Dienstpflicht:Schluss mit Tralala

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Junge Menschen sollen künftig nicht wieder für den Dienst an der Waffe rekrutiert werden. Ob es eine Pflicht für ein allgemeines Dienstjahr geben kann, muss geprüft werden. Die meisten Leser reagieren skeptisch auf den Vorschlag.

SZ-Zeichnung: Karin Mihm (Foto: Karin Mihm)

" Keine Rückkehr zur Wehrpflicht" und " Ein Anti-Egoismus-Jahr" vom 7. August sowie weitere Artikel zum Thema "Dienstpflicht":

Mehr Optionen

Ich bin sehr froh, dass die längst überfällige Debatte zur sogenannten Dienstpflicht nun endlich geführt wird.

Man sollte nun nur zwei Fehler nicht machen: Erstens, das Thema parteipolitisch auszuschlachten: Es besteht über Parteigrenzen hinweg viel Zustimmung und Übereinstimmung bezüglich einer Einführung eines "verpflichtenden Dienstjahres" für alle. Es geht um eine Debatte um Gemeinwohl, nicht um einseitige, parteilich oder gar ideologisch eingefärbte Positions- und Profilierungskämpfe. Zweitens, das Thema zu stark an eine Diskussion um "Wehrpflicht" zu knüpfen oder gar von dieser abhängig zu machen. Warum aber einen Wehrdienst andererseits sofort kategorisch ausschließen? Er könnte als eine von vielleicht einem Dutzend oder mehr Optionen für junge Erwachsene zur Auswahl stehen, einen verpflichtenden einjährigen Dienst abzuleisten.

Prof. Dr. Fred Krüger, Erlangen

Bedenklich

Auf den ersten Blick würde ich den Erwägungen Heribert Prantls vollumfänglich zustimmen und ich halte in der Tat ein soziales Pflichtjahr für junge Menschen für äußerst sinnvoll. Was mir allerdings zu denken gibt, ist der in Deutschland um sich greifende uneingeschränkte Kapitalismus. Aus vielen der sogenannten Grunddaseinsfunktionen hat sich der Staat leider weitgehend zurückgezogen und kann den Menschen zum Beispiel bezahlbaren Wohnraum oder ein funktionierendes bezahlbares öffentliches Nahverkehrssystem nicht mehr gewährleisten, weil diese Dinge dem privaten Gewinnstreben anheimgestellt werden. Und in Bezug auf ein soziales Pflichtjahr würden meiner Meinung nach die privaten Träger von Krankenhäusern und Pflegeheimen mit Begeisterung junge Menschen zu sozialen Diensten heranziehen, die für sie weitgehend kostenfrei zu haben wären, aber vermutlich leider zulasten bestehender Arbeitsverträge. Ich erinnere mich noch gut an die Klagen, die laut wurden, als mit der allgemeinen Wehrpflicht auch der Zivildienst aufgegeben wurde. Es darf nicht sein, dass ein soziales Jahr dazu missbraucht wird, private Gewinne zu maximieren, und es darf unter keinen Umständen geschehen, dass Arbeitsplätze in den Bereichen sozialer Arbeit und Pflege gefährdet werden.

Gerhard Langer, Kirchen

Noch nicht zu spät

Ein allgemeines Pflichtjahr wäre für alle ein immenser Gewinn. Für uns als Gesellschaft ebenso wie für Arbeitgeber und Universitäten. Auch die jungen Menschen, die am Beginn ihrer Lebenskarriere stehen, wären Gewinner, denn sie würden in diesem Dienst, wo auch immer er stattfände, wertvolle Erfahrungen sammeln und lernen, Verantwortung zu übernehmen, und ein Gefühl für das Gemeinwesen zu entwickeln. Das alles kann der Staat nicht leisten, hier ist jeder einzelne Bürger selbst handelnd verantwortlich. Ein solcher positiver Ansatz kann nur nützlich sein und unsere Demokratie schützen. Denn mit diesem Tralala-Individualismus wie auch dem Endlosfeiern gehen unsere Demokratie und unserer Land ganz sicher baden. Ja, wir brauchen endlich diese Diskussion über ein Pflichtjahr für alle, denn noch ist nicht alles zu spät.

Klaus-Peter Haas, Bremen

Scheindebatte

Es sind diese, oft in ihren Konsequenzen nicht wirklich zu Ende gedachten gesellschaftspolitischen Ideen und Vorschläge unserer gewählten politischen Repräsentanten, die zur allgemeinen politischen Verunsicherung eines Großteils unserer Bevölkerung beitragen. Die von Annegret Kramp-Karrenbauer angeschobene Debatte um die Wiedereinführung der Wehr- und Dienstpflicht gehört zu diesen "Säuen, die immer wieder mal durchs Dorf gejagt werden". Das mag der Selbstoptimierung dieser oft zweitrangigen Politiker in unserer medialen Meinungsdemokratie dienlich sein. Sie besitzen oft nur eine begrenzte Halbwertszeit ob ihres offensichtlichen Mankos an Realitätsbezug. Noch ist die Mehrheit der Bundesbürger in der Lage, zwischen kurzfristigem medialen Hype und den tatsächlichen gesellschaftlich relevanten Problemen zu unterscheiden. Die aber harren einer dringenden Lösung und dafür und für nichts anderes haben wir unsere "Volksvertreter" gewählt und mit relativ großen Privilegien ausgestattet - und sicherlich nicht, um eine gesellschaftspolitische Seifenblase nach der anderen "into the blue" zu pusten oder per Twitter zu posten. Solch angezettelte Scheindebatten tragen wenig zur Stärkung der Demokratie in unserer Republik bei.

