Flutkatastrophe:Helfen, lernen, die Natur respektieren

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Vielen gilt die Flut in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz als dringender Weckruf für mehr Umweltbewusstsein. Der Katastrophenschutz soll reformiert werden. Sirenen und Kirchenglocken halten manche für bessere Warnsysteme.

SZ-Zeichnung: Fares Garabet (Foto: N/A)

Zu " Wir sind vergessen worden" vom 23. Juli, " Trotz Warnung überrascht", " Die Stunde der Landräte" und " Zu früh für die Schuldfrage", alle vom 20. Juli:

Gesetze der Natur besser achten

Die Zerstörung meiner Heimat, des Ahrtals, weckt ein tiefes Bedürfnis in mir, Folgendes auszudrücken. Alles, wirklich alles hat einen unbeschreiblichen Schaden erlitten. Menschenleben wurden dramatisch ausgelöscht. Tiere verendeten, Landschaftsstrukturen wurden zerstört. Die Infrastruktur vieler Ortschaften ist für lange Zeit lahmgelegt. Das Hab und Gut vieler ist bis auf die Grundmauern vernichtet. Die Natur ist aus dem Gleichgewicht und die Kräfte der Elemente entfesselt.

Die Kraft des Wassers schob Lastwagen, Container, Autos und Wohnwagen wie Spielzeugmodelle durch die Straßen und Gärten und ließ sie beim Rückzug wie Mahnmale zu Türmen gestapelt oder auf Gartenzäunen und Mauern hängend zurück. Häuser stürzten ein oder wurden geflutet. Unmengen an Getränkekisten, Flaschen und Fässer schwammen durch die Straßen, ein groteskes Freibier für alle. Die Luft trägt den Gestank von ausgelaufenem Heizöl über das Land. Ein Ölfilm schwimmt farbenfroh schillernd Richtung Rhein, die Ernte vernichtend im überfluteten Flachland.

Mit Tränen in den Augen und Herzschmerzen schaue ich mich vielerorts um und erkenne das Gesicht meiner Heimat nicht mehr. Die Zerstörung des Ahrtals ist keine Kriegserklärung der Natur. Es ist ein Zusammenbruch einer über lange Zeit unterdrückten, bedrängten und ausgebluteten Natur, die sich so ins Bewusstsein aller drängt. Dieses machtvolle Ereignis in Deutschland im Zentrum einer technisierten Industrienation, die über Technik, Wissen und Warnsysteme verfügt, die es eigentlich erlauben, jegliches Leben zu erhalten und zu schützen. Deutschland wirkte so unangreifbar, doch jetzt liegt hier der Mensch neben der Natur am Boden.

Es gilt innezuhalten, zu lauschen und die Welt neu zu denken, ohne die Gesetze der Natur außer Acht zu lassen. Der Mensch ist Teil der Natur. Er gehört ihr. Im Ursprung geplant, handelt es sich um ein von Gott geschaffenes, feines, in allen Einzelheiten abgestimmtes Gleichgewichtsgefüge. Ein Wunderwerk der Schöpfung. Der Mensch als Teil hat sich zu einem giftigen, energieraubenden Parasiten entwickelt und bildet so ein Loch in der Natur mit verheerenden Folgen, wie wir sie jetzt hier vor Ort ganz nah erleben. Doch es ist nicht neu und wird sich immer häufiger und heftiger zeigen, wenn es nicht einen Wandel bei jedem Einzelnen gibt.

Ich wünsche mir eine Zivilisation, die versteht, dass die Natur die Basis ist für ihre Existenz, ohne sie existiert der Mensch nicht. Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, die Welt neu zu denken mit offenen Herzen im reinen positiven Geist. Wir haben, wenn wir an die Kraft in uns glauben, die Weisheit nutzen und mit Liebe zum Leben handeln, eine unbeschreibliche Kraft. Diese Kraft ist in der Lage, alles zum Guten zu wenden. Lasst uns gemeinsam die Welt neu gestalten mit ganz viel Achtung und Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens ohne Betrug und Profitgier mit richtigen Entscheidungen, die dem Einklang von Mensch und Natur dienen und unseren Kindern und Enkelkindern eine Zukunft ermöglichen.

