Deutsche Justiz:Kritik an Urteilen zu rechten Straftaten

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Sind Richter auf dem rechten Auge blind? Eine Aufarbeitung von zwölf Fällen mit milden Urteilen gegen Neonazis hat viele Reaktionen hervorgerufen.

Zu " Von Rechts wegen" vom 17./18. Juli:

Zu der verdienstvollen Auflistung zweifelhafter bis skandalöser Urteile und Einstellungsverfügungen zugunsten von Straftätern mit rechter, rassistischer und offen nazistischer Gesinnung folgende Anmerkung: Die ausführlichen Zitate aus den beanstandeten Entscheidungen zeigen eindeutig, mit welcher Akribie versucht wird, durch vorurteilsbehaftete Herangehensweise an die Motive der Täter und mit ebensolcher Würdigung der festgestellten Tatsachen und eine an Rechtsbeugung grenzende Gesamtwürdigung eine Ahndung der teils gravierenden Straftaten zu vermeiden. Die angebliche Verteidigung der Meinungsfreiheit ist dabei nur ein Vorwand. Unfähig oder böswillig, ist hier die Frage.

Dies erinnert an das Reichsgericht, das sich in den 1920er-Jahren nicht entblödete, in einer seitenweisen Begründung nachzuweisen, dass die Bezeichnung "Schwarz Rot Hühnereigelb" keine Beleidigung der Reichsfarben Schwarz-Rot-Gold sei. Die Folgen dieser demokratiefeindlichen Einstellung nahezu der gesamten Weimarer Justiz sind bekannt.

Zur Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften: Eine Einstellungsverfügung nach oberflächlichen (oder unterlassenen) Ermittlungen vermeidet Arbeit und bringt eine Erledigungsnummer. Außerhalb des Politischen habe ich oft festgestellt, dass bei schweren Verkehrsunfällen schnell "mangels Schuldnachweis" eingestellt wurde, sich aber nach gründlicher Beweisaufnahme im nachfolgenden Zivilprozess ein schweres und strafrechtlich relevantes Verschulden mancher Unfallbeteiligter herausgestellt hat.

Solange Geschichtskenntnisse und demokratische Überzeugungen untergeordneter Richter und Staatsanwälte - oder deren Wille - nicht ausreichen, um durch rasche, wirksame Entscheidungen dem "anschwellenden Bocksgesang" entgegenzutreten, müssen Obergerichte und Generalstaatsanwaltschaften gemäß ihrer Verantwortung durch klare Korrekturen oder Weisungen die demokratische Grundordnung verteidigen.

Helmut Euler, Vors. Richter im Landgericht i. R., Glattbach

Ein gewalttätiger Überfall auf Unbeteiligte sei ein "typisches Alltagsgeschäft", dessen Aggressivität "nicht über das hinausgeht, was bedauerlicherweise (...) inzwischen üblich ist", heißt es an einer Stelle in dem Artikel. Auch die "Reichskristallnacht" ging nicht über das hinaus, was damals schon üblich war. Wie lange müssen wir noch warten, bis das Erschlagen von Menschen auf der Straße wieder "üblich" ist? Die Justiz trägt offensichtlich wenig zur Verhinderung bei.

Harald Liedl, München

Schon die Justiz der Weimarer Zeit war überwiegend, bis hinauf zu den obersten Gerichten "auf dem rechten Auge blind". Sie beförderte nach Kräften das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und erwies sich als zuverlässiger Steigbügelhalter Hitlers und seiner Kumpane. Zutreffend schrieb Kurt Tucholsky 1923 dieser Richterschaft ins Stammbuch: "Wo sich die Rechte beugen, ist euer Vaterland!"

Erschreckend ist, dass sich diese Tendenz offenbar von Generation zu Generation fortpflanzt. Das Gros der Richterschaft der jungen Bundesrepublik nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte dem nationalsozialistischen Verbrecherregime treue Dienste geleistet und danach nahtlos und ohne Skrupel die berufliche Karriere fortgesetzt, als wäre nichts gewesen. Doch obwohl diese Generation längst nicht mehr in Amt und "Würden" ist, lebt ihr Erbe fort. Unverkennbar ist eine fast zwanghafte Tendenz, rechtsextreme Gewalttaten zu "entpolitisieren" und danach konsequent zu verharmlosen - gerne als "Dumme-Jungen-Streiche" oder vorübergehende geistige oder alkoholbedingte Verirrungen.

Das stetige Ansteigen der Zahl rechtsextremer und rassistischer Straftaten bis hin zu Körperverletzung und Mord hat viele Ursachen. Doch gewiss ist eine davon die Rechtslastigkeit eines großen Teils der deutschen Justiz. Ideologisch geprägte Parteilichkeit? Naivität? Wahrscheinlich ist es eine hochgefährliche Mischung aus beidem.

Frank Sommer, Aschaffenburg

© SZ vom 05.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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