Corona-Stragegien:Zwischen Regelwut und Eigenverantwortung

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Die wissenschaftsbasierte Politik der Regierung sollte ergänzt werden durch mehr Empathie, schreibt ein Leser. Ein anderer wünscht sich mehr Eigenverantwortung, ein dritter eine Kosten-Nutzen-Analyse.

Zu " Grüße aus dem Labor" vom 13./14. Februar und "Immer weiter so" vom 28. Januar:

Mehr Empathie wagen

Naturwissenschaft beruht auf dem Prinzip, dass man die Dinge berechnen und dadurch die Natur beherrschen kann. 300 Jahre nach Isaac Newton hat sich dieses Denken, das damals einer neuen Auffassung von Wirklichkeit entsprach, tief in uns eingefressen. Wir folgen ihm ganz selbstverständlich in unserer Weltwahrnehmung und unserem Verhalten. Die Vorteile der wissenschaftlichen Sicht auf die Welt sind immens, haben das moderne Leben mit all den Errungenschaften, vor allem der Technik, erst möglich gemacht.

Doch der Mensch wollte von jeher mehr und stand der Naturwissenschaft mit ihrer Zahlenlastigkeit, Abstraktheit und Kälte immer wieder unbefriedigt gegenüber. Max Weber sprach daher schon vor 100 Jahren von der "Entzauberung der Welt". Und sah den Sinn der Wissenschaft gerade darin, "alle transzendenten Prinzipien zu unterlaufen, die Welt systematisch aller spirituellen Mysterien, emotionaler Farbe und ethischer Bedeutung zu entkleiden und sie in einen bloßen ,kausalen Mechanismus' zu verwandeln".

Jetzt, gerade mal zwanzig Jahre weit im 21. Jahrhundert, steht die Welt mit genau dieser Denkweise vor dem Problem des Coronavirus. Und die Vorteile so zu denken - gewissermaßen aus dem "Labor" heraus - sind gewaltig: Im Gegensatz zu früheren religionsgeprägten Zeiten wissen wir heute, wer oder was uns bedroht, können wir die richtigen Verhaltensweisen ableiten und haben es sogar geschafft, binnen weniger Monate einen Impfstoff gegen die Bedrohung zu entwickeln - früher kannte man nicht einmal das Wort für solches Tun.

Und doch regt sich auch heute, in dieser modernen und ultratechnisierten Zeit, Widerstand gegen eine Politik, die, wie Josef Kelnberger in "Grüße aus dem Labor" schreibt, "die Gesellschaft nach den Erfordernissen der Naturwissenschaften zu steuern versucht". Der lesenswerte Essay berichtet ja davon, dass nach dem langen Lockdown "sich Zeichen von Entfremdung mehren", und macht sich Sorgen, dass "das Band zwischen Regierenden und Regierten reißen" könnte. Die Gefahr besteht zweifelsohne. Und daher stellt sich die Frage, wie die Politik mit diesem Dilemma - das im Artikel als eines zwischen Sicherheit und Freiheit beschrieben wird - umgehen soll. Ich meine, es wäre fatal, die wissenschaftliche Orientierung aufzuweichen, sie in irgendeiner Weise zu schwächen! Denn nirgends zeichnet sich Besseres ab. Die aus dem Labor abgeleiteten Regeln retten tagtäglich Menschenleben. Nur: Zahlenorientierung und Naturwissenschaftlichkeit alleine werden nicht ausreichen! Die nackten Fakten müssen ergänzt werden um das, was der Autor im vorletzten Satz schreibt: einer "empathischen Erzählung", in der die nüchtern-kalte Corona-Politik "einzubetten" ist. Nur frage ich mich, wer dazu in der Lage wäre, so ein Narrativ zu verfassen, mit dem man die Menschen in ihrem Inneren kommunikativ gewinnen könnte. Die an sich zuständigen Kirchen schweigen ja stille und auch die Psychologen und Soziologen sind kaum hörbar. Dabei bräuchten wir gerade jetzt zusätzlich zur Naturwissenschaft Geist und Geistlichkeit dringend.

Jürgen Karres, Landsberg

Selbst auf sich achten

Solange wir ohne Eigenverantwortlichkeit mit dem Finger auf die Anderen zeigen, wird es mit der Pandemie so bleiben. "Kaum noch auszuhalten" sind die weinerlichen Übertreibungen in einem Land, wo Milch und Honig in jedem Supermarkt fließen. Anstatt unmündig auf Hilfe von außen zu warten (Impfstoffe), sollte jeder selbst durch kontrolliertes Verhalten beitragen, dass das Virus keinen neuen Wirt findet. Der Freiheitsbegriff nämlich in unserer exzessiv individualistischen Welt ist übertrieben und darf nicht zum undisziplinierten "Anything goes" führen. Nur wer an die Macht herrschender Götter oder herrschender Politiker glaubt, kann sich "eine klare Ansage" wünschen.

Selbständig denkende Zeitgenossen machen sich die Mühe zu überlegen und handeln dann hoffentlich überlegt. Es ist in der Tat eine widersprüchliche "Autoritätsbedürftigkeit", wie Matthias Drobinski schreibt: Einerseits soll "da endlich mal einer sagen, wo es langgeht", andererseits soll die persönliche Freiheit nicht eingeschränkt werden. So etwas kann nur die "gute Königin" im Märchen. In einer pluralen Demokratie muss man sich durch die Vielstimmigkeit individueller Ratschläge durchbeißen, um zu einem wissenschaftlich fundierten Kompromiss zu gelangen, der die Hauptsache im Blick hat: die möglichst nachhaltige Vermeidung der Infektion.

Dr. Dietrich W. Schmidt, Stuttgart

Durchwursteln statt Zero-Covid

Dem Verfasser von "Immer weiter so" ist zuzustimmen, dass weder die totale Lockerung noch die Zero-Covid-Strategie gangbare Optionen sind. Zero-Covid ist eine unerreichbare Schimäre und ähnelt einem Selbstmord aus Angst vor dem Tod, weil sie die wirtschaftliche Basis unseres Wohlstands zerstören würde. Selbst wenn die Neuinfektionen für kurze Zeit auf null gedrückt werden könnten, gäbe es keine Gewähr dafür, dass das Virus nicht aus dem Ausland wieder eingeschleppt würde.

Also ein Ja zum Durchwursteln! Dabei ist die entscheidende Frage nicht, wie scharf oder locker die Corona-Maßnahmen sein sollen, sondern wie effizient sie sind: Wie stark kann man Neuinfektionen und Todesfälle reduzieren, und was kostet das? Legt man diesen Maßstab an, erkennt man, dass die Schließung von Restaurants und Kultureinrichtungen maximal ineffizient ist: Sie kostet den Finanzminister 15 Milliarden Euro pro Monat und hatte keinen messbaren Einfluss aufs Infektionsgeschehen. Teuer ist auch die Schließung des Einzelhandels, weil massenweise Insolvenzen drohen. Am teuersten sind Schulschließungen, weil Bildung die wichtigste Investition in künftigen Wohlstand ist. Dagegen sind die FFP2-Maskenpflicht und das Home-Office extrem kostengünstig.

Prof. Dr. Friedrich Breyer, Konstanz

© SZ vom 05.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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