Flüchtlinge:Keine leichte Aufgabe

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Ein SZ-Leser glaubt, die Menschen wüssten genau was sie tun, wenn sie in eines der Schlauchboote steigen. Ein anderer fordert ein europäisch-politisches Konzept für Seenotrettung. Man dürfe diese Aufgabe nicht NGOs überlassen.

Immer noch machen sich Menschen in nicht seetüchtigen Schlauchbooten auf den Weg nach Europa. (Foto: Fabian Heinz/dpa)

Zu " Auf eigene Faust" vom 16. Juli, " Berlin muss führen" vom 15. Juli und " Salvinis Dienst" vom 13./14. Juli:

Entwicklungsstützpunkte

Immer wieder das gleiche Szenario: aus dem Meer gerettete Flüchtlinge, und danach in der EU mit großer Erbitterung geführter Streit um die Verteilung. Ab und an auch hilflose Rufe danach, "die Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen". Aber da tut sich praktisch fast gar nichts. Klar ist, je mehr Afrikas Jugend ihr Heil in der Flucht sucht, desto mehr wird langfristig die Zukunft der Länder in der Subsahara verbaut. Die Probleme sind bekannt: das nach wie vor hohe Bevölkerungswachstum, daraus folgende Arbeitslosigkeit, mangelhafte Bildung und Gesundheitsversorgung, dazu der Raub der natürlichen Ressourcen durch ausländische Konzerne und Staaten mit Hilfe korrupter Eliten.

Was könnte man dem entgegensetzen? Die EU sollte in den anglo- beziehungsweise frankophonen Ländern südlich der Sahara unter Einbeziehung einheimischer Experten eine Art "Entwicklungsstützpunkte" einrichten. Die Zustimmung der betreffenden Länder müsste mithilfe finanzieller Anreize erreicht werden. Diese Stützpunkte sollten zunächst einmal den gestrandeten Flüchtlingen menschenwürdige Refugien bieten. Doch gleichzeitig sollten diese flankiert werden durch Einrichtungen, die handwerkliches, ökonomisches, administratives und gesundheitliches Wissen vermitteln. Damit das nicht - wie so oft - ins Leere läuft, müssten in der betreffenden Region außerdem Arbeitsplätze geschaffen werden, die auf diese Ausbildung bezogen sind, vielleicht auch mit Unterstützung europäischer Unternehmen. All das sollte von EU-Beauftragten sorgfältig überwacht werden. Ob solche Maßnahmen Erfolg haben, das müsste natürlich erst durch entsprechende Modellprojekte getestet werden. Aber Machen ist Gold, Reden leider nicht mal Silber.

Prof. Ulrich Harsch, Augsburg

Die Kirche muss handeln

Mit der Kolumne von Heribert Prantl bin ich total einverstanden, nur ein Aspekt fehlt mir: die Aufforderung an die katholische Kirche, mehr zu tun, als zu predigen. Hilfe zu organisieren und vor allem auch zu bezahlen. Wenn man sich im Vatikan umsieht, hat man sehr wohl den Eindruck, weltliche Güter sind keine Mangelware.

Elisabeth Hebert, Berlin

Auch nicht für Geld

Europa und auch wir sind jetzt schon überfordert, weitere Migrantenmassen aus Afrika aufzunehmen. Die einzig wirkungsvolle und zwingende Lösung: Migranten dürfen von den Rettungsschiffen gar nicht mehr in Europa anlegen, sondern müssen zum Beispiel im sichereren Tunesien oder Marokko zurückgenommen werden. Dort muss die EU dann neutral den Asylstatus prüfen. Nur dies würde die Signalwirkung haben, dass man auch nicht mehr mit Geld ins gelobte Europa kommt. Und dies würde endlich den Schleppern ihr Handwerk legen.

Dr. Joachim Schimmelpfennig, Frechen

Angst hilft nicht

Ja, für Deutschland, als eines der in jeglicher Hinsicht führenden Kraftzentren nicht nur Europas, besteht eine besondere Verantwortung. Jahrhundertelang haben europäische Kolonialmächte den schwarzen Kontinent einseitig ausgebeutet. Nunmehr zu glauben, der Flüchtlingsstrom aus Afrika sei nur eine vorübergehende Zeiterscheinung, ist eine Illusion. Vielmehr kennen seit Jahrtausenden die freiwilligen Wanderungs- und Fluchtbewegungen nur eine Richtung. Das wird sich so lange verstärken, wie Gewalt und Terror vorherrschen und die wirtschaftlichen Bedingungen für eine stetig wachsende Bevölkerung bei Weitem nicht ausreichen. Hinzu kommt, dass internationale Entwicklungshilfe größtenteils durch Korruption der Machthaber versickert. Dagegen helfen nur Bildung und die Stärkung vor allem der mittelständischen Wirtschaft Afrikas. Was jedoch gleichzeitig in den Sternen steht, sind die Folgen des immer deutlicheren Klimawandels.

