Deutsch-französische Freundschaft:Errungenschaft und beständiger Auftrag

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(Foto: Karin Mihm (Illustration))

60 Jahre Élysée-Verträge - eine Versöhnungs-Erfolgsgeschichte, an der längst nicht alles perfekt, aber doch vieles gut ist, wie SZ-Leserinnen und -Leser finden.

"Mein Frankreich" vom 30. Januar und "Auf der Suche nach der verlorenen Freundschaft" vom 21./22. Januar:

4600 befreundete Kommunen

Es ist doch wie in allen Beziehungen, den privaten oder politischen, im Laufe von 60 Jahren kann nicht immer eitel Sonnenschein herrschen, es gibt auch Meinungsverschiedenheiten und Krisen. Es hat sich auch bei der deutsch-französischen Freundschaft immer wieder gezeigt, dass letztlich die Missverständnisse ausgeräumt werden konnten. Es lag ja oft an den jeweiligen Persönlichkeiten der Präsidenten beziehungsweise Kanzlerinnen und Kanzler, man denke nur an den Beginn der Zeit von Angela Merkel und Sarkozy.

Sie beschreiben diese bilaterale Beziehung hauptsächlich in Hinsicht auf die politische und hochoffizielle Ebene und erwähnen die erfolgreiche Arbeit des Deutsch-Französischen Jugendwerks und des Studentenaustausches, aber was ist mit dem äußerst regen Schüleraustausch und den deutsch-französischen Partnerschaften der Gemeinden und Städte? Es gibt inzwischen circa 2300 solcher Partnerschaften in Deutschland. Auf dieser Ebene, sozusagen der privaten und freundschaftlichen, wird von unzähligen, meist ehrenamtlich tätigen Menschen eine sehr wichtige, völkerverbindende Arbeit geleistet. Die Zusammenarbeit übernehmen in der Regel Gemeinde und Partnerschaftsvereine.

Ich engagiere mich seit etwa 30 Jahren auf diesem Gebiet, und hier geschieht das Gleiche wie in der Politik: Es gibt Krisen, aber immer wieder werden diese letztlich überwunden. Wer hier mitarbeitet, hat persönliche Kontakte und schließt Freundschaften. Dies baut Vorurteile ab. Man wohnt privat bei Familien und besucht sich regelmäßig - und nur so kann Versöhnung auf breiter Ebene stattfinden. Ich habe diese positiven Erfahrungen gemacht, weil meine Gemeinde in diesem Jahr das fünfzigjährige Partnerschaftsjubiläum mit ihrer französischen Gemeinde feiern kann.

Renate Dengler, Gauting-Stockdorf

Gemeinsame Wertebasis

Den Artikel über 60 Jahre Élysée-Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich habe ich mit Freude gelesen. Ja, ich kann bestätigen, "dass junge Menschen wirklich etwas haben, von dem ganzen deutsch-französischen Zirkus". Mit 23 Jahren bin ich 1965 in den Genuss der deutsch-französischen Freundschaft gekommen. Als eine von 20 deutschen Bankangestellten bundesweit, die in den jeweiligen Börsenabteilungen gearbeitet haben, wurde ich vom Vorstand der Pariser Börse eingeladen, mit 20 jungen französischen Banken- und Börsenangestellten zwei Wochen in den französischen Alpen zu verbringen. Ich war, als einziges Mädchen aus München, die Vertreterin der Bayerischen Staatsbank. Nach einem großen Empfang an der Pariser Börse und einem Ausflug an die Marne, um dem Training des französischen Olympia-Achters beizuwohnen, fuhren wir vom 12. bis 25. September 1965 nach Monêtier-les-Bains in die französischen Hochalpen. Geprüfte Bergführer gaben uns Unterricht im hochalpinen Steigen und Klettern. Gut ausgerüstet mit Seil, Pickel und Steigeisen ging es bei Touren von acht bis zehn Stunden in die umliegende Bergwelt der Beinahe-Viertausender. Die Gletscher-Begehung des Glacier Blanc war der Höhepunkt.

Die Sprachkenntnisse waren auf beiden Seiten gering. Die Neugier auf die jungen Frauen und Männer aus dem jeweils anderen Land war umso größer. Dass es um mehr ging als um schöne Erlebnisse, wurde uns schnell bewusst. Es ging um Vertrauen, es ging um Verlässlichkeit und Hilfestellung am "gemeinsamen Seil". Ganz subtil geführt, wurden wir durch großartige Bergführer eine Gemeinschaft von Freundinnen und Freunden. Am ersten Tag war jeder ein Franzose oder eine Deutsche. Am zweiten Tag waren wir Bergsteigerinnen und Bergsteiger. An allen weiteren Tagen waren wir einfach nur glückliche junge Menschen, die ein unbeschreiblich schönes Stück Erde gemeinsam erleben durften.

Die Dimension dieses kleinen Teilchens einer Völkerverständigung war uns allen im Herbst 1965 nicht bewusst. Für mich wird die deutsch-französische Freundschaft aber immer verbunden bleiben mit Werten, die wir damals gelernt haben.

Isolde Wördehoff, Bad Heilbrunn

Nicht nachlassen

Ulrich Wickert fordert mehr Liebe zu Frankreich. Wie soll das gehen, wo doch immer weniger Schüler Französisch lernen? Immer weniger französische Autoren werden ins Deutsche übersetzt. Mit der Nobelpreisträgerin Annie Ernaux gab es einen kleinen Aufschwung, aber das war nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Was ist mit den weniger bekannten Autoren. Wer kennt zum Beispiel den französischen Dichter Saint-Pol-Roux (1861 bis 1940), den die Surrealisten als einen ihrer Vorläufer feierten? In Frankreich gilt er als erstes prominentes Opfer der deutschen Besatzung in Frankreich. In der Nacht zum 24. Juni 1940 überfiel ein deutscher Soldat sein Haus in der Bretagne, erschoss die Haushälterin, vergewaltigte dessen Tochter. Diesen Schock hat der fast 80-jährige Dichter nicht lange überlebt, auch weil danach sein Haus geplündert wurde. Er starb wenige Wochen später. Frankreich ist nicht nur Rotwein, Baguette und Käse. Da muss noch viel geschehen.

Dr. Franz Joachim Schultz, Pottenstein

Vorurteile überwinden

Vorurteile können überwunden werden, auch von älteren Menschen: Im Oktober 1961 kam ich zum Studium der französischen Literatur nach Paris. Ich fand ein möbliertes Zimmer bei einer älteren Dame im sechsten Stock eines einfachen Mietshauses im Montmartre-Viertel. Doch eine Zusage bekam ich erst am folgenden Tag. Als ich mich dann nach neun Monaten von ihr verabschieden musste, gestand sie mir, eine schlaflose Nacht habe sie mit sich gekämpft, ob sie mich, einen Deutschen, aufnehmen könne. Ihren ersten Mann habe sie im Ersten Weltkrieg, ihren zweiten Mann im Zweiten Weltkrieg verloren, jeweils durch den Schuss eines Deutschen.

Dr. Klaus Zimmermanns, München

Nostalgie und die harte Realität

Eine ganze Seite bekommt Ulrich Wickert, um seine Sicht des deutsch-französischen Verhältnisses und vor allem seine Liebe zu Frankreich auszubreiten, gewürzt mit allen möglichen familiären und journalistischen Anekdoten. Bedauerlich ist nur, dass sein Frankreichbild wie das der deutsch-französischen Beziehungen nur wenig mit der gegenwärtigen Realität beider Länder zu tun hat. Zwar schreibt er zu Recht: "Verstehen bedingt die Kenntnis der Identität des anderen." Doch dazu beruft er sich auf "L'identité de la France" von Fernand Braudel, ein Buch, das trotz seines mentalitätsgeschichtlichen Ansatzes ganz der traditionellen französischen Identitätskonstruktion verpflichtet ist und Identität aus dem geografischen Raum und dessen geschichtlicher Entwicklung begreift und für das etwa die französische Kolonialgeschichte keine Rolle spielt.