Eberhard Elmar Zick, Kiel

Starrer Blick

Hohe Geschwindigkeit mag sich in einigen Sportarten auszahlen, im normalen Lebenslauf entpuppt sie sich meist als wertlos, im Bereich der Bildung sogar als gefährlich für die Lerneffekte. In Ruhe einer Ausbildung nachgehen, die man selbst für sinnvoll hält, steigert die Qualität ihrer Resultate. Dagegen geht es den Tempomachern des Neoliberalismus vorwiegend um ihre Quantität. Nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül wurden gerade Erziehungs- und Bildungsauftrag in Schule und Studium erledigt. Dieses fatale Missverständnis haben ausgerechnet die liberalen Planwirtschaftsgegner von der achtjährigen Oberschule in der DDR-Mangelwirtschaft übernommen!

Sie hatten einen kaufmännischen, keinen pädagogischen Rat Benjamin Franklins aus der Zeit des Merkantilismus auf die Gesellschaft insgesamt anwenden wollen: "Remember that time is money." Dieser einseitig auf den raschen wirtschaftlichen Profit eines Händlers ausgerichtete Tipp sollte nun also auch für alle, die keine Händler sind, gelten, wie Erzieher, Lehrer, Wissenschaftler. Aber auch Mediziner oder Pfleger, Künstler, Handwerker, Ingenieure, Architekten und viele mehr. Dieses naiv-egoistische Modell der Profitmaximierung kann nur scheitern, wie man nicht nur beim Turboabitur und dem Abstieg zu Bachelor und Master erkennt, sondern auch bei Ärzten und im Pflegebereich. Gegen den Geschwindigkeitsdogmatismus und den starren Blick aufs Geld hilft sicher das von Heribert Prantl in derselben Ausgabe empfohlene "Anti-Egoismus-Jahr".

Dr. Dietrich W. Schmidt, Stuttgart

Das Grundproblem bleibt

Die Außen- und Sicherheitspolitik der letzten 20 Jahre und das speziell für Auslandseinsätze eingeschliffene parlamentarische Verfahren, sie sind recht selbstähnlich: ad hoc, unsystematisch bis kryptisch, anlassgetrieben und bei keinem einzigen Einsatz aus einer gegenwärtigen existenziellen Bedrohung begründet. Die militärische Beschaffung - unter zunehmender Ziellosigkeit hoffnungslos. Die innere Führung - zwischen vielen moving targets herumirrend. Ist es ein Wunder, dass dem Barras die Bürger in Uniform abhandengekommen sind? Wenn dieser Trend heute im größeren Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht zurückgebogen werden soll, so ist dies für mich teils billige Trittbrettfahrerei - derer, die im Konvoi ebenfalls Ressourcen abstauben wollen oder müssen. Oder es ist ein Vertuschen, wenn nicht Verdrängen. Denn das Grundproblem wird bleiben: Für den eingeschworenen Gemeinsinn eines Militärbündnisses braucht es Söldner viel eher als Bürger in Uniform. Denn die letzteren könnten nach einer rechtsstaatlich klaren Aufgabendefinition fragen, will sagen: nach einer transparenten Aufgabenbegrenzung.

Dr. jur. Karl Ulrich Voss, Burscheid

Andere Lösungen

"Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Ich mag nicht glauben, dass ausgerechnet ein soziales Pflichtjahr den gesellschaftlichen Konsens, der oft nur dem Eigennutz und der Gier verpflichtet ist, und ja, der auch hemmungslosen Narzissmus gutheißt, in eine andere Richtung lenkt. Erst wenn dieser Konsens zum Nonsens erklärt wird, wenn wieder akzeptiert wird, dass eine Gesellschaft eine Gemeinschaft ist, und nicht allein ein Tummelplatz von selbstverliebten Akteuren, mag ich eine Wende zum Besseren erkennen. Aber diesem Zweck folgt die von Konservativen angestoßene Debatte sicher nicht. Eher schielen sie - meiner Meinung nach - unter anderem auf soziale Missstände, wie zum Beispiel Defizite in der Altenbetreuung, die diese dann billigen "Pflicht"-Dienstleister abmildern könnten. Schon deshalb dazu: Nein. Dort muss es andere Lösungen geben, aber ein deutliches Ja zu freiwilligem Dienst und zivilgesellschaftlichem Engagement. Beides überwindet Egoismus aus freiem Willen und dokumentiert soziale Verantwortung.

Bertram Münzer, Gütersloh

© SZ vom 11.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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