Festivalbühnen:Es geht um Musik - aber auch um Geschlechtergerechtigkeit

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4,8 Prozent beträgt die Frauenquote der Bands beim Rockfestival "Rock im Park". Hat die Musikindustrie ein Problem? SZ-Leserinnen und -Leser halten die Frage für nicht gerecht­fertigt - und gehen selbst auf Ursachen­suche.

Die Sängerin Melody Gardot singt auf der Hauptbühne des Elbjazz-Festivals. (Foto: dpa)

"Vier Komma acht Prozent" vom 7. Juni:

Noten statt Quoten

Kaum fünf Prozent der Künstler bei "Rock am Ring" und "Rock im Park" waren weiblich - das muss ja für Misstöne sorgen. Jedoch: Über zwei Spalten einer Zeitungsseite einen vermeintlichen Skandal anzuprangern, passt halt nicht, wenn nebenan über die restlichen vier Spalten und mithin doppelt so groß der München-Gig der Rolling Stones abgefeiert wird - einer Band, die seit nun ja fast schon 60 Jahren Frauen allenfalls als Beiwerk im Hintergrund und für die Aftershow erlaubt. Nicht einmal einen transsexuellen Schlagzeuger haben die sich nach dem Tode von Charlie Watts geholt - frei nach dem Motto "Noten statt Quoten"! Merke: Musik hat kein Geschlecht. Sie gefällt oder gefällt nicht, egal von wem.

Wilfried Skowasch, Meldorf

Der Jazz macht's vor

Gibt es in der Rock-Branche tatsächlich Männer-Cliquen, die in verrauchten Herrenzimmern Pläne schmieden, um Frauen von ihren Bühnen zu verbannen? Ich weiß es nicht, aber der Autor offenbar auch nicht. Er vermutet es einfach und lamentiert entsprechend. Von einem Feuilleton-Aufmacher, der schon auf Seite 1 mächtig Alarm macht, hätte ich mir schon ein bisschen Recherche-Leistung erhofft.

Ich war jedenfalls nicht beim "Rock am Ring" oder "im Park", stattdessen am Pfingstwochenende auf dem Hamburger Elbjazz. Die Jazzcafé-Betreiberinnen Tina Heine und Nina Sauer haben dieses Festival 2010 rund um den Hafen auf Kiel gelegt mit dem klaren Ziel, die Vielfalt des Jazz und angrenzender Genres in ebenso vielfältigen Locations zu präsentieren - Latin, Funk, Dancefloor, NuJazz, Fusion, Ethno, Experimental, Soul, Crossover und diverse weitere Sub-Genres auf einem Werftgelände, in Kirchen, Bananen-Frachtern, Schiffsbauhallen, später auch in der Elphi. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die beiden Frauen die Künstler mit einem Gender-Bias gebucht und Frauen weitgehend ausgeschlossen haben. Mit Tineke Postma, Maria Joao, Anna-Lena Schnabel und Nina Attal gab es immer wieder Jazz-Musikerinnen zu hören, 2019 war Julia Hülsmann sogar "Artist in Residence". Ich habe alle Festivals besucht und immer wieder wunderbare Entdeckungen gemacht.

Aber wenn ich die Programme der vergangenen Jahre mal Revue passieren lasse, komme ich zu der Erkenntnis, dass der Frauenanteil auf den vielen Bühnen bei maximal 15 Prozent gelegen hat. Das war auch beim Elbjazz 2022 nicht anders. Frauen sind nun mal im Jazz noch klar in der Minderheit. Trotzdem war es in diesem Jahr auf andere Weise anders. Musste ja. Neben Top-Act Melody Gardot traten mit Clémence Manachère, Judi Jackson, Lady Blackbird, Leléka, Ranky Tanky, Saskya, Stephanie Lottermoser, Wendy McNeill, Yasmin Williams, Youn Sun Nah und Zara McFarlane mehr Front-Frauen als je zuvor auf die Bühnen. Wenn ich das alles richtig zusammenrechne, komme ich auf eine Quote von 25 Prozent.

Für die jakobinischen 50-Prozent-Eiferer ist das natürlich immer noch zu wenig. Aber ich finde: Nein, es sind verdammt viele, denn wenn ich alle Musiker und Musikerinnen auf allen Bühnen zusammenzähle, liegt der Frauenanteil bei nicht mal 15 Prozent. Den Löwenanteil all dessen, was da im Hintergrund bezupft, beblasen, betrommelt und betastet wird, steuern Männer bei. Wie kommt das? Ende Januar habe ich in der Jazz-Hall der Hochschule für Musik und Theater an der Hamburger Außenalster ein Konzert mit Jazz-Studenten besucht. "Studenten" passt schon besser als "Studierende", weil die neun Musiker auf der Bühne allesamt junge Männer waren. Die machen sich nun auf den beschwerlichen Weg, mit ihrer Musik Geld zu verdienen. Sollen die dann hören "Sorry, kein Bandleader-Gig für dich, wir müssen die Frauenquote vollkriegen!"? Klar, Quote kann man machen, dann müssen eben Bands aus der dritten Reihe ran. Ich fürchte aber, dass dann aufregende Entdeckungen noch seltener werden. Wenn allerdings tatsächlich deutlich mehr Frauen mit Talent die Ochsentour des Studiums und Auftritte auf kleinen Provinz-Bühnen absolviert haben, kann man ja immer noch über eine Quote reden. Aber ich glaube nicht, dass das dann noch nötig ist.

