Debatte um Kindergeld:Undifferenziert, gefährlich, falsch

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Die Unterstellung, dass ein Großteil der EU-Ausländer sich massenhaft deutsches Kindergeld ergaunert, ist eine Unverschämtheit, schrieb Barbara Galaktionow in der SZ. Wie sehen das die Leser?

Der deutsche Staat zahlt pro Jahr rund 600 Millionen Euro für Kinder, die im Ausland leben. (Foto: DPA)

" Immer mehr Kindergeld wird ins EU-Ausland überwiesen" und " Eine Unverschämtheit" vom 10. August sowie weitere Artikel zum Thema Kindergeld:

Klare Gesetzgebung

Ich kann Barbara Galaktionow nur vehement zustimmen, wenn sie konstatiert, dass es eine Unverschämtheit ist zu behaupten, dass ein Großteil der EU-Ausländer sich durch Missbrauch massenhaft deutsches Kindergeld ergaunert. Missbrauch des deutschen Sozialsystems gibt es ganz sicher, und er dürfte nicht nur auf Nichtdeutsche beschränkt sein. Missbrauch ist in jeglichem Zusammenhang eine Straftat und muss verhindert oder aber geahndet und bestraft werden.

Dazu braucht es eine klare Gesetzgebung und konsequente, umfängliche Kontrolle. Appelle an Moral und Vernunft sind zwar angesagt, verhallen jedoch erfahrungsgemäß eher ungehört. Nun aber vor dem Hintergrund der Missbrauchsdiskussion des deutschen Sozialsystems infrage zu stellen, ob einem Osteuropäer, der in Deutschland arbeitet, der hier Steuern und Sozialabgaben zahlt, dasselbe Kindergeld zusteht wie seinem deutschen Kollegen, wenn seine Kinder nicht auch in Deutschland leben, finde ich nachgerade ungeheuerlich. Wie aus der Stellungnahme von EU-Haushaltskommissar Oettinger zu diesem Thema hervorgeht, "gibt es Regeln, die eine Gleichbehandlung sicherstellen und Diskriminierung verhindern". Es gelte die Regel, dass gleiche Beiträge auch zu gleichen Vorteilen führen sollten.

Dr. Franziska Weber, Oberhaching

Völlig legal

Die Diskussion um Kindergeldzahlungen ins EU-Ausland füllt gerade das Sommerloch - undifferenziert und sachlich falsch, also ganz im Sinne der AfD und Gleichgesinnten. Der Bezug von Kindergeld von im EU-Ausland lebenden Familienangehörigen ist völlig legal. Der Anteil am Kindergeld-Gesamtaufkommen liegt bei ein Prozent, einschließlich einer nicht näher bezifferten Betrugsquote, die es selbstverständlich zu bekämpfen gilt. Im Visier ist das osteuropäische EU-Armenhaus. Von dort kommend arbeiten Eltern oder Einzelpersonen in Deutschland, zahlen hier Steuern und Abgaben. Meistens handelt es sich um einfache Tätigkeiten wie Paketzusteller, Reinigungskräfte, Pflegehilfspersonal oder Gastronomiebeschäftigte, nicht selten mit unrealistischen Zeit- und Mengenvorgaben ihrer Arbeitgeber, um selbst noch den Mindestlohn zu unterlaufen.

Die Anpassung der Kindergeldhöhe auf den jeweiligen nationalen Stand würde also eher die Falschen treffen. Die Alternative könnte sein, dass dann die EU-ausländischen Arbeitnehmer ihre Familien nach Deutschland holen mit der Folge, dass ein Anspruch auf Hartz-IV-Aufstockung entsteht und der ohnehin angespannte Wohnungsmarkt noch mehr belastet würde. Es hätte auch Auswirkungen auf fehlende Kitaplätze und ohnehin zu große Schulklassen. Schon mal zu Ende gedacht, liebe Politiker und Politikerinnen? Und noch etwas: Der Staat hat nicht nur eine Ausgabenseite. Auf der Einnahmenseite werden durch Steuerbetrug (alleine bei der Umsatzsteuer pro Jahr im zweistelligen Milliardenbereich) und durch trickreiche Steuervermeidung (Gewinne in- und ausländischer Multikonzerne, die in der Karibik oder sonst wo versenkt werden), dem Staat Gelder vorenthalten. Da ist das EU-Kindergeldproblem, selbst durch die Sommerlochlupe betrachtet, winzig.

