Corona-Lockerungen:Freude, Furcht, Verdruss

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Die einen atmen auf und feiern den Freedom Day, die anderen sind voller Sorge ob der hohen Inzidenzen.

SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte (Foto: N/A)

Zu "Nicht allen winkt die Freiheit" und "Mehr Rücksicht bitte" vom 22. März, zu "Die Wut der Ministerpräsidenten", "Das ist ja Wahnsinn" und "Maske auf - aus Solidarität" vom 19. März sowie zu weiteren Artikeln:

2 G statt beatmet und bestattet

Na klar, "Alles auf", Masken weg, Pandemie ist aus. Angsthasen können sich im Stall einsperren. So einfach ist es nicht. In "Nicht allen winkt die Freiheit" wird eindrucksvoll gezeigt, dass die neue "Freedom Strategie" unserer Politiker nicht zu Ende gedacht ist. Für Risikogruppen beginnt eine noch schwerere Zeit als bisher. Ich gehöre dazu wegen Vorerkrankungen und Alter und bin froh, zwei schwere Erkrankungen überstanden zu haben. Mit der Maske kann ich mich schützen, aber wenn mein Gegenüber keine trägt, ist die Ansteckungsgefahr größer. Die Virenlast steigt in Innenräumen, etwa im Einzelhandel.

Nun ist es kein Drama, wenn ich mit 75 an Corona schwer erkranke und sterbe, aber ich möchte es noch nicht so gerne. Mir wäre eine 2-G-Regelung lieber als eine 2-B-Regelung - nämlich beatmet und bestattet. Volkswirtschaftlich gesehen ist es vielleicht nicht schlecht, wenn möglichst viele von uns Alten keine Renten mehr beziehen. Alter Spontispruch: "Wer stirbt, spart."

Dietlind Hagenguth, Grafrath

FFP2-Maske reicht als Schutz

Aus Solidarität mir meinen Atem nehmen zu lassen, wo es nicht mehr notwendig ist (außer in Krankenhäusern und Pflegeheimen), kommt für mich nicht infrage. Warum sollte ich, die sich dreifach impfen hat lassen, sobald ich Termine hatte, und bisher alle Maßnahmen mitgetragen habe, mich und meinen Atem weiterhin einschränken lassen, um diejenigen zu schützen, die für sich keine Verantwortung übernehmen und sich nicht gegen eine schwere Covid-19-Erkrankung impfen lassen? Bitte erklären Sie mir das. Es steht jedem frei, eine FFP2-Maske zu tragen, die einen selber schützt, wenn man dies wünscht.

Silke Petersen-Ehret, Bergisch Gladbach

Impfen + Boostern reichen nicht

Das Tragen von Masken wurde mit dem Slogan "schütze Dich und andere" propagiert. Soll man sich nun im ÖPNV anhusten und anniesen lassen und nur durch die eigene FFP2-Maske geschützt sein? Hier interagieren mehrere Grundrechte, die alle von Artikel 2 geschützt sind. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit hat nichts mit der Minimierung des allgemeinen Lebensrisikos zu tun. Impfen und Boostern reichen eben nicht aus, um einen ausreichenden Infektionsschutz herzustellen, um den Aufenthalt auf der Intensivstation zu verhindern. Ein Drittel der Intensivpatienten sind geimpft und geboostert. Von der Welt der Erwachsenen ins Schattenreich des Todes ist es nur ein kurzer Weg.

Walter Kilchenstein, München

Rationales Handeln vermisst

Waren die Maßnahmen rational, die Bundes- und Landesregierung während der Corona-Pandemie angeordnet haben? Werner Bartens hat, wie so viele in den vergangenen zwei Jahren, nur einen Blickwinkel. Die Schilderungen im Buch Zwei stellen eine andere Sichtweise dar. Gravierende und langfristige psychische Folgen bei Kindern und Jugendlichen sind das Ergebnis des aus Sicht der Corona-Risikogruppen rationalen Verhaltens. Auch diese psychischen Erkrankungen führten zu Krankenhauseinweisungen, Intensivpatienten und Todesfällen, wie es im Artikel "Wie geht es dir?" angedeutet wird.

Der Ausgleich zwischen den Folgen für diejenigen, die besonders unter den Corona-Maßnahmen leiden, und den Corona-Risikogruppen ist aus meiner Sicht in den meisten anderen europäischen Ländern, die im Schulalltag und bei den Einschränkungen für Kinder und Jugendliche einen anderen Weg gewählt haben, deutlich besser gelungen. Dies wäre auch in Deutschland die "Public Health"-Aufgabe gewesen. Doch da habe ich rationales Handeln oft vermisst.

