Gerhard Schröder:Ein Unbequemer und viel Flurschaden

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Kein Büro und keine Mitarbeiter mehr, ist das die richtige Art, mit dem Altkanzler umzugehen? Viele SZ-Leser haben Bauchschmerzen bei diesem Vorstoß einiger Abgeordneter.

Altkanzler Gerhard Schröder in seinem Berliner Büro. (Foto: REUTERS)

"Stopp für Handlanger" vom 19. Mai, "Schröder ist nur noch als Lobbyist für russische Staatsunternehmen tätig" vom 18. Mai, "Und nun?" vom 21. Mai:

Falsches Symbol

Die Haushaltspolitiker der Ampelkoalition wollen Altkanzler Gerhard Schröder die bisherige Ausstattung, Büros und Mitarbeitende streichen. Das macht mich fassungslos. "Gerhard Schröder nimmt keine fortwirkende Verpflichtung aus dem Amt als ehemaliger Bundeskanzler mehr wahr", erklärten Dennis Rohde (SPD), Sven-Christian Kindler (Grüne) und Otto Fricke (FDP). "Somit entfällt der Grund für die personelle und räumliche Ausstattung des ehemaligen Bundeskanzlers." Nur, woher wollen die drei das wissen? Daher, dass die bisherigen Mitarbeitenden um Versetzung baten? Wohl eher nicht. Auch wenn die drei nicht auf das Engagement des Altkanzlers für russische Firmen eingehen, so ist der Zusammenhang klar. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Mützenich kündigte an, dass die Ampelkoalition "einen eigenständigen Vorschlag für das Büro des Kanzlers a.D. im Haushaltsausschuss auf den Weg bringen" werde. Christian Haase hatte den Vorstoß von CDU/CSU so begründet: "Er kann nicht zwei Staaten dienen beziehungsweise von zwei Staaten alimentiert werden."

Man kann zu der Politik des Altkanzlers stehen wie man will - dem Einsatz in Kosovo, den Hartz-Reformen oder zu seinem Engagement bei Gazprom und Co., aber: Hat jemals jemand gefordert, dass das Büro von Altkanzler Helmut Kohl entfällt (oder "ruhend gestellt wird"), nachdem dessen Schwarzgeldaffäre publik geworden war? Es mag keine Gleichbehandlung im Unrecht geben. Aber was kann Schröder vorgeworfen werden? Und was konnte Kohl dagegen - sogar strafrechtlich relevant - vorgeworfen werden?

Schröder sei "im Schatten seines Freundes Putin zum Schatten seiner selbst geworden. Das ist zwar keine Strafe. Das ist aber eine Katastrophe", so Heribert Prantl. Wie aber nennt man es, wenn die Ampelkoalition nicht mehr weiß, wie sie aus einer misslichen Lage herauskommt? Was für ein Symbol wird in die Welt gesetzt, wenn man in Deutschland so mit verdienten Altkanzlern umgeht?

Marcus Kieper, Berlin

Einbinden statt ausschließen

Eine von Vernunft geleitete Abwägung der Interessen der Bundesrepublik scheint nicht einmal im Bundestag mehr möglich zu sein, Gerechtigkeit gegen einen ehemaligen Bundeskanzler schon gar nicht. Dass Gerhard Schröder kein Kriegstreiber ist, beweist seine Haltung im Irak-Konflikt. Ihm ist es zu verdanken, dass die Bundesrepublik sich nicht an diesem verbrecherischen Krieg der USA und Großbritanniens gegen den Irak beteiligte, was Angela Merkel forderte. Den Angriff Russlands hat er kritisiert. Wenn überhaupt eine Chance besteht, den gegenwärtigen Ukrainekrieg zu beenden, dann durch Verhandlungen. Es ist in höchstem Interesse Deutschlands und der Europäischen Union, dass Schröder akzeptierter Gesprächspartner Putins bleibt. Statt ihm die Mittel zu entziehen, sollte man ihn mit einer Mission beauftragen, um Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine in Gang zu bringen.

Prof. Dr. Rüdiger Scholz, Freiburg

Einfältig

Da soll also ein offensichtlich charakterloser, menschenverachtender Gerhard Schröder einen offensichtlich charakterlosen, menschenverachtenden Wladimir Putin von weiteren Verbrechen abbringen. Geht's noch einfältiger?