Berthold Tischbein, Uhldingen-Mühlhofen

Rassistische Stereotype

Die Autorin trifft mit ihrer Bezeichnung "eine Unverschämtheit" so ziemlich genau das, was etwa der Duisburger Oberbürgermeister und Sozialdemokrat Sören Link praktiziert, wenn er mit der Unterstellung, ein Großteil der EU-Ausländer ergaunere sich durch Missbrauch massenhaft deutsches Kindergeld, Ressentiments erzeugt und Stimmung gegen Ausländer macht. Hier ist dem Vorsitzenden des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, voll und ganz recht zu geben.

Denn in der Tat werden rassistische Stereotype benutzt, um Sündenböcke zu produzieren. Hier werden einige Missbrauchsfälle dazu benutzt, um Sozialneid zu schüren und womöglich in rechten Gewässern zu fischen. Es ist unerhört, wie ein sozialdemokratischer Oberbürgermeister mit derartigen Behauptungen offensichtlich das Geschäft der Rechten hierzulande betreibt. Als SPD-Mitglied verwahre ich mich dagegen, dass Parteibuchinhaber der Sozialdemokratie ihr Amt dazu missbrauchen, um Vorurteile gegen Ausländerinnen und Ausländer zu erzeugen und zu verstärken. Link begibt sich mit seinen skandalösen Formulierungen in die Nähe des leider noch immer SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin.

Manfred Kirsch, Neuwied

Klagen der Politiker

Sie werfen in diesem Kommentar unverständlicherweise zwei Dinge durcheinander. Zum einen wurde die deutliche Zunahme der Kindergeldzahlungen gemeldet, die an Kinder von ausländischen Arbeitnehmern in deren Heimat gehen. Das ist unbestritten. Es ließe sich auf eine steigenden Zahl von ausländischen Beschäftigten in Deutschland zurückführen, aber das allein stimmt nicht. Und zum anderen die Klage mehrerer Oberbürgermeister über den Sozialbetrug durch Ausländer, die in erster Linie wegen ihrer Kinder in der Heimat nach Deutschland kommen und dann Kindergeld kassieren. Letzteres ist nicht zu bestreiten.

Denn Duisburgs OB Link weiß, wovon er spricht: Tausende Rumänen und Bulgaren kamen nach Duisburg, auch durch Schlepper, um Kindergeld "abzugreifen". Sie kommen nicht hierher, um zu arbeiten - das macht in einer Stadt mit einer Arbeitslosigkeit fast auf deutschem Rekordniveau keinen Sinn. Der Betrug beginnt schon mit gefälschten Bescheinigungen über eigene Kinder. Dass es sich dabei um den "Großteil der EU-Ausländer" handeln soll, wie Sie schreiben, hat niemand gesagt. Daher stimmt Ihre Kritik gleich doppelt nicht.

André Maßmann, Duisburg

Mehr Sachlichkeit

Zwei Aspekte gilt es zu unterscheiden, die in der Diskussion gern mal vermengt werden. Die derzeitige Regelung zur Höhe des Kindergelds, die sich nach dem Land des elterlichen Wohnorts richtet und nicht nach dem des Kindes, halte ich für falsch - denn es gibt keine logische Begründung dafür, warum für ein zum Beispiel in Tschechien lebendes Kind die hier lebenden Eltern höher "bezuschusst" werden sollten, als wenn die Eltern in Kroatien lebten. Die Höhe sollte sich ausschließlich nach den Lebenshaltungskosten des Landes richten, in dem das Kind lebt.

Klar, dass Länder wie Bulgarien oder Rumänien mit einem deutlich niedrigeren monatlichen Durchschnittseinkommen gern sehen, wenn aus Deutschland hohe Beträge für die Versorgung von Kindern fließen, die in der Höhe aber durch nichts gerechtfertigt sind. Und deshalb, je höher die Diskrepanz zwischen Kindergeld und nationalem Durchschnittsverdienst ist, entsprechend höheren Anreiz Missbrauch und Betrug bieten. Dass der so weit wie irgend möglich verhindert werden muss, unabhängig von der tatsächlichen Höhe der Gelder und auch von der absoluten Zahl der Missbrauchsfälle, steht meines Erachtens völlig außer Frage. Beide Punkte sollte sich die Regierung also dringend vornehmen: auf eine europäische Einigung hinarbeiten, dass die Höhe des Kindergeldes vom Wohnort des Kindes abhängt, unabhängig von dem der Eltern, sowie Missbrauchs- und Betrugsbekämpfung. Beides kann und muss aber sachlich geschehen, ohne dass das Thema gleich wieder von interessierten Kreisen für eine weitere soziale Spaltung der Gesellschaft instrumentalisiert wird.

Friedrich-Karl Bruhns, München

© SZ vom 29.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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