Entbindung:Zu Risiken und Nebenwirkungen

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Kritische Berichte über die Verwendung des Magenmittels Cytotec zur Einleitung von Wehen hat viele Gegenreaktionen hervorgerufen. Ärzte und Hebammen fühlen sich zu Unrecht angegriffen. Aber: Das Medikament ist nicht zugelassen.

Zu " Zur Entbindung ein Magenmittel" vom 13. Februar, " Ärzte nutzen umstrittenes Medikament bei Geburtshilfe" und " Im Wehensturm" vom 12. Februar:

Cytotec ist wirksam und bewährt

Ich bin Fachärztin für Frauenheilkunde und arbeite seit mehr als 20 Jahren in der Geburtshilfe - ich kenne also das Medikament Cytotec aus der täglichen Arbeit. Viele der Informationen, welche die Autorinnen geben, sind richtig. Aber ebenso richtige und wichtige Informationen werden verschwiegen, wodurch ein vollkommen falsches Bild entsteht. So ist es durchaus richtig, dass Cytotec nicht zur Geburtseinleitung zugelassen ist. Dies trifft aber für viele Medikamente zu, die wir Ärzte jeden Tag verschreiben, und ist nicht gleichzusetzen mit Missbrauch durch die Ärzte, wie der Artikel suggeriert. Es liegt daran, dass es für die Pharmafirmen oft nicht lukrativ ist, die Medikamente durch die teuren Zulassungsstudien zu bringen. Gerade für billige Medikamente - wie Cytotec es ist - ergibt es für die Pharmaindustrie keinen wirtschaftlichen Sinn, für das Medikament die Zulassung zu erwirken. Die Ärzte sind daher gezwungen, auf den sogenannten Off -label use zurückzugreifen. Dass Cytotec wirksam zur Geburtseinleitung ist und noch dazu billig, ist unbestritten.

Es ist auch richtig, dass Cytotec einen "Wehensturm" hervorrufen kann und dass dieser schädlich ist für das ungeborene Kind und die Mutter. Aus diesem Grund haben die WHO und die Fachgesellschaften Richtlinien für die Dosierung und Höchstgrenzen für die Abgabe von Cytotec sowie Leitlinien für die Applikation und Überwachung der Mutter und des Kindes herausgegeben. Nicht erwähnt wird im Artikel, dass es auch ohne Einleitung mit Cytotec zum Wehensturm und zu Uterus-Rupturen (Reißen der Gebärmutter) kommen kann, wenn auch weniger häufig. Aus diesem Grund werden Mütter, deren Geburt eingeleitet wird, engmaschig am Wehenschreiber überwacht inklusive Monitoring der kindlichen Herztöne.

Ärztliche Aufgabe und Kunst ist es, Gefahrensituationen zu erkennen und zu verhindern, zum Beispiel durch einen Notkaiserschnitt. Hierbei kann es zu Fehlentscheidungen mit fürchterlichen Folgen kommen, aber dies kann auch bei Geburten geschehen, die nicht eingeleitet wurden. Geburtshilfe ist gefährlich - auch heute noch sind Schwangerschaft und Geburt das bei Weitem größte tödliche Risiko für junge Frauen, egal ob mit oder ohne Einleitung. Auch hierüber sollte man sprechen, wenn man über Geburtshilfe spricht.

Alles in Ordnung mit dem Baby? Je näher die Entbindung, desto häufiger werden Schwangere untersucht. (Foto: imago images/Panthermedia)

Zu guter Letzt wird in dem SZ-Artikel nicht erwähnt, dass wir Ärzte Gründe haben, die Geburt einzuleiten. Wir tun dies nicht aus Lust und Tollerei, sondern weil wir Gefahren von Mutter und Kind abwenden wollen. Wir leiten ein bei Schwangerschaftszucker, Übertragung, vermindertem Fruchtwasser, kindlicher Wachstumsabflachung ... alles Situationen, welche eine Gefahr für das Kind darstellen, wenn es im Mutterleib verbleibt. Babys in den genannten Situationen haben ein deutlich erhöhtes Risiko, im Mutterleib zu versterben, und es ist wichtig, dass sie auf die Welt kommen, bevor dies geschieht. Es gibt zahlreiche Studien, die dies beweisen und zeigen, dass Mutter und Kind von der Einleitung profitieren und dass durch die Einleitung kindliche Todesfälle im Mutterleib verhindert werden. Natürlich könnten wir alle diese Mütter, wie Herr Professor Hussein vorschlägt, per Kaiserschnitt entbinden. Das wäre für uns Geburtshelfer sowieso die einfachste Variante: Ein Kaiserschnitt ist planbar, für die Klinik lukrativ und wir Geburtshelfer müssten keine Nachtschichten mehr machen. Aber es kann ja nicht ernsthaft unser Ziel sein, alle Babys per Kaiserschnitt zu entbinden. Schade, dass das Vertrauen der Patientinnen in die Geburtshelfer durch Artikel dieser Art massiv erschüttert wird. Ein langjährig bewährtes, effektives Medikament kommt ungerechtfertigterweise in Kritik und mit ihm eine ganze Berufsgruppe. Das ist traurig.