Frank Deubner, Eisenheim

Primat des Schreckens

Willkommen im "großen Freiheitsstall" der FDP. Bundestag und Bundesrat verabschieden trotz aller Bedenken der Ministerpräsidenten die "Erneuerung" des Infektionsschutzgesetzes, das den Namen nicht verdient, da die Schutzmaßnahmen weitgehend abgeschafft werden. Die Verantwortung des Bundes wird auf die Länder abgeschoben, die in Rechtsunsicherheit bei steigenden Zahlen agieren dürfen. Eine letzte "Galgenfrist" wird ihnen für die Fortführung der bisherigen Regeln bis Anfang April zugestanden. Danach gilt das Primat "der absoluten Freiheit und des Schreckens" eines Justizministers Buschmann (FDP), der sich gegen Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) hat durchsetzen können. Dem Virus wird in Supermärkten, Kaufhäusern und Restaurants Tür und Tor geöffnet, was zu einer unkontrollierten Durchseuchung der Bevölkerung führen wird, mit allen Konsequenzen für Ärzte und Pflegepersonal in den Krankenhäusern.

Dr. Charles Woyth, Berlin

Narzisstischer Sozialdarwinismus

Jetzt kann die FDP-Öffnungslobby mit ihren Apologeten Gassen und Streeck ein neues Kapitel ihrer Pandemieverharmlosung aufschlagen. Narzisstischer Sozialdarwinismus, der als Freiheit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung verkauft wird. Aktueller Preis: 1000 Tote pro Woche.

Dr. med. Ralf Meyer, Bremen

Durchreichen der Verantwortung

Die Wut der Ministerpräsidenten erscheint nachvollziehbar. Wie so oft in der Politik geht es um die fatale Neigung, sich vor Verantwortung zu drücken. Zu Beginn der Corona-Maßnahmen haben Opposition und Medien beklagt, dass Parlament und Länder nicht genügend einbezogen wurden. Jetzt dürfen sie mehr gestalten und jammern. Denn die verordneten Maßnahmen haben den Politikern bislang vor allem Ärger beschert. In allen Staatsformen, Wirtschaftsbetrieben, Behörden scheint das "Durchreichen von Verantwortung nach unten" eine eingeübte Methode von Mächtigen zu sein, die eigene Weste möglichst sauber über die Zeit zu retten. Vermutlich haben wir zu viele narzisstische und zwanghafte Charaktere in Führungspositionen, denen das eigene Ansehen das höchste Gut und den Hintern an die Wand zu drücken ein zentrales Lebensprinzip ist.

Dr. med. Peter M. Roth, Calden

Höhere Krankenkassenbeiträge

Natürlich ist es nicht Aufgabe des Staates, das Lebensrisiko des Einzelnen zu minimieren. Aber leider ist es so, dass der Einzelne sich effektiv nur mit einer FFP3-Maske gegen Viren schützen kann, die aber die Atmungsfähigkeit erheblich einschränkt. FFP2- und medizinische Masken schützen meist andere Menschen mehr als den Träger (so die Packungsbeilage). Daher ist dies ein System, das auf Solidarität baut.

Es gibt zwar auch Impfungen. Obwohl diese meist vor schweren Verläufen schützen, so schützen sie nicht vor einer Covid-Erkrankung. Leider scheinen auch leichte Verläufe einer Omikron-Infektion mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 15 bis 20 Prozent zu Post-Covid zu führen. Die Folge: massive Atemprobleme, Verlust des Geruchssinns, "Brain-Fog" sowie eine signifikante Erhöhung des Risikos für Schlaganfälle, Lungenembolien oder Herzinfarkte. Die Länge dieser Symptome kann bisher nur schwer geschätzt werden. Fakt ist aber, dass sie Lebensqualität und gegebenenfalls Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen.

Geht man bei einer Lockerung von einem massiven Ansprung der Inzidenz aus, auf 3000 oder 4000 im Bundesdurchschnitt, so hat man nach Adam Riese und Dreisatz pro Woche etwa 4,1 Millionen Infizierte, das sind um die 830 000 Post-Covid-Betroffene pro Woche. Ich kann mir vorstellen, dass dies das Gesundheitssystem nicht so locker wegsteckt. Die Lockerungsmaßnahmen werden unweigerlich zu viel höheren Krankenkassenbeiträgen führen oder dazu, dass viele Kosten nicht mehr von den Kassen übernommen werden.

Sicher sollte man den verantwortungsfähigen Bürgern weiterreichende Rechte gewähren, aber wo sich die Bürger nicht als verantwortungsfähig erweisen, sollte der Staat Regeln definieren. Das ist auch in anderen Bereichen der Fall, wie zum Beispiel Höchstgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften oder Vorschriften für das Tragen von Waffen. Diese Gebote und Verbote gelten auch dem Schutz derer, die nicht mit dem Auto unterwegs sind oder ohne Waffe in der Fußgängerzone umherschlendern.