Uschi Wolf, Bad Neuenahr

Debatte über Katastrophenschutz

Man muss kein Hellseher sein, um die Frustration der betroffenen Bevölkerung über die Zuständigkeitsdebatten als eindeutige Kritik an den föderalen Verantwortlichkeiten zu deuten. Die Bundeswehr ist im Zuständigkeitsbereich des Bundes, das THW ist bundesweit organisiert, ab einer gewissen Schadenshöhe brauchen die Länder sowieso die Unterstützung des Bundes. Warum um Himmels Willen wird dann der Katastrophenschutz nicht insgesamt zentral organisiert? Trotzdem kann ja das "Wie" der praktischen Umsetzung vor Ort getroffen werden, keine Frage. Aber die Gesamtverantwortung und die Grundlinie samt Frühwarnsystem wird einheitlich geregelt. Wollen wir das tatsächlich in 16-facher, unterschiedlicher Ausführung haben?

In allen seriösen Umfragen war der Wunsch der Bevölkerung nach einem bundesweit einheitlichen Vorgehen zur Pandemiebekämpfung immer in den Top 3. Es ist für mich eindeutig, dass in der zweiten und dritten Welle der Föderalismus mit seinem fatalen Durcheinander an Maßnahmen Menschenleben gekostet hat. Unnötigerweise. Und die freundlichste Interpretation der Zuständigkeit der Bundesländer bei der Bildung lautet: sehr teure, überflüssige Bürokratie. Ich vermisse eine Generaldebatte darüber.

Wolfgang Herzele, Augsburg

Verbessern statt Schuldige suchen

Ist es nicht so, dass die Natur uns mit solchen Hochwassern zeigt, welchen Platz sie für sich beansprucht? Ich finde, wir sollten darauf hören und nicht mehr dort bauen und beschädigte Gebäude dort nicht wieder herrichten, sondern entfernen. Öffentliche oder gespendete Mittel, sollten nur die erhalten, die bereit sind, hochwassersicher umzuziehen. Wer mit der Natur weiter pokern will, soll das wenigstens selbst bezahlen.

Michael Maresch, München

Aufarbeiten und analysieren

Nach Mitgefühl und Hilfe steht eine gründliche und komplexe Ursachensuche an, die in alle Richtungen beharrlich, ergebnisoffen, differenziert, akribische, kontextbezogen recherchiert. Es geht dabei um die Sache und gleichzeitig um die Demut, "das könnte mir auch passieren". Dann wird man weit mehr als 50, wahrscheinlich über 100 Punkte finden, die sich komplex im negativen Sinne gegenseitig verstärkt haben. Dabei kommen auch Personen, Verantwortung und gegebenenfalls Schuld zur Sprache. Aus solch einer sehr aufwendigen, aber lohnenden Untersuchung können differenziert die richtigen Schlüsse gezogen werden. Alles andere ist meines Erachtens kontraproduktiv.

Wir alle haben in unterschiedlichem Ausmaß die Tendenz, unter Belastungen in frühere, "kindlichere" Erlebens- und Handlungsmuster zu verfallen. Und die Corona-Pandemie plus der Flutkatastrophe stellen enorme Belastungen dar. Deshalb ist es jetzt besonders wichtig, unsere Sichtweisen, Reaktionen, Haltungen, Reaktionen kritisch zu reflektieren und zu hinterfragen. Es ist doch oft so: Die Klugen fragen, wie ist das zu verstehen? Die Dummen fragen, wer ist schuld? Die mit Vorurteilen, Ressentiments, Feindbildern fragen nicht, die glauben zu wissen.

Georg Rasch, Köln

Unkalkulierbarkeit akzeptieren

Viel interessanter als die Schuldfrage finde ich, dass wir es anscheinend nur schwer aushalten würden, wenn niemand schuld sein könnte, wenn die Größe eines Naturereignisses sich einfach der menschlichen Beherrschung entzöge. Genau damit haben wir es aber hier wie an anderer Stelle zu tun. Ob es sich um Erdbeben, Wirbelstürme, Viren oder einfach nur Verkettungen von Zufällen handelt: So wie wir mühsam zu begreifen anfangen, die Natur nicht straflos ausbeuten zu können, müssen wir auch wieder lernen, uns nicht jederzeit gegen alles schützen zu können. Das ist nicht mit Passivität zu verwechseln. Das Wort der Stunde ist Resilienz: Nicht Dämme gegen alles und jedes errichten wollen, sondern sich ebenso selbstkritisch wie produktiv darauf einstellen, dass nichts normaler ist als ein gewisses Maß an Unkalkulierbarkeit.