Manfred Reiß, Unterhaching

Schädlich fürs Team

Ich verfolge die Debatte um Gerhard Schröder schon lange. Wie tickt dieser Mann? Ist der Parteiausschluss eine richtige Reaktion? Schröder galt bei mir immer als der Macher. Irgendwann rüttelte er am Zaun des Kanzleramtes, später saß er drinnen. Er wusste immer, was er wollte, und setzte es um. Nun aber verrannte er sich. Er hört nicht mehr auf gute Ratschläge ihm Wohlgesonnener. Ich vermute, es handelt sich um eine Art Altersstarrsinn.

Anders als zum Beispiel bei Helmut Schmidt, der mit über 90 noch hochintellektuelle Gespräche führte, machte Schröder eine Art Verwandlung durch. Er ist nicht mehr derselbe "Acker", der einst als "Fußballer" für sein Team kämpfte. Er ist seit Langem Einzelkämpfer, spielt nicht mehr mannschaftsdienlich. Er lebt in einer anderen Welt. Der Ausschluss aus dem Team wäre folgerichtig.

Achim Bothmann, Hannover

Ungesundes "Volksempfinden"

Es sind die gleichen Abgeordneten und Parteien im Bundestag, die für Hunderte Millionen pro Tag Gas aus Russland kaufen lassen, bei den Firmen, in denen Schröder im Aufsichtsrat sitzt, die nun Sanktionen gegen Schröder fordern. Wie heuchlerisch ist das denn? Das sind doch die tatsächlichen "Handlanger" Putins. Und dann wäre da noch Artikel 3 Grundgesetz: "Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." Das sollte auch für Altkanzler gelten; Gerhard Schröder hat meines Wissens keine Straftaten begangen.

Deutschland ist leider auf dem Weg zu einer politischen Debatte, die sich nicht am Grundgesetz, sondern am "gesunden Volksempfinden" orientiert. Das, nicht Schröder, ist der wirkliche Skandal und die wirkliche Gefahr. Übrigens bin ich kein Schröder-Freund.

Dr. Ralph Bürk, Engen

Lex Schröderiensis

Also am besten man vergisst den, der von 1998 bis 2005 Kanzler der Bundesrepublik war, oder verhüllt ihn, weil er sich nach seiner Amtszeit so "danebenbenommen hat". Dann müssen wir es aber richtig machen: Konrad Adenauer (jahrelanges Bespitzeln des politischen Gegners auf Kosten der Steuerzahler), Kurt Georg Kiesinger (dunkle, ungeklärte Vergangenheit) oder Helmut Kohl (Zeugnisverweigerung in einem Strafverfahren). Alle diese Herren haben nach ihrer Amtszeit die per Gesetz ihnen zustehenden Privilegien erhalten. In dem Gesetz steht nicht, dass die Leistungen unter dem Vorbehalt stehen, sich immer wohlfeil zu dem zu verhalten, was spätere Regierungen beschließen.

Für mich hat Gerhard Schröder schon nach den Hartz-IV-Reformen an Zustimmung verloren. Ganz unten war er, als er Putin als "lupenreinen Demokraten" titulierte, was der nie war; genauso wenig war Russland je eine Demokratie. Trotzdem haben alle mit ihm Geschäfte gemacht, auch die, die ihn jetzt "schon immer besser gekannt haben". Und Geschäfte mit anderen "lupenreinen Demokratien" laufen weiter.

Gerhard Schröder konnte nicht ahnen, Angela Merkel auch nicht, dass Olaf Scholz 2022 die "Zeitenwende" ausrufen würde. Und dazu passt das Verhalten des Ex-Kanzlers überhaupt nicht. Ein Gesetz rückwirkend ändern, nur weil ein einziger Nutznießer sich unbotmäßig verhält? Nein, die Gesetzesänderung soll nur einen treffen - also eine "Lex Schröderiensis". Wird Schröder Bruch eines Gesetzes vorgeworfen oder geht es nur um einen groben Verstoß gegen die "guten Sitten"? In ersterem Fall müsste eine Staatsanwaltschaft tätig werden. Welches Prinzip eines Rechtsstaats wird hier angewandt?