Wenn ich ein Festival besuche, sind für mich die Musik, die Atmosphäre, überraschende Erlebnisse, das Genießen all dessen mit Freunden und Freundinnen das Wichtigste. Geschlecht, Alter, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung der Menschen auf der Bühne kann ich oft gar nicht sehen. Musik, die mich wirklich tief berührt, erlebe ich gern mit geschlossenen Augen. Wenn Melody Gardot lasziv die Bühne begurrt, muss ich sie natürlich wieder aufmachen. Bin ja auch nur ein Mensch.

Martin Seigel, Hamburg

Es passt musikalisch nicht

Allein die vom Autor bereits genannte Tatsache, dass mehr Männer als Frauen Musik machen, würde ein paritätisches Gleichgewicht - auch wenn das nicht im Text explizit gefordert wird - unmöglich machen. Viel schwerer wiegt allerdings der Fakt, dass es sich um ein Festival handelt, das im Grundsatz immer noch Künstler auf die Bühne holt, die gitarrenlastige und mitunter sehr harte Musik spielen. Auch in dieser Richtung gibt es Bands mit Frauen ( Spiritbox, Jinjer, etcetera), doch die aufgelisteten Künstlerinnen des Autors im Artikel machen alle - wirklich alle - Musik, die nichts, aber auch wirklich gar nichts auf dem Festival "Rock am Ring" zu suchen haben. Dafür gibt es andere Festivals, die eine solche Musik spielen.

Leider scheint der Artikel aus einer grundsätzlichen Haltung heraus geschrieben worden zu sein. Das Thema ist wichtig, aber in anderen Bereichen sicherlich sehr viel sinnvoller untergebracht. Zu der Verteilung des Geschlechts auf der Bühne hätte man ebenfalls die Verteilung der Besucher des Festivals recherchieren können. Ich selbst kenne keine Zahlen, aber aus eigenen Erfahrungen von vielen Jahren "Rock am Ring" kann ich mit vorstellen, dass die Verteilung der Geschlechter der Besucher nicht mal annähernd paritätisch ist.

Dario Foese, Köln

Als Künstlerin benachteiligt

Danke! Ihren Artikel zu lesen, war wohltuend, eine Genugtuung - aber auch bitter. Ich schreibe den ersten Leserbrief in meinem nun 50-jährigen Leben, weil ich danke sagen will, weil ich allen Frauen und Mädchen da draußen mit ähnlichen Erfahrungen sagen will, dass auch ich weiß: "Alleine unter Jungs" ist nicht so toll, wie es vielleicht klingt. Meine Lust und meinen Frust auf der Bühne bekam ich in den 90ern, als ich als E-Gitarristin in verschiedenen Bands auf verschiedenen Bühnen spielte. Ich spielte gerne laut, konnte auch brav, war wohl auch etwas wild und suchte die Anerkennung meiner Mitmusiker der lokalen Szene und wollte vom Publikum als Musikerin anerkannt werden.

Es waren damals gar nicht so viele Auftritte, trotzdem gab es zu fast jedem Auftritt für mich noch eine Anekdote extra obendrauf: Da waren natürlich die "Auszieh'n"-Zurufe aus dem männlichen Publikum, die ich wegzulächeln versuchte. Schon möglich, dass wir auch Auftritte bekamen, weil wir gleich mit zwei Frauen in einer Band spielten (nicht: sangen!). Trotzdem musste ich mir einen Spruch anhören, wenn ich wie alle anderen in Shirt und langer (!) Jeanshose auf die Bühne ging. Mein eigener Drummer drohte mir halb im Scherz, mir Zehn-Zentimeter-Absätze unter meine Boots zu tackern. Herrlich war auch der verpasste Soundcheck bei einem kleinen Festival, weil mir die Ordner nicht glaubten, dass ich zur Band gehöre - der Sänger war ja schon da! Ich fluchte und quengelte, nichts half.

Die anderen Mädels am Eingang zwinkerten mir zu und meinten, dass sei ja ein netter Trick. Erst, als meine Band mich am Eingang abholte, durfte ich die Bühne betreten.

Ich dachte, mein Musikstudium und mein Ehrgeiz an meinem Instrument würde mir auch etwas von der Anerkennung bringen, die ich doch so gerne wollte. Aber eine Gitarristin, die auch Noten lesen kann, führte Backstage bei den "Jungs" auch nicht immer zur erhofften Entspannung. Stattdessen erhielt ich oft das Feedback: "Du spielst wie ein Kerl." Weil ich den Spruch oft kassiert hatte, legte ich mir auch einen Spruch zurecht: "Das kommt dir nur so vor, da du wie ein Mädchen spielst. Ich spiele wie eine Frau!"