Dr. Stefanie Huggle,Leitende Ärztin Frauenklinik, GZO Spital Wetzikon, Zürich/Schweiz

Opfer der Fallpauschale

Nach 15-stündiger Zeit im Kreißsaal kam 1981 meine Tochter zur Welt. Kerngesund. Mutter und Kind wohlauf. Ich bin mir nicht sicher, ob das heutzutage überhaupt noch möglich wäre: 15 Stunden einer "Blockade" des Kreißsaals, wegen einer Entbindung mit Ärzten, Schwestern etc. In Zeiten der Fallpauschalen wäre so etwas ein absolutes Verlustgeschäft für die Klinik. Nur so kann ich mir erklären, warum Cytotec über Jahre derart massiv eingesetzt worden ist. Da kann dann unter Eingehung großer Risiken für Kind und Mutter, aber zum Vorteil eines ordentlichen Ablaufes in der Klinik, die Geburt pünktlich und planmäßig eingeleitet und zur Not auch beschleunigt durchgezogen werden. In einigen Kliniken scheinen nicht mehr Ärzte zu bestimmen, sondern Kaufleute in der Verwaltung. Wieder einmal zeigt sich hier und am Beispiel von Cytotec deutlich, dass die Fallpauschalen alle zu Opfern machen: Ärzte und Patienten. "Gewinner" sind eigentlich nur auf Behandlungsfehler spezialisierten Rechtsanwälte.

Erwin Haydn, Wörthsee

Auf die Geburt warten dürfen

Nötig wären Geburtshelfer, die zusammen mit der werdenden Mutter vertrauensvoll warten können, bis für Mutter und Fötus der richtige Geburtszeitpunkt erreicht ist, und das ist eben nicht der errechnete oder von Klinik, Arzt, Hebamme im Terminkalender reservierte Termin. Geburtshelfern, die den Geburtsablauf ohne zwingende Notwendigkeit manipulieren und damit die Mutter und vor allem das Kind gefährden, sollten, abgesehen von rechtlichen Konsequenzen, die Auflage erhalten, sich eine Woche lang rund um die Uhr an der Pflege des betroffenen Kindes zu beteiligen. Diese Erfahrung wird ihnen zu denken geben.

Mechthild Förster, München

Reißerische Berichterstattung

Die reißerische Berichterstattung zum vermeintlichen Cytotec-Skandal hat mich empört! Die Unterstellung, wir würden als Geburtshelfer mutwillig das Leben von Müttern und Kindern gefährden, ist ungeheuerlich! Ich mache seit gut 30 Jahren Geburtshilfe und bin froh, dass wir die Prostaglandine und insbesondere das Cytotec haben (übrigens nicht nur zur Einleitung). Wir kriegen jetzt erste Anfragen von Patientinnen, und auch Verwandte rufen an und fragen sich, ob sie vielleicht vor vielen Jahren dieses schreckliche Medikament erhalten haben.

Christine Frei-Klenze, Linkenheim

Komplikationen verschwiegen

Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das Arzneimittel überwacht, liegen nur unvollständige Daten zu den Nebenwirkungen des Medikaments vor, was mitunter daran liegt, dass Ärzte Komplikationen schlampig melden. Nicht einmal der Todesfall einer Mutter, die im Zusammenhang mit der Gabe der Tablette verstarb, liegt der Behörde nach Recherchen von SZ und BR vor. Genau dieser Umstand, Behandlungsfehler oder Komplikationen nicht zu melden, hat uns schon 2005 dazu veranlasst, eine gesetzliche Meldepflicht zu fordern. Bisher wurde dies von verschiedensten Organisationen, Ärzten und der Politik verhindert. Auch dieser Fall zeigt wieder den dringenden Handlungsbedarf.

Manfred Maier, Elmar Kordes, Monika Hauser, Arbeitskreis Medizingeschädigter,Uhldingen-Mühlhofen

Wann soll eingeleitet werden?

Einen Aspekt vermisse ich in der Cytotec-Debatte. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung werden rund 20 Prozent aller Geburten in Deutschland eingeleitet. Leider gibt es laut derselben Bundeszentrale nach aktueller Studienlage keinen Beleg, ob oder wann bei Terminüberschreitung eine Geburt überhaupt eingeleitet werden soll.

Hanne Stiefvater, Hamburg

© SZ vom 21.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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