Ende der Impfreihenfolge?:Alle drängen zum Piks

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SZ-Leser sehen es nicht als "bürokratische Erleichterung", wenn die Impfpriorisierung entfällt, sondern vielmehr als den hilflosen Schritt, allen Egoisten und Dränglern nachzugeben.

Impfpriorisierungen beibehalten – oder nicht? Eine Frage, die gleich in neue Diskussionen führt. (Foto: Jochen Eckel/Imago)

"Bayern lockert Beschränkungen" vom 28. April und das Interview "Da appelliere ich an die Gelassenheit" mit einem Ethik-Wissenschaftler vom 29.

April: Um die Corona-Impfungen in Bayern zu beschleunigen, will Bayern im Alleingang die vom Bund und der deutschen Ethikkommission festgelegte Impf-Priorisierung vorzeitig aufgeben.

Da der limitierende Faktor der Impfungen im Moment der fehlende Impfstoff ist, ist nicht ganz klar, wie ein Konzept, welches die Priorisierungsgruppe drei durch andere Impfgruppen ersetzt, die Impfung beschleunigen soll. Unterm Strich wird mit begrenzt verfügbarem Impfstoff immer die gleiche Anzahl von Menschen geimpft werden.

Auf den letzten Metern einer priorisierten Impfkampagne, die erfolgreich und ganz berechtigt die sehr alten Menschen, die schwer kranken Menschen, ärztliches Personal und Pflegekräfte geschützt hat, soll die letzte vulnerable Gruppe der 60- bis 70-Jährigen, der Menschen mit Vorerkrankungen wie Rheuma, Krebs oder Asthma und auch der Verkäufer/-innen im Supermarkt gegen Schulabschlussjahrgänge, junge Familien und junge Arbeitnehmer/-innen ausgetauscht werden.

Das Risiko, schwer zu erkranken und zu sterben, ist kein Kriterium mehr, bevorzugt geimpft zu werden. Die Umfragen zeigen, dass mehr als 70 Prozent der Bevölkerung die Aufhebung der Priorisierung gut finden - und das ist nachvollziehbar, da die meisten Bürger sich in der nicht-priorisierten Gruppe befinden und die alten Menschen, die bereits geschützt sind, ihren Kindern und Enkeln von ganzem Herzen den Impfschutz gönnen.

Wahltechnisch ist die Aufhebung also ein kluger Schachzug, weil bei Wahlen geht es ja bekanntermaßen um Mehrheiten. Unsere Volksvertreter haben monatelang gebetsmühlenartig wiederholt, dass ein erhöhtes Risiko, an einer Corona-Infektion zu sterben, alle Einschränkungen und Priorisierungen rechtfertigt, um dann über Nacht zu beschließen, dass das nun keine Rolle mehr spielt.

Wir können stolz sein auf eine Regierung, die uns zeigt, dass ethische Kriterien nicht unbedingt zum bayerischen Leitbild gehören. Eine neue Priorisierungsgruppe übrigens ab 3. Mai: der bayerische Landtag...

Dr. Barbara Adler, München

Arena der Begehrlichkeiten

Verschließen wir doch bitte nicht die Augen vor den Tatsachen: 1. Impfstoff steht bis auf weiteres nicht in unbegrenzter Menge zur Vergügung. 2. Das Risiko, überhaupt beziehungsweise schwer zu erkranken, ist auch nach Impfung der besonders vulnerablen Gruppen bei weitem nicht gleich verteilt. Wenn 3. gar nicht mehr aufzuhalten ist, dass sich Geimpfte demnächst bedeutend freier werden bewegen können als Ungeimpfte, darf man eigentlich nicht dafür plädieren, die Impfreihenfolge dem freien Spiel der Ellenbogen zu überlassen. Und anzudeuten, durch Festhalten an einer sauber begründeten Priorisierung könnte der Impffortschritt vielleicht ins Stocken geraten, steht einem Ethiker auch nicht gerade gut zu Gesicht.

Ich empfinde die immer lauter werdenden Rufe, sich beim Impfen "bürokratischer Fesseln" zu entledigen, als moralische Bankrotterklärung. Die wahren Gründe sind keine allzu ehrenhaften: Die vorgesehene Reihenfolge wird unter der Hand schon seit Wochen immer öfter unterlaufen, und je mehr sich das herumspricht, sehen sich die Verantwortlichen zusehends überfordert, dem Druck besonders durchsetzungsstarker Impfwilliger und der Frustration aller anderen standzuhalten. Dann öffnet man doch lieber gleich die Tore zur Arena der Begehrlichkeiten und kann sich obendrein noch als "unbürokratisch" selbst belobigen.

Axel Lehmann, München

Söder drängelt!

Heute ist der 1. Mai, ich bin 73 Jahre alt, habe Impfpriorität zwei und immer noch keinen Termin in meinem Impfzentrum im Nürnberger Land. Dagegen hört man, dass jetzt der ganze Landtag geimpft werden soll und auch Söder mit der Priorität zwei schon geimpft wurde. Wie kann das sein? Muss man drängeln, um einen Termin zu bekommen, Mitglied einer Partei sein, den Abgeordneten in seinem Wahlkreis ansprechen? Der Wahlkreis Nürnberger Land wird von den Freien Wählern dominiert, Nürnberg inzwischen von der CSU. Ist das der Grund für die Benachteiligung meines Wahlkreises? Wie dem auch sei, mir ist aufgefallen, dass Söder gerne drängelt, bei der Verkündung neuer Regeln gegen Corona, auch bei der Kandidatenkür für den Bundeskanzler hat er gedrängelt und nicht gewartet, bis die CDU ihn fragt, auch Seehofer hat er hinausgedrängelt beim Parteivorsitz; vielleicht hat er schon als Schüler nicht einfach die Hand gehoben, als der Lehrer etwas gefragt hat, sondern auch mit den Fingern geschnalzt, um dranzukommen? Gut, dass man mit Drängeln nicht immer weiterkommt im Leben. Ratlos stelle ich mir die Frage: soll ich jetzt mit meinen 73 Jahren anfangen zu drängeln?

Dr. Hansgeorg Bankel, Lauf an der Pegnitz

© SZ vom 10.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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