Corona-Notbremse:Gesetz mit Nebenwirkungen

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Viele Politiker und auch Wissenschaflter setzen auf bundeseinheitliche Regeln zur wirksameren Bekämpfung der Pandemie. Das geplante Gesetz hierzu berge aber auch Risiken für den Förderalismus, schreiben Leser.

Auf den richtigen Hebel kommt es an: Notbrems-Vorrichtung an einer Rolltreppe in der Frankfurter Innenstadt. (Foto: Ralph Peters/imago images)

Zu " Kabinett beschließt Notbremse", " Im Bund gegen die dritte Welle" und zu " So sind Menschen nicht", alle vom 14. April, sowie zu " Schluss mit Wischiwaschi" und " Es ist ernst" vom 10./11. April:

Schluss mit dem Rumeiern

Die von Bund und Ländern zunächst beschlossene Notbremse wurde überall anders umgesetzt. Jetzt soll ein Bundesgesetz dafür sorgen, dass einheitliche Regeln in ganz Deutschland gelten sollen. Hätten sich die Bundesländer an die Beschlüsse gehalten, bräuchte man das neue Gesetz nicht. Warum werden nicht die bestraft, die sich nicht an die Beschlüsse hielten?

In der Fahrschule bekommt man Verkehrsregeln beigebracht, damit man gefahrlos am Straßenverkehr teilnehmen darf. Unter anderem ist zu erfahren, dass man bei Rot nicht über die Ampel fahren soll. Fährt man trotzdem und wird dabei erwischt, muss man blechen. Warum muss keiner für die nicht eingehaltenen Bund-Länder-Beschlüsse zahlen?

Und ist es nicht an der Zeit, dass man aus 16 verschiedenen Gesetzen, Verordnungen, Satzungen, Ermächtigungen, Kultusministerien, Lehrplänen und Bußgeldern eine bundeseinheitliche Regelung schaffen sollte? Wir hatten 16 verschiedene Meldegesetze mit 16 verschiedenen Fristen und 16 verschiedenen Bußgeldern. Seit 1.11.2015 haben wir dafür eigentlich ein einheitliches Bundesgesetz mit gleichen Fristen und gleichen Bußgeldern. Jedem hat das genützt und niemandem geschadet.

Egal wer Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler wird, es bedarf dringend der Grundsanierung unseres föderalen Staates. Das Rumeiern kostet sehr viel Geld, sehr viel Zeit und jetzt - in der Pandemie - Menschenleben!

Siegmar Unger, Hollstadt

Eingangs- statt Ausgangssperre

Wenn das Ansteckungsrisiko im Freien im Promillebereich liegt, brauchen wir doch wohl eher eine Eingangs- als eine Ausgangssperre.

Charles Pattinson, München

Kompromisse helfen dem Virus

Mit Krankheit und Tod schließt man keine Kompromisse, auch nicht mit deren Verursachern. Wir leben nicht mehr im Zeitalter der Pest-Epidemien, als man wenig wusste und viel glaubte. In der Corona-Pandemie weiß die Medizin, wie man handeln muss, um dem Verursacher des Unglücks zu entgehen; also folgen wir diesem Wissen!

Wir können uns nicht mehr durchwursteln durch die einzelnen Egoismen (der Friseure, der Modeboutiquen, der Tourismusbranche, der Fitnessstudios und der Restaurants etc.). Dergleichen "Kompromisse" machen die Rechnung ohne das Virus, das ist der entscheidende Fehler! Deshalb: Verhalten wir uns so, dass das Virus keinen Wirt findet, aber bitte konsequent! Das bedeutet - einfach und niederschmetternd - so wenig Kontakt wie möglich, ohne Ausnahme! Welch ein Schrecken, dieser "unerträgliche" Lockdown? Jedenfalls erträglicher als ein schwerer Krankheitsverlauf.

Ja, liebe Leute, schrecklich, aber ein kurzer Lockdown ist ein Schrecken mit Ende: Nach wenigen Wochen entschlossenen "Einsiedlertums" wird es vorbei sein, das "Elend". Nur so wird das Virus den Kampf verlieren. Die gegenwärtige Politik des Nachdenkens und Zögerns wird nicht helfen, nicht einmal zum Machterhalt der vertröstenden Entscheidungsträger. Diese hilflos herumirrende Sorge der Regierung zwischen den (durchaus verständlichen) Interessen der Wirtschaft ist nur der Versuch, keine Wähler zu verlieren; sie hält keinen Schaden vom deutschen Volke ab, sondern führt uns nur vor, was ein "Schrecken ohne Ende" ist.

"Es ist ernst" von Frau Emcke ist ein gut geschriebener und dringend notwendiger Appell an den Diensteid der Regierenden und die erforderliche Umkehrung der Ermahnungen, die nun auf Politiker zurückfallen.

Dr. Dietrich W. Schmidt, Stuttgart

Was die Grundordnung gefährdet

Die Disziplinlosigkeit der Landesfürsten und das Ausleben ihrer Egos, aber auch ihrer unangemessenen Klientelpolitik, hat zu erheblichen Glaubwürdigkeitsverlusten beim Volk geführt. Darin liegt die Gefahr, dass selbst sinnvolle Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie nicht mehr ausreichend akzeptiert und umgesetzt werden und das Gesundheitssystem nachhaltig überfordert wird. Es schreit daher geradezu danach, eine zentrale länderübergreifende Pandemiebekämpfung zu etablieren. Aber bitte nicht so!

Zur wirksamen und bundeseinheitlichen Bekämpfung der Pandemie soll nun das Infektionsschutzgesetz mit gravierenden und gefährlichen Einschnitten in die verfassungsmäßigen Grundrechte novelliert werden. Insbesondere Kontaktverbote und - noch viel schlimmer - Ausgangssperren sind Eingriffe in die Verfassungsrechte, die so einschneidend sind, dass sie nur das allerletzte Mittel sein können, um ein noch höheres Verfassungsgut, nämlich das Leben, zu schützen.

Bisher haben die Gerichte zu Recht solche Maßnahmen nur akzeptiert, wenn sie alternativlos und wirksam und angemessen waren. Das hängt von der konkreten Situation in der Abwägung einer Vielzahl von Bedingungen ab und ist daher immer neu zu entscheiden. Demgegenüber setzt die Novellierung zur Durchsetzung von Kontakt- und Ausgangssperren nur auf ein Kriterium. Und das ist die Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 über einen Zeitraum von jeweils drei Tagen. Genau darin liegt die Gefahr einer willkürlichen Außerkraftsetzung von Verfassungsrechten.

Erstens ist unter Wissenschaftlern längst klar, dass die Inzidenzzahl nur eines unter vielen Kriterien ist zur Beurteilung der Pandemie. Zweitens ist auch die Wissenschaft nicht einig, welcher Inzidenzwert denn nun eine gefährliche Schranke darstellen sollte. Was, drittens, aber viel schwerer wiegt, ist, dass es keine einheitliche und nachvollziehbare Messung der Inzidenz über das Land hinweg gibt. Wenn Inzidenzwerte veröffentlicht werden, geschieht das stets mit dem Zusatz, dass die Meldungen über Infektionszahlen unvollständig sind. Zudem kann die Nachverfolgung von Infektionen durch die Gesundheitsämter mehr oder weniger intensiv sein, je nach personeller Ausstattung und Engagement, was auch das Zahlenwerk mehr oder weniger beeinflusst. Und wer kontrolliert, ob die jeweilige statistische Basis richtig bestimmt und für die Bestimmung der Inzidenz tauglich ist? Da die Meldungen weiter aus den gleichen Quellen in der Fläche kommen wie bisher, werden die Ministerpräsidenten auch Politik mit den Zahlen machen wollen. Das war ja auch bisher das Problem der föderalen Pandemiebekämpfung. Es geht immerhin um erhebliche Einschränkungen von Grundrechten.

Denkt man einen Schritt weiter, kann ein schlampig novelliertes Infektionsschutzgesetz sogar der Türöffner für eine willkürliche Außerkraftsetzung von Verfassungsrechten sein, wenn zum Beispiel Politiker die Macht ergreifen, die weder demokratisch noch liberal eingestellt sind. Bisher haben die unterschiedlichen Gerichte in den Bundesländern ein Auge auf die Wahrung der Bürgerrechte werfen können. Mit einem Bundesgesetz bleibt einem nur der weite Weg zum Bundesverfassungsgericht. Es besteht also höchste Gefahr, nicht nur durch die Pandemie selbst, sondern auch durch inkompetentes politisches Handeln. Zentrale, zeitlich begrenzte Pandemiebekämpfung ja, aber bitte unter Wahrung der Nachvollziehbarkeit von Kriterien, parlamentarischer Kontrolle und Sicherung der Rückkehr zu den Verfassungsrechten.

Peter Bonerz, Troisdorf

Sonderfall an Tschechiens Grenze

Wenn der Bund eine einheitliche Regelung von Maßnahmen gegen das Coronavirus so beschließt wie zuletzt erörtert, können sich Eltern und Schüler in Hof und im Kreis Greiz schon mal darauf einstellen, dass es bis zu den Sommerferien keinen Unterricht mehr gibt. Dass diese Art Maßnahmen nicht geeignet ist, die Inzidenz zu senken, erlebt man im Landkreis Greiz nun schon seit Wochen.

Der Automatismus ausgehend von Inzidenzwerten, die von Teststrategie und Größe des Referenzgebiets Landkreis beeinflusst werden, kann zu nicht sachgerechten Einschränkungen führen. Die von den Infektionen betroffenen Altersgruppen werden nicht berücksichtigt. So würden Corona-Cluster wie in einigen Kindergärten des Kreises Greiz verteilt auf vier Millionen Berliner die Inzidenz gar nicht nennenswert beeinflussen. Und dass wieder viele Maßnahmen gegen das gerichtet sein sollen, was Menschen privat machen und was das Leben lebenswert macht, aber etwa Zwangslizenzen für die stockende Impfstoffproduktion nicht auf der Agenda stehen, frustriert.

Dr. Friedrich Franke, Gera

© SZ vom 21.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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