Jörg Ingenpaß, Flensburg

Gegen Entmündigung

Dass "Maske tragen ein Zeichen von Solidarität" ist, teile ich nicht; im Gegenteil: ein Zeichen der Entmündigung. Wenn mir einer vorschreibt, wie ich mich zu schützen habe, dann schwingt er sich zu meinem "Vormund" auf und ich bin "entmündigt", weil ich zu dumm bin, mich zu schützen. Ich protestiere auf das Schärfste. Wer sich schützen will, der kann und sollte das tun, aber keiner darf mich dazu zwingen.

Willi Bühler, Hamburg

Die Welt der Rücksichtslosen

Mein Mann, mein Bruder und ich sind alle geimpft, geboostert und vorsichtig. Trotzdem müssen wir Lebensmittel einkaufen, auch zu Hauptverkehrszeiten öfters die brechend vollen MVV-Verkehrsmittel nutzen. Schon zu Anfang der Pandemie wurde betont, dass man mit einer Maske vor allem andere schützt, weniger sich selber. Angelika Slavik ist der Meinung, wir alle sollten wieder mehr abhängig sein von der Vernunft und Empathie einer Umgebung, die man sich oft genug nicht selbst auswählen kann. Natürlich können und sollten Grundrechte nur ausnahmsweise eingeschränkt werden, aber ich bin überzeugt, dass diese verfrühte Aufhebung der Beschränkungen uns noch viele vermeidbare Long-Covid- und Todesfälle bringen wird. Leider liegt die Verantwortung für die eigene Gesundheit noch nicht bei jedem selbst.

Mein Mann, mein Bruder und ich sind ganz ohne Party oder Demoteilnahme kürzlich an Covid erkrankt. Ich habe es glimpflich überstanden, mein Mann kämpft mit den Nachwirkungen. Mein Bruder ist nach siebenwöchigem Kampf gestorben. Aber zur schnellen Wiedererlangung der allgemeinen Freiheit lassen sich halt Opfer nicht vermeiden, gell? "Willkommen in der Welt der Erwachsenen", ruft uns die Autorin freudig zu. Wahr ist wohl eher: "Willkommen in der Welt der rücksichtslosen Freien."

Marlies Tremmel,  München

Seit zwei Jahren ausgeschlossen

Wenn man in die skandinavischen Länder schaut, fragt man sich, was macht das Virus dort anders als bei uns? Denn dort darf seit Wochen jede und jeder selber entscheiden, ob er/sie sich mit Maske schützt. (Die Infektionszahlen waren/sind zeitweise sogar noch höher als bei uns.) Die Schweden sind aber auch nicht ausgestorben.

Ich habe die Nase voll, immer nur von gefährdeten Menschen zu lesen, die um die Solidarität bitten. Es gibt auch andere Personengruppen, die in den letzten zwei Jahren ausgeschlossen waren. Menschen wie mich. Ich kann nur unter sehr erschwerten Bedingungen Maske tragen (mit 1200 mg Ibuprofen und einer Migränetablette, nach zwei Stunden einer weiteren Migränetablette). Das ist die Folge einer Tumor-OP in der rechten Gesichtshälfte, unter deren Folgen ich mein ganzes Leben lang leiden werde. Ich bin Schmerzpatientin mit entsprechender Medikation (Morphium). Ich habe ein ärztliches Attest. Aber es taugt allenfalls zum Wegschmeißen, denn überall gilt "Hausrecht", was heißt, alle müssen Maske tragen.

So habe ich mich in den letzten zwei Jahren aus dem öffentlichen Leben herausnehmen müssen. Ich bin mit diesem Problem nicht alleine. Gilt es jetzt nicht endlich mal, diese Gruppe von Menschen zu bedenken. Wenn es unbedingt sein musste und ich mal per S-Bahn unterwegs war, wurde ich salopp gesagt "blöd angemacht". Man hielt mir vor, das Attest sei gefälscht, der Arzt ein Querdenker und Betrüger. Zwei Jahre war ich nicht mehr beim Allgemeinarzt, Zahnarzt, einer Vorsorgeuntersuchung, geschweige denn in Kirche oder Museum. Liebe Frau Berndt, ich habe diese ganzen Maßnahmen, so blödsinnig viele auch waren, mitgetragen. Doch seit es Impfstoff für alle gibt, habe ich keine Toleranz mehr.

Ich bin froh, dass jetzt auch Deutschland wieder etwas normaler wird. In den anderen Ländern geht es ja auch. Irgendwann wird jede und jeder sich mit Corona infizieren. Hoffentlich ist jede und jeder so klug, sich impfen zu lassen. Ich bin es, mein gesamtes Umfeld ist es.

Barbara Breuer, Ebersberg

© SZ vom 26.03.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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