Debatte über gendergerechte Sprache:Ideologische Spaltprozesse

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SZ-Leserinnen und -Leser diskutieren über das Spannungsfeld zwischen deutscher Grammatik und Zeitgeist, über die Frage, ob ein Verzicht auf das generische Maskulinum ein Verlust wäre, und darüber, ob der Duden als Wörterbuch noch maßgeblich ist.

SZ-Zeichnung: Denis Metz. (Foto: Denis Metz)

Zu "Das Recht auf Unsichtbarkeit" vom 27. Januar:

Lieber ohne Verrenkungen

Der Text zur geschlechtergerechten Sprache im Duden von Nele Pollatschek, die sich hinter dem generischen Maskulinum "Schriftsteller" selbstbewusst verbirgt, ist erhellend. Ihre Überlegung, dass das generische Maskulinum das Was und Wie einer Tätigkeit beschreibt und nicht definiert, wer mit welchem Geschlecht hier spricht, denkt, arbeitet, kommt nicht aus dem Werkzeugkasten von Geschlechterkämpferinnen. Das ist erfrischend, vor allem nach dem ermüdenden Lesen und Hören angestrengter und unbeholfener sprachlicher und bürokratischer Verrenkungen im hilflosen Bemühen um eine gendergerechte Ausdrucksweise.

Der Wirkungszusammenhang zwischen Denken, Sprache und Gesellschaftsformen ist kompliziert und nur in Teilen erforscht. Bei solcher Orientierungslosigkeit hilft ein Blick zurück in die Zeiten des Feudalismus. Im deutschsprachigen Gebiet sprachen die Bauern in Dialekten. Für die Lebenswirklichkeit in der Landwirtschaft gab es schöne Worte, säuberlich getrennt nach weiblich und männlich, die uns noch heute erhalten sind: Mann und Frau, Bruder und Schwester, Vetter und Base, Knecht und Magd, Henne und Hahn, Kuh und Stier, und selbst der kastrierte Stier blieb nicht namenlos: Er wurde zum Ochsen. Aber diese sprachliche Korrektheit sagte nichts über den gerechten rechtlichen Status der damit benannten Leibeigenen und ihrer Nutztiere aus. Sie waren Besitz, die Knechte und Mägde wie die Ochsen. Die Macht ging vom Adel aus, der sich der französischen Sprache bediente, und vom Klerus, der seine geistige Heimat im Latein hatte, der Sprache, der sich akademische Eliten heute noch gerne bedienen, um Distanz herzustellen.

Ob es der Paketbote und die Paketbotin für eine himmlische Botschaft halten, wenn ihnen bekannt gemacht wird, dass das generische Maskulinum abgeschafft wird, während sie die Pakete zum Niedriglohn vor die Wohnungstüren des Home-Officers und der Home-Officerin schleppen, das müsste man sie beim nächsten Klingeln an der Haustüre fragen.

Traudel Keller, München

Elitäres Sprachgehabe

Die Debatte ist aufgeheizt, immer noch, auch nach 30 Jahren. Unter dem Mantra "Sprache verändert Bewusstsein" macht sich eine linke, radikale Minderheit daran, Ästhetik und Grammatik der deutschen Sprache in nie dagewesener Art und Weise ideologisch und moralisierend zu besetzen und zu verformen. Die sogenannte gendergerechte Sprache hat nichts mit moderner Weltsicht zu tun, aber mit Abgrenzung und Ausgrenzung, sie markiert soziale Grenzen und manifestiert sie durch ein überhebliches, abgehobenes und elitäres Sprachgehabe. Die Botschaft lautet: Seht her, wir sind die Guten! Das ist moralisierend und bieder. Es scheint so zu sein, dass in einer bestimmten intellektuell-elitären Schicht über außersprachliche Zeichen, die völlig künstlich mit Bedeutung aufgeladen werden, Ideologien unter das "gemeine" Volk gestreut werden in der Annahme, dass diese doch sicher irgendwann Allgemeingut werden würden. Eine ideologische Besetzung der Sprache aber führt zu Spaltung in der Gesellschaft. Das haben Komposita wie "Asyltourismus" und "Migrantenflut", die beide als manipulativ und diskriminierend abzulehnen sind, eindrucksvoll gezeigt. Es geht daher nicht an, dass die öffentlich-rechtlichen Medien, die sich von Steuergeld speisen, einseitig ideologisierte, noch dazu grammatisch falsche Sprachbilder wie selbstverständlich streuen. Sprache entwickelt sich von unten, und das ist auch gut so. Jeder künstliche Eingriff hat ihr immer nur geschadet, wie die erste Rechtschreibreform gezeigt hat.

