Gendergerechte Sprache:Viel zu viel des Guten

Lesezeit: 4 min

Der Verein Deutsche Sprache spricht von "Gender-Unfug", SZ-Autor Schloemann hält dagegen, und einigen SZ-Lesern ist das zu politisch korrekt. Sie reklamieren eine unvoreingenommene Diskussion zum Thema.

Frauensymbolik: Wenn für Gleichberechtigung demonstriert wird, geht es oft auch um Sprache. (Foto: Rene Ruprecht/dpa)

Zu "Die Wanne ist voll" vom 8. März:

Das Binnen-I taugt oft nicht

In den Mittelpunkt seiner Kritik am Text des VDS stellt Autor Johan Schloemann ein untaugliches Argument, die Nähe zur AfD. Es ist das Wesen des Populismus, verbreitete Besorgnisse der Bevölkerung vor seine Agenda zu spannen. Da bleibt es nicht aus, auch einmal eine Besorgnis mit Leuten zu teilen, um die man lieber einen weiten Bogen macht. Und meinen wir denn wirklich nicht alle Geschlechter mit, wenn wir das generische Maskulin verwenden? Tests haben ergeben, dass Probanden tatsächlich zunächst männliche Angehörige der angesprochenen Gruppe assoziieren. Aber ist das relevant? Ich arbeite in einer Branche nahe am Gesundheitswesen in einer Firma, deren leitendes Personal überwiegend weiblich ist. Wir sprechen völlig selbstverständlich von den "Abteilungsleitern" und den "Patienten". In keiner Besprechung kam jemals der Vorschlag, an diesen Stellen gendergerecht zu formulieren. Und dies einfach deshalb, weil keinerlei Missverständnis droht - natürlich sind alle Geschlechter gemeint. Es gibt in dieser Branche übrigens den Beruf Research Nurse, ein Begriff, der eindeutig weiblich assoziiert ist. Die wenigen Männer, die in diesem Beruf arbeiten, können damit leben.

Sprache dient der Verständigung. Wo es primär um Inhalte geht, sollte sie eindeutig sein. Kürzlich sprach im Radio eine Interviewpartnerin konsequent von "UnternehmerInnen". Da das Binnen-I naturgemäß nicht als solches hörbar war und von mir erst assoziiert werden musste, drohte ein Missverständnis. So wird Sprache dysfunktional. Sprache wird nicht durch einen Willensakt verändert, sie verändert sich durch Gebrauch. Wenn es gut läuft, ohne das Zutun von Linguisten oder gar Ideologen. Wo das anders ist, kommt nichts Gutes dabei heraus. Man denke an das Problem, die Anführungszeichen irgendwie mit klingen zu lassen, wenn es in den Sechzigern um die DDR ging. Oder an Konstrukte wie die "friedliebenden Völker" des Realsozialismus. Das "Fräulein" und der "Neger" sind verschwunden, ohne dass dies dekretiert worden wäre. Sie sind verschwunden, weil die Welt sich geändert hat und die meisten Menschen einen gewissen Ekel vor diesen Worten empfinden. So verändert sich Sprache. Sprache folgt den Verhältnissen, nicht umgekehrt. Relevant sind also nicht historisch bedingte Assoziationen, relevant ist die gesellschaftliche Wirklichkeit. Relevant ist, dass alle Menschen die Gelegenheit zur maximalen sozial verträglichen Entfaltung haben.

Die grammatikalischen Hahnenkämpfe zwischen und unter Linguisten und Sprachwächtern sind eben das - Hahnenkämpfe. Die Sprache in einer offenen Gesellschaft wird amüsiert an ihnen vorbeiziehen.

Christian Hilgenstock, Hamburg

Sprache verliert Eleganz

Auch wenn ich die Ansichten des Vereins Deutsche Sprache (VDS) nicht teile, muss ich Ihrem Artikel widersprechen. Sie bemerken zu Recht, dass sich die Sprachwissenschaftler dahingehend uneinig sind, ob ein generisches Maskulinum einem Sprachwandel unterliegt oder nicht. Das zentrale Problem bei Gender-Sternchen ist, dass man versucht in das grammatische System einer Sprache einzugreifen, indem man die Lexik ändert. Dadurch entstehen nicht nur Probleme der "sprachlichen Eleganz", sondern potenziell ungrammatische Konstruktionen. So sind die Pronomina im Singular im Deutschen hinsichtlich des Genus ausdifferenziert und würden sich einem 'Gendering' am Bezugsnomen bei Kongruenz sperren. Testen Sie doch einfach das entsprechende 'Gendering' beim Begriff der Persönlichkeit im folgenden Satz : Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, Karl Jaspers, hat ihre Laufbahn als Psychiater begonnen.

Prof. Dr. Tibor Kiss, Bochum

Nur die weibliche Form

Wie wäre es, das Postulat der Linguistik ernstzunehmen, dass das natürliche und das grammatische Geschlecht nicht gleichzusetzen sind? Und gleichzeitig all denen den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem man sie beim Wort nimmt, dass sie mitnichten Frauen diskriminieren (wollen), nur weil man weiterhin eine, nämlich die männliche Form verwenden möchte? Und der Sprache ihre Eleganz zu lassen und sie nicht mit Umständlichkeit und Wortungetümen zu beschweren, so dass auch eine SZ auf diesem Feld nicht die Waffen strecken müsste? Die Lösung: Verwenden Sie schlicht nur die jeweilige weibliche Form. Bei Ärztinnen, Radfahrerinnen etc. sind immer auch die Männer und alle weiteren natürlichen Geschlechter mit umfasst. Probieren Sie es aus, es ist ganz leicht und tut gar nicht weh. Jeglicher Aufschrei gegen diesen Ansatz würde im Übrigen alle erwähnten Argumente für die alleinige Verwendung der männlichen Form als hohle Phrasen entlarven.

Sabine Frase, Kiel

Political Correctness

Geschlechtsneutrale Ausdrucksweise ist für alle Sprachen, die ein grammatikalisches Geschlecht der Substantive aufweisen, schwer zu verwirklichen. Dass beispielsweise die Uhr weiblich ist, der Tisch aber männlich, die Sonne im Deutschen weiblich, aber anderswo männlich, hat durchaus etwas kindlich-animistisches mit irrationalen Implikationen. Dennoch ist dem politisch-weltanschaulich gewollten Eingriff in die Sprache mit Skepsis zu begegnen, und so verstand ich die Initiative des VDS. Es ist ein schon bekannter Zug der political correctness, Kontroversen mit dem Verweis auf einen rechten AfD-Dunstkreis zu polarisieren, und das macht auch Johan Schloemann in seinem Beitrag. Weitere Disqualifikationsmuster (Hallervorden ist Mitunterzeichner, schrieb mal ein Blödel-Lied, also ist alles Blödelei) zeigen, dass sich manche Hüter der correctness offenbar berechtigt fühlen, ad hominem durchaus unkorrekt zu argumentieren.

Eberhard Schneider, Horn-Bad Meinberg

Auf Hintergründe eingehen

In dem Kommentar von Johan Schloemann zu der VDS-Genderkritik erhebt er sich über die Vertreter des Vereins und wähnt sich auf der richtigen Seite. Es hätte ihm gut angestanden, noch einmal kurz auf den Hintergrund der Entstehung der Gendersprache und deren kleine akademische Gruppe von Protagonisten einzugehen. Diese besteht auf der Forderung, dass nur sie die richtige Position vertritt und wird dabei leider derart dogmatisch, dass kein Raum für eine ausgewogene Diskussion gelassen wird. Sie dominiert mit einer kleinen akademischen Minderheit das Thema. Da wagt nun ein VDS mit dem Argument "Gender-Unfug" in die Öffentlichkeit zu treten. Hoffentlich interessieren sich nun mehr Menschen für dieses sehr brisante Thema.

Edwin Cunow, Gröbenzell

© SZ vom 13.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: