Der Papst und die Homosexualität:Deutlicher Fortschritt

Lesezeit: 3 min

"Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu leben": Mit dieser Aussage hat Papst Franziskus die Debatte um den Umgang der Kirche mit Homosexualität neu entfacht. Die Leser vertreten dazu eine klare Meinung.

„Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu leben“, sagte Papst Franziskus in einem Dokumentarfilm. (Foto: Vatican Media via Reuters)

Zu " Bei aller Liebe" vom 24./25. Oktober, " Der Papst muss Wort halten" und " Umstrittenes Papstwort", beide vom 23. Oktober:

Eine Frage bleibt

Ich will nicht päpstlicher sein als der Papst und Toleranz heucheln, die auch mir beizeiten fehlt. Dennoch kann ich es nur begrüßen, dass das Oberhaupt der Kirche dem Gläubigen, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, zutraut, ein Gläubiger zu sein, und ihm damit gewährt, als volles und akzeptiertes Mitglied in die katholische Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Ob er das letztendlich dann noch will, angesichts der gelebten Doppelmoral, sich an schutzbedürftigen Jungen zu vergehen und diese Verbrechen, so weit es geht, zu vertuschen und andererseits homosexuellen Gläubigen den Zutritt zu verwehren, bleibt dem Gläubigen selbst überlassen. Die Frage bleibt: Ein deutliches Signal, sich zu öffnen oder eben doch nur der Versuch, neue Schäfchen zu rekrutieren? Ich wünsche mir eine Kirche, die Nächstenliebe nicht nur predigt, sondern lebt. Franziskus traut sich diesen Neubeginn zu. Ein Anfang!

Stefanie Koschmann, Augsburg

Dammbruch ist absehbar

Die Wendungen und Verwindungen in den Aussagen des Papstes zum Umgang (nicht nur) mit den Themen Sexualität und Homosexualität gleichen dem Verhalten von Despoten, die ihr Volk, hier wäre es das Kirchenvolk, mit einer Doktrin regieren, die jeglicher Menschlichkeit, Liebe und des Rechts auf freie Entfaltung entbehrt, obwohl die eigenen Verfehlungen und Vergehen zum "Himmel schreien". Gerade die Zuwendung Gottes und seine bedingungslose Liebe zu allen Menschen, ohne jegliche Ausnahme, kann und darf nicht durch einfache Menschen, nichts anderes sind der Papst und seine Vasallen, nach eigenen Vorstellungen gedeutet und falsch interpretiert werden. Ein Dammbruch ist längst absehbar, und dieser wird die Auflösung der Institution Kirche, so wie wir diese seit Jahrhunderten kennen, bedeuten. Verklausulierte Botschaften und unklare Aussagen sind nicht die Lösung, durch die Menschen sich weiter hinhalten lassen werden. Wer den Wandel bewusst aufschiebt, wird nicht mehr Teil der Lösung sein, der Papst und seine Mitstreiter sind längst die Dinosaurier, die sich zwar, aufgrund ihrer Macht und ihres Vermögens, noch in einem längst veränderten Umfeld bewegen können, auf kurze Sicht, aber wohl "aussterben" werden.

Oliver Schulze, Detmold

Nächster Schritt muss folgen

Es ist ein Epochenwechsel - weg von den seit Kirchenvater Augustinus (354 - 430) auf Sünde fixierten Moralvorstellungen hin zu einer an Glaube, Beziehungen und Solidarität orientierten Lehre der katholischen Kirche. Das ist praktizierte Nachfolge Jesu, auf den wir uns doch alle berufen wollen. Franziskus' Aussage ist besonders wichtig angesichts der in vielen Ländern immer noch herrschenden oder gar zunehmenden Homophobie. Die Aussagen von Papst Franziskus, die Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. so nie gemacht hätten, sind ein deutlicher Fortschritt. Franziskus erkennt mit seiner Aussage endlich die Realität homosexueller Menschen und ihrer Beziehungen an. Jetzt erwarten homosexuelle Menschen zu Recht, auch in der katholischen Kirche gleichgestellt zu werden. Der nächste Schritt muss sein, auch die entsprechenden Paragrafen des Katechismus zu ändern. Diese neue Linie theologisch wie pastoral zu untermauern, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe des Reformprozesses "Synodaler Weg" der Kirche in Deutschland, der sich in einem Synodalforum mit den Fragen von "Leben in gelingenden Beziehungen - Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft" beschäftigt.

Christian Weisner, Wir sind Kirche, München

Argumentation mit Augenmaß

Mit seinem Eintreten für eingetragene Partnerschaften für homosexuelle Paare unternimmt Papst Franziskus einen mutigen Schritt in die richtige Richtung. Er trägt dem Umstand Rechnung, dass Homosexualität in den westlichen Gesellschaften inzwischen weitgehend das Signum der Sünde gegen die Schöpfung verloren hat. Gleichzeitig weiß er aber auch, dass in vielen Staaten noch andere Denkmuster existieren, die das Phänomen Homosexualität verteufeln oder ignorieren. Es stellt eine ungeheuer schwierige Gratwanderung innerhalb des breiten katholischen Spektrums dar, das Kirchenschiff diesbezüglich vor einer Spaltung zu bewahren. Eine Änderung des Kirchenrechts ist zurzeit kaum denkbar, solange die Polarität in dieser Menschheitsfrage besteht. Rechtliche Veränderungen sind meist als Abschluss einer bedeutsamen inhaltlichen Entwicklung angesagt. Das Kirchenrecht ist geronnenes Ergebnis eines gesellschaftlichen Diskurses, somit immer erst der Abschluss eines vorausgegangenen Prozesses. Änderungen diesbezüglich sind dann möglich, wenn die Vorlaufphase lange und intensiv erfolgt ist. Der Papst ist sich der divergierenden Richtungen seiner Kirche bewusst. Er argumentiert vorsichtig und mit Augenmaß. Sein Verhalten ist anstößig - im besten Sinne des Wortes.

Dr. Peter Kleine, Bad Driburg

Homophobie überwinden

"Menschheitsgeschichtlich steht fest: Alle ehemals überzeugenden alten Religionen sind untergegangen, weil sie sich beharrlich neuen Weltsichten und Verständnisweisen verweigerten." ( Christ in der Gegenwart, 42/2019) Diese Einsicht des Theologen Johannes Röser hat Kardinal Müller nicht verstanden. Er verkennt, dass das Christentum nur dann zukunftsfähig und überzeugend sein kann, wenn es die tief in der Kulturgeschichte der Menschheit verwurzelten homophobe Ideologie überwindet.

Jonas Christopher Höpken (kath. Theol.), Oldenburg

© SZ vom 03.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: