Demokratie in der Pandemie:Wie viel Kritik verträgt die Gesellschaft?

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Widersprüche und Gegenrede muss unsere Demokratie aushalten, auch in einer Ausnahmesituation wie derzeit. Aber: Allgemeine Regeln zum Gesundheitschutz wie die Maskenpflicht müssen auch Demonstranten einhalten, finden Leser.

Überklebtes Hinweisschild in der Dresdner Innenstadt: Viele Protestler akzeptieren weder die Corona-Politik der Regierung noch die Maskenpflicht bei Demonstrationen. (Foto: dpa)

Zu " Lob der Kritik" vom 3./4./5. April:

Balsam für die Seele ist gefragt

Ist Kritik um der Kritik willen berechtigt und angebracht, besonders in einer Pandemie? Ist der Protest gegen die Corona-Maßnahmen, die Herr Prantl mit den Protesten gegen die Kernenergie gleichsetzt, wirklich der Lebenskern unserer Demokratie? Oder zersetzt und leidet unsere Demokratie gerade unter der "Nichtsolidarität" und unter dem "Egoismus" einzelner Menschen und dieser Minderheiten? Unsere Gesellschaft und die Demokratie leiden in der Pandemie unter einem "nicht vorhandenen Konformismus" sicher mehr, als dass sie von der kritischen Auseinandersetzung profitiert. Statt in unzähligen hierarchischen Ebenen zu diskutieren und zu überlegen, wäre ein schnelles, vorausdenkendes und zielgerichtetes gemeinsames Handeln wünschenswert.

Dieses "proaktive Handeln" zum Wohle der Gesamtbevölkerung würde den Bürgern Mut geben, die Demokratie stärken und damit dem Vergleich mit alternativen Staatsformen standhalten. Kritik ist wichtig und berechtigt, konstruktiven Kritik in einer Pandemie fast so etwas wie "Balsam auf die Seele", das würde ich mir mehr wünschen.

Maria Anna Thanner, Wörth

Politik der Beliebigkeit

Freie Gesellschaften zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass persönliche Freiheitsrechte einen hohen Stellenwert haben. In einer Demokratie ist alles erlaubt, was nicht verboten ist, in einer Diktatur hingegen alles verboten, was nicht erlaubt ist. Wenn man die aktuelle Entwicklung verfolgt, wird unter dem Deckmantel "Gesundheitspolitik" immer mehr verboten und immer weniger erlaubt.

Die politische Vorgehensweise erweckt bei mir den Eindruck, dass Entscheidungen nicht primär faktenbasiert sind, sondern nach dem Prinzip der Beliebigkeit getroffen werden, zu restriktiv sind und sich nur mehr rudimentär an Rechtsnormen orientieren.

Martin Behrens, Wien/Österreich

Proteste im Rahmen der Regeln

Kritik und freie Meinungsäußerung sind die Grundpfeiler unserer Demokratie. Herr Prantl schreibt zu Recht, dass Kritik und Protest Lebenskern der Demokratie sind und durch Kritik die Kraft zur Entwicklung guter Lösungen entstehen kann - dem stimme ich zu. Herr Prantl plädiert dafür, auch den Querdenkern zuzuhören. So weit, so gut. Warum er aber nicht darauf eingeht, auf welche Art und Weise diese Demonstrationen stattfinden, hat mich erschüttert. Denn gerade diese Demonstrationen sind kein verantwortungsbewusster Protest, sie sind eine Gefährdung der Bevölkerung. Tausende Demonstranten - ohne Abstand und ohne Masken - das macht diese Demonstrationen zu Spreader-Events, welche die Pandemie befeuern und so Menschenleben gefährden. Darum muss es in der Debatte aus meiner Sicht auch gehen.

Es geht nicht darum, vorschnell diese Kritiker zu systemfeindlichen Querdenkern zu stigmatisieren. Es geht darum, Kritik in einer Form zu äußern, die in Zeiten einer Pandemie angemessen ist. Wie das funktioniert, hat man gut an den Ostermärschen in diesem Jahr zum Beispiel in München sehen können - mit Abstand und Masken und einer überschaubaren Menge an Menschen. Es ist aus meiner Sicht zu einfach, nur darauf hinzuweisen, wie wichtig Kritik ist, auch die Art und Weise, wie die Kritik kundgetan wird, muss hier betrachtet werden.

Dr. Corinna Jacob, München

Zweck heiligt nicht die Mittel

Zur Kritikäußerung gehört es auch, Kritik annehmen zu können, auf beiden Seiten. Gerade das führt dazu, dass unsere Demokratie lebt. Keine Angst, unsere Demokratie wird nicht im Dauerfrost des Lockdowns gefangen werden. Dafür sind unsere Politiker zu sehr "Tiefkühlkost-Fahrer", sorry Interessenverkäufer, und sie wissen, dass das Verkaufte für den Verzehr wieder aufgetaut werden muss. Richtig ist, dass die Kritik von Minderheiten ab den 68er-Jahren die Demokratie förderte und stärkte. Sie richtete sich aber gegen das Handeln der Politik, das unter anderem für die Bürger unkalkulierbare Risiken barg (zum Beispiel Atomkraftwerke).

Kritik, die selbst zur Gefahr für Leib und Leben von Menschen führte, wurde auch damals zu Recht nicht geduldet. Heute richtet sich die Kritik gegen politische Notstandsmaßnahmen, welche die Menschen schützen sollen. Aber auch diese Kritik an der verantwortlichen Politik gefährdet nicht unsere Demokratie, sie ist legitim und ein wichtiger Teil unserer Bürgerrechte und muss es auch bleiben. Wenn jedoch die Art und Weise der Kritik in ihrer Kausalität Menschenleben verletzt oder gefährdet oder dies billigend in Kauf nimmt (Demos ohne Ansteckungsschutz, Angriffe auf Ordnungskräfte, Journalisten, etc.), schießt sie weit über das demokratische und legale Ziel hinaus. Der Zweck heiligt noch lange nicht alle Mittel. Es geht auch anders, die Ostermärsche machen es vor. Vergessen wir nicht, dass alle Menschenrechte die Basis unserer Demokratie darstellen.

Josef Schüll, Alfeld

Regierung verspielt Vertrauen

Seit über einem Jahr stützt unsere Regierung ihre Maßnahmen gegen das Coronavirus lediglich auf die Vorgaben einer Handvoll Wissenschaftler, die uns täglich über die Mainstreammedien präsentiert werden. Warum lehnt sie das Angebot ebenso anerkannter Wissenschaftler zu einer öffentlichen Diskussion ab, die aus ihrer Forschung und Erfahrung andere Schlüsse ziehen wie die regierungskonformen Herren. Eine kluge Regierung würde sich gerade dieser Diskussion stellen, auch wenn darin Kritik enthalten sein könnte, um gemeinsam den besten Weg aus einer schwer zu meisternden Krise zu finden. Mit diesem Zeichen der Schwäche jedoch verspielt sie das Vertrauen vieler Bürger, die die Gefährdung der Demokratie fürchten.

UtaRiemerschmid-v.Rheinbaben, München

Corona fehlt der Ausknopf

Ich glaube, dass eine Pandemie nicht mit dem Bau eines Riesenbahnhofes oder eines Kraftwerkes zu vergleichen ist. Werden diese von Menschen ersonnenen Vorhaben eingestellt, gibt's weniger Züge oder weniger Energie. Auf diese Weise kann man aber eine Pandemie nicht einfach abstellen. Wird die Kontakthäufigkeit in Corona-Zeiten erhöht,breitet sich das Virus - auch in seiner ansteckenderen Variante - schnellstens weiter aus mit den bekannten Folgen. Und das ist fatal! Wird die Kontakthäufigkeit reduziert, gelingt ihm das weniger, das ist besser! Wer das Opfer der Kontaktreduzierung bringen muss, darüber entscheidet die Politik, nicht Virologen und Epidemiologen.

Aber ohne Kontaktreduzierung geht's nicht. Man kann das Anti-Corona-Programm nicht einfach aussetzen oder abstellen, außer man nimmt die bekannten Folgen in Kauf. Das, finde ich, will Herr Prantl nicht verstehen. Ihn kümmert die Dynamik des Virus in seinen Überlegungen nicht. Mir wäre auch lieber, Covid wäre ein Bahnhof oder eine Autobahnmaut, von uns ersonnen und wieder eingestampft.

Dr. Irene Leschinsky-Mehrl, München

Demokratie ist nicht in Gefahr

Wir sollten Kritiker der staatlichen Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung nicht für unzurechnungsfähig erklären. Wer will, soll das Recht haben, dagegen zu demonstrieren. Umgekehrt würde ich mir wünschen, dass der Autor nicht das Ende der Demokratie an die Wand malte, nur weil die Mehrheit im Lande und im Parlament zurzeit (noch) damit einverstanden ist, dass die Regierung zur Rettung von Menschenleben die Grundrechte einschränkt. Wie gut oder schlecht auch immer die Maßnahmen durchdacht sein mögen. Sie sind das Ergebnis von Abwägungen, die sich unsere Politiker nicht leicht machen.

Axel Lehmann, München

© SZ vom 15.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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