Ich schäme mich heute noch für den Spruch. Nicht, weil mir die Jungs leid tun, sondern weil auch ich Vorurteile gegenüber Mädchen an der Gitarre hatte. Nun ja, da war Nicole ... Heute denke ich manchmal, was aus mir hätte werden können, wenn ich das Angebot mit dem "Musikantenstadl" und dem Dirndl doch angenommen hätte oder wenn ich dem Manager der Girls-Band in Berlin doch ein Foto von mir geschickt hätte. Ich wurde sogar angefragt, ob ich bei der Musikmesse vorführe. Traute mich aber nicht.

Heute, 30 Jahre später, hat sich nicht so viel verändert. Wenn ich einen Musikladen mit Kaufabsicht betrete und mir eine Beratung erhoffe, muss ich wie vor 30 Jahren erst in der Gitarrenecke vorspielen, damit ich auch beraten werde. Auf meine Anfrage nach einem Zusatz zu meiner Gitarrenanlage muss ich mir in einem der größten Musikhäuser in Deutschland die Fragen gefallen lassen: "Was wollen Sie denn damit ...?" Dann erkläre ich brav, was ich vorhabe. Was nicht verrückt war, ich hatte zuvor lang überlegt, recherchiert. Merke, dass ihm meine Erklärungen auch nicht helfen und kassiere einen erschöpften Blick. Dann werde ich wie nebenbei stehen gelassen, und ein sehr junger Mann hinter mir wird nun fröhlich beraten, darf sich setzen und bekommt später zu seiner ersten Gitarre auch noch einen Kaffee.

Ich war eigentlich immer ein bisschen stolz darauf, mit den "Jungs" mithalten zu können. Heute stelle ich meine eigene E-Instrumentalmusik auf Online-Plattformen und überlege immer wieder, ob ich nicht so tun sollte, als ob ich ein Kerl sei. Jetzt bin ich dort als Frau zu erkennen.

Claudia Pott (alias "MissLingen"), Kassel

Es gibt auch andere Bühnen

Mit Erstaunen und Verwunderung schaue ich auf das Titelbild der SZ: ein Foto einer feiernden Menge mit der anklagenden bis rührseligen Überschrift "Allein unter Jungs". Noch haarsträubender ist der dazugehörige Artikel auf Seite 9. Falls der Verfasser dieses Artikels tatsächlich anprangern möchte, dass in der Musikbranche zu wenige Frauen "unterwegs" sind, empfehle ich ihm, das nächste Mal über Auftritte von Chören zu berichten, die ja, wie jedermann/-frau weiß, zu einem großen Teil aus Frauen bestehen und oft von Frauen geleitet werden, zum Beispiel von Andrea Fessmann, Ricarda Geary etcetera.

Oder alternativ böte sich an, über die Salzburger Pfingstfestspiele zu berichten, die seit Jahren unter der Leitung von Cecilia Bartoli stattfinden und von annähernd genauso vielen Menschen besucht werden wie "Rock im Park". Deren Publikum besteht übrigens zu einem großen Teil aus Frauen, die auf Grund ihres Alters und ihres Bildungshintergrunds vermutlich mehr der typischen SZ-Leserschaft entsprechen als etwaige Besucher/-innen von "Rock im Park", sodass sich eine angemessene Berichterstattung darüber durchaus anbieten würde.

Denkt man Jakob Biazzas Thesen zu Ende sollten auch die Rolling Stones endlich gezwungen werden eine oder zwei Musikerinnen in ihre Band aufzunehmen, als reine Männerformation haben sie doch sowieso keine Zukunft.

Barbara Bernhofer-Burlefinger Oberhaching

Mal angehört?

Jakob Biazza hat eine interessante Zahl gefunden. In der Tat ist das Geschlechterverhältnis bei "Rock im Park" sehr ungleich. Spannendes Thema. Ich hätte nun eine Analyse zu den Ursachen erwartet. Spielen Frauen weniger oder andere Instrumente oder andere Musik, etwa eher Klassik, Pop oder Jazz? Wie sind die Verhältnisse in Musikschulen, in Anfängerbands? Gibt es einen Schwund, und wenn ja, an was liegt er, an Frauen, die aufgeben, an der Industrie, die sie nicht erfolgreich werden lässt...? Aber er beklagt das Verhältnis ohne Ursachenforschung und listet zur Behebung eine Reihe von Pop-Sternchen auf. Hat er sich deren Musik mal angehört (hab' ich gemacht, was hat das mit Rock zu tun)? Will er die zum Rock-Festival schicken? Was sollen die da? Wenn schon, dann wären Kandidaten, die gerade touren, zum Beispiel Ad Infinitum mit Melissa Bonny, Arch Enemy mit Alissa White-Gluz, vielleicht noch Wolves in the Throne Room mit ihrer Tour-Keyboarderin, Mono Inc. mit Kata Mia, Visions of Atlantis, und andere zu nennen.

Martin Volkmar, München

© SZ vom 22.06.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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