Aber in Frankreich wie in Deutschland sind heute aus unterschiedlichen historischen Konstellationen multikulturelle Gesellschaften entstanden, für deren Identität die Umarmung von de Gaulle und Adenauer kaum noch Bedeutung hat. In diesen Gesellschaften gibt es keine einheitliche, aus der Geschichte des Landes begründete Identitätskonstruktion mehr, wie sie Wickert beschwört. Die Zeiten sind vorbei, in denen noch Beduinenkinder in der algerischen Wüste "nos ancêtres, les gaulois" (unsere Vorfahren, die Gallier) buchstabieren lernten.

Gegen Wickerts nostalgische Beschwörung der überwundenen historischen Konflikte zwischen Deutschland und Frankreich müsste eine Erneuerung der Beziehung zwischen beiden Ländern von einer Auseinandersetzung mit ihrer multikulturellen Realität ausgehen, die eine Pluralität unterschiedlicher, miteinander konkurrierender Identitätskonstruktionen zur Folge hat. Das "emotionale Bekenntnis zur deutsch-französischen Freundschaft", das Wickert beschwört, kann dazu kaum etwas beitragen.

Dr. Hartmut Stenzel, Gießen

Persönliche Beziehungen

Die Rede von Ulrich Wickert spricht mir voll aus der Seele. Als Abiturient eines humanistischen Gymnasiums hatte ich nur rudimentär kurze freiwillige Kurse in Französisch, mir aber später selbst Französisch beigebracht, sodass ich nicht perfekt, leider auch noch mit deutschem Akzent, aber immerhin voll kommunikationsfähig für alle täglichen und beruflichen Belange war, bis in Regierungskreise. Viele Jahre war ich als Vorstand auch für die französischen Beteiligungen zuständig, unter anderem in Reims. Bei einem dieser Besuche hatte ich vor einem Abendessen die dortige Kathedrale besucht und beeindruckt die ins Trottoir eingelassene Bronzeplatte gelesen, die an die heilige Messe zwischen de Gaulle und Adenauer am 8. Juli 1962 und an die deutsch-französische Versöhnung erinnert. 17 Jahre nach einem solch schrecklichen Krieg, dessen Urheber Deutschland war, sich zu solch einer Versöhnung zu bewegen, kann nicht hoch genug bewertet werden.

Die Politik auf beiden Seiten sollte dringend die deutsch-französische Freundschaft und den Jugendaustausch stärker fördern, Freundschaft geht nur über Verstehen, das bedingt wieder, die Sprache des anderen zu verstehen und zu sprechen. Dann tun sich unendliche Möglichkeiten auf, privat und beruflich.

Ich könnte unendlich viele Geschichten wundervoller Begegnungen mit Franzosen erzählen. Am Ende zählen, wie in dem Artikel gut beschrieben, die persönlichen Beziehungen. Einzelne Personen können "Markenbotschafter" sein, wie es zuletzt auch Boris Herrmann, Segler der Vendée Globe 2020, war. Er hat mit seiner frischen, ehrlichen Art, seinem Engagement für Schulkinder, den Umweltschutz, seiner Teilnahme bei der Rettung eines schiffbrüchigen französischen Seglers vor Südafrika und seinen laufenden Berichten während der Vendée Globe das sympathische Bild eines "deutschen" Seglers rübergebracht (die Vendée Globe ist in Frankreich, neben Fußball-Europa- oder -Weltmeisterschaft das größte mediale Ereignis).

Die deutsch-französischen Beziehungen sind elementar für Europa, ohne damit eine Dominanz anzustreben. Hilfreich für eine europäische Identität wäre auch ein europäischer Pass, in dem die Nationalität vermerkt sein kann, statt eines deutschen, französischen (et cetera) Passes. Vive l'amitié franco-allemande!

Harald Ender, München

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Noch ein Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung trug der erste Leserbrief noch den Titel "2300 befreundete Kommunen". Da es aber 2300 Kommunen in Deutschland sind, die sich mit französischen Partnergemeinden verschwistert haben, muss es "4600 befreundete Kommunen" heißen. Wir haben das korrigiert.

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