartner SPD offensichtlich aus wahltaktischen Gründen kein entschiedener Widerspruch. Diejenigen politischen Akteure, welche die optische Rasterfahndung und andere Einschränkungen von Freiheitsrechten wie die Vorratsdatenspeicherung zu verantworten haben, verdrängen hierbei zumindest ein liberales Rechtsstaatsverständnis. Es passt nicht zum liberalen Antlitz einer Demokratie, wenn praktisch alle Bürgerinnen und Bürger durch die massenhafte Überwachung unter einen Generalverdacht gestellt werden. Sicher, der Reiz zur Einschränkung der Freiheit ist in Zeiten des Terrors besonders groß. Doch wer unsere Verfassung ernst nimmt, der darf nicht mit den illiberalen Maßnahmen à la Thomas de Maizière sympathisieren. Manfred Kirsch, Neuwied

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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