Dr. phil. Anne Meinberg, Köln

Erfrischende Gelassenheit

Gerne möchte ich Ihnen einfach nur schreiben, dass mir Ihr Text in der SZ sehr gut gefallen hat. Angefangen damit, dass es wichtigere Themen gibt als das Gendern (obwohl ich auch seit fast 30 Jahren meistens gendere, in einer inzwischen aber veralteten Variante), bis zum Hinweis, dass vielleicht nicht alle Aspekte unserer "Identitäten" offengelegt werden müssen und wir das - zumindest bei vielen anderen Punkten - auch gar nicht wollen. Sehr erfrischend auch die Gelassenheit, mit der Sie Ihre Ideen vortragen. Und dass ich irritiert war, als ich bei den Autoreninformationen sah, dass Sie "Schriftsteller" sind, gefällt mir auch. Irritationen sind gar nicht so schlecht, wenn sie so schön dargeboten werden. Jedenfalls: Vielen Dank und sehr viel Zustimmung zu Ihrem Text - auch deswegen, weil ich nicht weiß, welche Reaktionen Sie sonst so auf diesen Text bekommen.

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp, Halle/ Saale

Ärgerliches aus dem Duden

Es gibt Diskussionen, die nur noch ideologisch geführt werden. Daher muss man Nele Pollatschek dankbar sein, den Sprachgebrauch in das Zentrum ihrer Betrachtung gerückt zu haben und nicht, was der Zeitgeist gerade zu verlangen scheint. Denn das zumindest sollte man von der Elite erwarten, dass ihnen das eigenständige Beobachten und Denken wichtiger ist, als immer nur den Zeitgeist zu bedienen. Worum geht es? Es geht um das Duden-Wörterbuch, das sich selbst gern "Der Duden" nennt. Es ist immer ein Politikum, wenn bei einer neuen Auflage eines weit verbreiteten Wörterbuchs Wörter verschwinden und neue dazukommen. Es tröstet wenig, dass der "Duden" die Banderole "maßgeblich in allen Zweifelsfragen" nicht mehr tragen darf. Im Selbstverständnis scheint sich wenig geändert zu haben.

Sofern Schüler klassische Texte nicht bereits nur noch in einfachem Deutsch lesen (müssen), finden sie im Online-Duden bei ,Kammerjungfer' unter Gebrauch "früher", bei ,Jungfer' "veraltet" und bei ,beweiben' nicht nur "veraltet", sondern auch "scherzhaft". Sollte der Duden nun auch maßgeblich in allen Scherzfragen sein? Das alles lässt einen etwas kopfschüttelnd zurück. Verärgert sollte man sein, wenn man im Online-Duden unter 'Arzt' liest: "Substantiv, maskulin - Berufsbezeichnung; männliche Person, die nach Medizinstudium..." Schlägt man jedoch den vollständigen Artikel auf, so findet man: "männliche Person, die nach Medizinstudium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung (Approbation) erhalten hat, Kranke zu behandeln (Berufsbezeichnung)". Die Berufsbezeichnung ist in eine nachgestellte Klammer gerückt, was man schwer einschätzen kann. Jedenfalls ist 'Ärztin' keine Berufsbezeichnung, sondern nur eine "weibliche Person, die nach Medizinstudium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung (Approbation) erhalten hat, Kranke zu behandeln". Das ist ärgerlich, weil es schlampige Wörterbucharbeit ist, wobei Political Correctness in Gestalt sogenannten Genderns die Sinne verwirrt zu haben scheint, oder es ist ärgerliche Sprachpolitik, die sich die Nutzer nicht gefallen lassen sollten.

Prof. Dr. Jakob Ossner, Tettnang

Generisches Femininum

Wollte man Nele Pollatscheks Argumentation folgen, dann plädiere ich stark dafür, diese mit Luise F. Puschs Vorschlag zu kombinieren und das generische Femininum einzuführen. Denn in den meisten Fällen steckt in der weiblichen die männliche Form ohnehin drin und das Sich-mitgemeint-Fühlen hätte eine Plausibilität.

Monika Heilmeier-Schmittner, Schröding

Ein Missverständnis

Mit einer Abschaffung des generischen Maskulinums wäre mehr verloren als gewonnen. In dem generischen Maskulinum besitzt die deutsche Sprache ein vorzügliches Mittel, Menschen ungeachtet ihres biologischen Geschlechts nach ihrer Tätigkeit, ihrem Beruf et cetera zu bezeichnen. Wer fährt, ist ein Fahrer, wer wandert, ist ein Wanderer, wer bäckt, ist ein Bäcker. Dabei ist völlig unerheblich, ob die agierende Person eine Frau, ein Mann, ein Kind oder sonstwie Gestalteter ist. Das generische Maskulinum diskriminiert niemanden nach seinem natürlichen Geschlecht, weil es vom Sexus her, dem biologischen Geschlecht, nicht markiert ist. Die Endung -er ist im Deutschen eine bloße Funktionsbezeichnung, ohne jeden Bezug zum biologischen Geschlecht. Wenn es offensichtlich ist, dass dieses ständige Herauskehren der Geschlechtlichkeit der Sprachbenutzer das Allgemeingut Sprache beschädigt und zudem Sexismus und die Spaltung der Gesellschaft befördert, verwundert es schon, dass inzwischen so eifrig gegendert wird in Medien und Behörden. Kann es sein, dass man sich dort gar nicht so recht darüber bewusst ist, was man im Begriff ist zu zerstören?

Albert Buchmeier, München

© SZ vom 13.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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