Axel Lehmann, München

Menschen gemachte Risiken

Bei den Grünen sehen sich einige in ihrem Klima-Alarmismus fast schon reflexartig bestätigt. Ich sehe es anders: Der Mensch selbst ist Schuld und auch die Politik. Meine Gründe: Durch die permanente, jahrhundertealte Begradigung von Flüssen hat sich das Wasser in seiner Fließgeschwindigkeit beschleunigt und parallel haben sich die Wassermengen erhöht, was gerade bei Starkregen sichtbar wird. Parallel wurden Ausweichflächen verringert, die eigentlich schon immer dazu dienten, dem Wasser vorübergehend den Druck zu nehmen. Last but not least wurden und werden immer mehr Flächen bebaut und verdichtet, was nichts anderes bedeutete, als dass die Versiegelung dem Wasser nicht die Möglichkeit bietet, zu versickern, sondern sich in großen Mengen zu sammeln. Und letztendlich hat die Politik immer große Worte aber die notwendigen Investitionen in Deiche und Brücken wie auch andere Infrastruktur blieben aus oder werden nur zögerlich umgesetzt. Der Klimawandel mag auch seine Auswirkungen haben, aber es ist vor allem der Mensch selbst, der sich im Wege steht.

Sven Jösting, Hamburg

Festnetz ohne Strom betreiben

Bis vor wenigen Jahren konnte man ein Festnetztelefon ohne Strom betreiben. Bei Stromausfall war das Telefonieren jederzeit möglich. Das gesamte deutsche Festnetz ist aber nun auf IP-Technologie umgestellt worden. Jetzt braucht man immer Strom wenn man telefonieren möchte. Der Router muss Tag und Nacht an das Stromnetz angeschlossen sein. Bei Stromausfall kann man weder jemanden anrufen noch angerufen werden.

Wenn ich nicht davor gewarnt hätte, dass diese Technik im Ernstfall Menschenleben kosten würde, könnte ich das jetzige Jammern der Politik nachvollziehen. Sinnvoll wäre, dass man entweder die Router mit einem Akku ausstattet oder man splittet, so wie es vorher war, das Telefonnetz und das Internet mit der entsprechenden Hardware (Splitter). Im Katastrophenfall könnte man dann die Bürger, je nach geografischen Lage, über das Telefon warnen oder es können die bereits in Not geratenen Bürger bei der Leitstelle anrufen. Warum wird alles komplizierter gemacht als es tatsächlich ist?

Siegmar Unger, Hollstadt

Wetterläuten wieder einführen

In der aktuellen Überschwemmungskatastrophe mangelte es - wieder einmal - an der wirkungsvollen Alarmierung der Bevölkerung in den gefährdeten Gebieten. Dazu wäre nach den frühzeitigen Warnungen des Wetterdienstes vor den erwarteten extremen Niederschlagsmengen ausreichend Zeit gewesen, aber es fehlte offenbar eine funktionierende Warnkette bis zur sogenannten "letzten Meile". Da sich ein flächendeckendes Warnnetz mit Sirenen erst im Wiederaufbau befinden soll, sollten die Behörden umgehend mit den Kirchen sprechen. Denn das über Jahrhunderte ausgeübte "Wetterläuten" als Warnung vor Unwettern aller Art könnte auch heute noch die lokale Bevölkerung sehr wirksam alarmieren. Solche Vorschläge gab es übrigens schon 1984 nach dem großen Münchner Hagel-Unwetter; es wäre jetzt an der Zeit, sie erneut ernsthaft zu prüfen.

Prof. Dr. Gerhard Berz, Gräfelfing

Priorität auf Umweltschutz jetzt

Die gesamte ernst zu nehmende Wissenschaft weist seit Jahrzehnten darauf hin, dass unsere ungebremst wachsende Wirtschaftsweise und unsere Regierungen offensichtlich auf genau solche Klima-Katastrophen zusteuern. Hitze, Dürren, Überschwemmungen sind die schrecklichen Folgen. Klar, es gibt Bekenntnisse, einzelne Fortschritte, möglichst verzögert, statt dessen: Immer mehr Autos und SUV, auf Steuerzahlerkosten gerne als E-Auto, auf Autobahnen kilometerlang Lastwagen an Lastwagen, Straßenausbau statt weniger, und immer mehr Stromverbrauch?

Jugendliche, die Wälder besetzen, um weiteren Autobahnbau zu verhindern, stören dabei. Oder wie Greta Thunberg mal sagte: "Sie streicheln uns über den Kopf, sagen: Gut, dass ihr euch so einsetzt. Alles wird gut." Wenn die Verantwortlichen nicht grundsätzliche Umweltschutzmaßnahmen ergreifen, wird der menschengemachte Klimawandel uns, so fürchte ich, immer grausamer daran erinnern.

Ulrich Juncker, Krefeld

© SZ vom 02.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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