Nichts gegen die Kürzung der überbordenden Versorgung unserer Ex-Kanzler/Ex-Kanzlerin und Ex-Präsidenten. Wenn sich eine Mehrheit beim Gesetzgeber findet, die Einhalt gebietet, dann nur zu. Betroffen wären, so habe ich es gelernt, nur die, die nach dem Inkrafttreten aus dem Amt scheiden. Das nachträgliche Streichen von Leistungen, die zum Zeitpunkt der Gewährung Gesetz waren, für einen Unbotmäßigen hat einen üblen Beigeschmack und erinnert mich eher an die Machenschaften eines Diktators, der Konkurrenten entsorgen möchte und ein Gesetz macht, um dies für die Vergangenheit anzuwenden.

Appetitlich ist es nicht, wie sich Gerhard Schröder verhält. Dies gilt aber auch für Alfred Sauter (CSU) und Konsorten, die eine Pandemie nutzen, um ihre Millionengeschäfte zu machen. Das ist legal, weswegen sie das Geld behalten dürfen. Und das Bundesverdienstkreuz, das bei uns im Bundestag im Gießkannenprinzip vergeben wird, dürfen sie auch behalten. So ist es eben in einer Demokratie und einem Rechtsstaat: Alles, was nicht konkret verboten ist, ist erlaubt. Auch wenn das Tun und die, die es tun, zum Erbrechen reizen.

Thomas Spiewok, Hanau

Auch Gutes getan

Bei aller berechtigten Kritik an Schröder wegen seiner Nachkanzlerzeit sei erinnert, dass er auch Gutes getan hat. Der erste Atomausstieg 2000 (Schröder) erfolgte einvernehmlich mit den Kernkraftwerksbetreibern ohne Geldzahlungen, der zweite 2011 (Merkel) durch gesetzlich verordnete Kraftwerksabschaltungen. Jedoch musste Merkel gerichtlich verordnet sechs Milliarden Euro an die Betreiber wegen missglückter Gesetzgebung zahlen.

Schröder verweigerte 2003 die deutsche Teilnahme am Irakkrieg, während Merkel sie forderte. Mit seinen Hartz-Reformen 2002 verringerte er die Arbeitslosigkeit, was Merkel in ihrer Regierungszeit als ihre Leistung verkaufte. Wenn jetzt die Amtsausstattung von Schröder gestrichen wird: Warum wurde die von Kohl in Anbetracht seines unrühmlichen Abgangs nicht gestrichen?

Wolfgang Maucksch, Herrieden

Schaden des Gesinnungsfurors

Der Umgang mit Gerhard Schröder ist sehr bedenklich. Er soll in seinen materiellen Möglichkeiten beschränkt werden, politische Aufgaben wahrzunehmen. Es geht um die Ukraine-Krise und das Verhältnis zu Russland. Dazu hat Schröder eine Meinung, die von der Mehrheit von Politik und Bevölkerung abweicht. So etwas könnte dann sanktioniert werden.

Problematisch sind die Kriterien für einen Entzug der Ausstattung. "Nur wer sich nach dem Abschied aus dem Amt für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland einsetzt, soll das lebenslange Kanzlerprivileg genießen." Wer überprüft das? Der Bundestag? Weder pauschal noch von Fall zu Fall lässt sich das umsetzen, außer mit Dauerbeobachtung - wie bei Verfassungsfeinden. Und wer definiert die Interessen der Bundesrepublik Deutschland? Diese werden in der Regel durch die jeweilige Bundesregierung und ihre politische Agenda wahrgenommen. Daneben aber gibt es die Meinung der vielen anderen (bis zu 50 Prozent). In die Meinungsbildung würde damit massiv eingegriffen. Der Königsweg, der dem Bundestag vorschwebt, läuft auf Wohlverhalten gegenüber den jeweils Regierenden hinaus: Darunter leidet nicht bloß die vom Grundgesetz lancierte Debattenkultur. Das Vorhaben reiht sich ein in den neuerlichen Gesinnungsfuror. Das wäre der Flurschaden der Wut auf Gerhard Schröder: Ist der uns das wert?

Prof. Dr. Klaus Brake,  Berlin

© SZ vom 25.05.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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