Es sind durchweg die Mutigsten, die sich häufig mit finanzieller Unterstützung ihrer Familien auf den gefährlichen Weg nach Europa begeben, um sich und ihren Kindern eine gesicherte Zukunft noch in diesem Leben zu ermöglichen. So wie es viele gerade der Tüchtigsten waren, die einst Europa in Richtung Amerika oder Australien verließen oder von der DDR in den Westen flohen. Die aktuelle Massenflucht aus Afrika den Schlepperbanden anzulasten, beschreibt ein Symptom, nicht aber die Ursachen. Flüchtlinge in nordafrikanischen Asyllagern aufzufangen und dauerhaft zu kasernieren ist ebenso realitätsfremd wie die Hoffnung auf Rückführung. Nur positive Einstellungen aller können dazu führen, die Probleme zu lösen. Weder das Verbreiten von Angst hilft weiter, noch der fatale Irrglaube, wir seien heute schon überfordert.

Jochen Freihold, Berlin

Sie wissen, was sie erwartet

Es handelt sich keinesfalls um "havarierte" Flüchtlinge. Ähnlich irreführend ist die Behauptung, diese müssten aus "Seenot" gerettet werden. Jeder, der ein solches Boot besteigt, befindet sich bereits beim Ablegen in Seenot. Jeder der Insassen weiß, welches Risiko er eingeht. Allerdings sind sie auch dank Internet gut darüber informiert, was sie erwartet, wenn sie Deutschland erreichen. Warum wohl legen Familien ihr ganzes Geld zusammen, um ein Familienmitglied nach Europa zu schicken? Es kann mir doch keiner erzählen, dass sie nicht wissen, wie viel Geld ihnen hier monatlich zur Verfügung steht, dass Rechtsanwälte nichts kosten und wie man sich hier noch durchschlagen kann.

Burkhard Colditz, Sindelsdorf

Kaum Zustimmung

Niemand bestreitet die Pflicht von Kapitänen, Menschen vor dem Ertrinken zu retten, nicht einmal Salvini. Rechtlich und moralisch falsch ist es auch, Retter zu kriminalisieren. Warum gibt es trotzdem keine einhellige Zustimmung zum Handeln der Seenotretter, nicht in Deutschland und schon gar nicht in anderen EU-Staaten? Grund dafür ist meines Erachtens, dass es nicht jedem einleuchtet, dass diejenigen, die ihr Leben besonders wagemutig aufs Spiel setzten, nach ihrer Rettung einen freien und unkontrollierten Zugang nach Europa erhalten sollen, der anderen nicht offensteht. Natürlich wollen Flüchtlinge nicht zurück nach Libyen und natürlich sind die dortigen Zustände unhaltbar, aber warum sind sie dann vor der Abreise genau dort?

Doch wohl deshalb, weil ein chaotischer Staat eine vergleichsweise unkontrollierte Migrationsroute ermöglicht, die sie gerne nutzen. Solange wir uns nicht verpflichtet sehen, alle, die dort auf die Überfahrt warten, abzuholen, ist es schwer einsehbar, diejenigen, die sich in untaugliche Boote setzen, für diesen Schritt zu belohnen und ans Ziel ihrer Träume zu bringen. Da auch nicht alle Geretteten schwanger, krank oder minderjährig sind, kann man verstehen, dass die italienische Regierung ihre Häfen nicht jedem Geretteten öffnet. Letztlich geht es auch bei dieser Diskussion darum, ob jedem Flüchtling eine sichere Fluchtroute nach Europa und nach Ankunft ein rechtsstaatliches Aufnahmeverfahren zu gewähren ist. Die Mehrheit der Europäer und auch der Deutschen scheint mir ja nicht dafür zu sein.

Dr. Stefan Bandel, Deggendorf

Aufgabe der Politik

Menschen in Not, in Seenot, müssen gerettet werden. Punkt. Aber wie bei vielen NGOs basiert auch die Vorgehensweise der Sea Watch auf Naivität. Auf die Fragen, wohin mit den Geretteten und wie es an Land weitergeht, haben sie keine Antwort. Allerdings sind Aufmerksamkeit, Zuwendung und Anerkennung den Rettern erst mal sicher. Dass dadurch gleichzeitig rechte Gruppierungen und Parteien den Diskurs bestimmen, scheint egal zu sein. Ebenso naiv ist die Vorstellung vieler Helfer, dass Flüchtlinge und Migranten, die oft aus streng patriarchalen Gesellschaften kommen und durch erlebte Gewalt traumatisiert sind, sich schnell in gut ausgebildete Fachkräfte verwandeln und sofort unseren Wertekanon übernehmen. Deshalb braucht es ein europäisch-politisches Konzept für Seenotrettung, Einwanderung und Integration. Das sind Aufgaben, die sollte man keiner NGO überlassen.

Gabriele Lauterbach-Otto, Überlingen

© SZ vom 17.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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