Berlin:Luxus im Hinterhof

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Die Wohnungen in Riehmers Hofgarten, einem historischen Gebäudeensemble in Berlin, wurden modernisiert und teilweise in Eigentumswohnungen umgewandelt. (Foto: imago images)

Hell, großzügig, teuer: Der Wohnkomplex Riehmers Hofgarten in Berlin war schon bei seinem Bau im 19. Jahrhundert umstritten. Weil modernisiert gibt, gibt es nun wieder Streit.

Von Lars Klaaßen

Schon als Riehmers Hofgarten zwischen 1881 und 1899 gebaut wurde, war er eine Ausnahme in Berlin. Der Wohnkomplex war eine Kampfansage an die Stadtentwicklung mit ihren üblichen Mietskasernen ohne ausreichendes Licht oder gar Grünflächen. "Ein großer gärtnerisch ausgeschmückter Hof, wie ich ihn anzulegen beabsichtige, entspricht dem Charakter der Gegend, während große Mietskasernen oder gar Fabrikanlagen, deren Erbauung hingegen nicht untersagt wird, der Gegend zu Unzierde gereichen", schrieb Maurermeister Wilhelm Ferdinand August Riehmer 1881 an das Bezirksverwaltungsgericht. Der Bauherr hatte damals große Schwierigkeiten, eine Genehmigung für seine außergewöhnliche Anlage zu bekommen. "Da mir die Bauerlaubnis zu Unrecht untersagt worden ist, beschreite ich den Weg der Klage, mir den Baukonsens nach den vorliegenden Zeichnungen zu erteilen." Es dauerte mehr als zwei Jahre, bis die Behörden den Bau der Häusergruppe mit 13 Höfen und Privatstraße schließlich genehmigten.

Die Zielgruppe waren finanziell potentere Mieter aus dem Bürgertum, zum Beispiel höhere Beamte

Die 18 Wohngebäude mit je fünf Etagen wurden entlang einer T-förmigen Allee errichtet, die das Innere des Blocks mit dem öffentlichen Stadtraum verbindet. Was diesen Gebäudekomplex zwischen Yorck-, Großbeeren- und Hagelberger Straße von anderen Hinterhöfen unterscheidet, sind neben der offenen und hellen Hofstruktur auch die prächtigen Fassaden mit Elementen vom Spätklassizismus bis hin zum Neobarock.

Den Rahmen für die außergewöhnliche Architektur lieferte der Bebauungsplan des Berliner Stadtplaners James Hobrecht. Der Angestellte des Polizeipräsidiums hatte von 1858 bis 1862 ein Konzept für die Stadterweiterung entwickelt - ein großzügiges, rechtwinkliges Straßenraster mit breiten Magistralen und zahlreichen Plätzen. Da der Staat die Kosten der Erschließung übernehmen musste, wurden die Blöcke groß angelegt: 200 bis 400 Meter lang und 150 bis 200 Meter tief. Für die innere Bebauung gab es kaum Vorschriften. Die Bauordnung von 1853 sah lediglich eine Hofgröße von 5,30 mal 5,30 Meter vor, damit eine Feuerspritze darin gewendet werden konnte. Dieses Mindestmaß wurde 1887 auf 60 Quadratmeter vergrößert. Der Hobrecht-Plan begrenzte zudem die generelle Traufhöhe auf 22 Meter. Um maximalen Gewinn herauszuschlagen, bebauten private Investoren die großen Grundstücke so eng wie möglich, oft mit mehreren Hinterhöfen.

Riehmer brach mit dem üblichen Hinterhofschema, indem er eine Privatstraße hindurchführte. Damit hat der Bauherr zwar einige Quadratmeter potenziell zu vermietender Fläche verschenkt. Dafür bot das Ensemble durchgehend repräsentative Wohnhäuser mit mehr Licht und Grün als seinerzeit in Berlin üblich, außerdem Wohnungen mit drei und mehr Zimmern. Finanziell potentere Mieter aus dem Bürgertum, etwa höhere Beamte, waren die Zielgruppe Riehmers. Seine Rechnung ging auf.

"Riehmers Hofgarten ist ein Paradebeispiel für Spekulation mit Wohnraum", twitterte Bezirksstadtrat Florian Schmidt

Mit der Ausrichtung auf eine liquide Klientel war Riehmers Hofgarten ein Gentrifizierungsprojekt des ausgehenden 19. Jahrhunderts, auch wenn damals noch niemand diesen Begriff benutzte. Heute steht das Ensemble wieder in der Kritik: "Manche glauben, Eigentumswohnungen könnte man umbauen wie es passt zur Vermarktung und Vermietung. Ist aber nicht so im sozialen Erhaltungsgebiet", twitterte Florian Schmidt (Bündnis 90/Grüne), Baustadtrat des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg im Februar 2020. Und einige Monate später sagte er dem Berliner Tagesspiegel: "Riehmers Hofgarten ist ein Paradebeispiel für Spekulation mit Wohnraum. Wir werden weiterhin alle Instrumente nutzen, um hier gegenzusteuern."

Die Immobilen wurden Gegenstand einer Gentrifizierungsdebatte, weil sie zwischenzeitlich einiges von ihrem Glanz verloren hatten - und infolgedessen auch für weniger Betuchte bezahlbar waren. Bis vor Kurzem, denn dann wurde saniert.

Ein Teil der Häuser ist im Zweiten Weltkrieg zerstört und danach nicht mehr in der ursprünglichen Form wieder aufgebaut worden. Der erhaltene Gründerzeitbestand wurde 1953 unter Denkmalschutz gestellt. Zehn Jahre später wurden die Fassaden restauriert. In den Siebziger- und Achtzigerjahren wurde die ganze Anlage renoviert, die Wohnungen wurden modernisiert. Im Vergleich zu heute war das Mietniveau in Westberlin niedrig. Leute, die sich dort Luxuswohnungen leisten wollten und konnten, waren selten, Stuck-Altbauten aus Kaisers Zeiten ohnehin aus der Mode. 2006 ging Riehmers Hofgarten an einen Investor, der die 200 Wohnungen nicht mehr regulär vermietete, sondern kurzzeitig möbliert vergab.

Der Komplex steht seit Januar 2020 unter Milieuschutz - ein Unternehmen kam dem zuvor

Heute gehören die Immobilien verschiedenen Eigentümern. So hat das Immobilienunternehmen Accentro Real Estate vor zwei Jahren 98 leer stehende und vermietete Wohn- und Gewerbeeinheiten erworben. Nach Sanierung und Modernisierung werden sie nun als Eigentumswohnungen auf den Markt gebracht. Um Luxussanierungen zu unterbinden, hatte Baustadtrat Schmidt die Anlage dem angrenzenden sozialen Erhaltungsgebiet zugeordnet. Seit dem 30. Januar 2020 steht Riehmers Hofgarten zwar unter Milieuschutz, doch Accentro war dem zuvor gekommen - und hatte alle Bauvorhaben noch vorher von den Behörden genehmigen lassen.

"Eine Sanierung war dringend nötig", sagt Ivo Mokroß, Leiter des Projekt- und Asset-Managements bei Accentro. "Die Wohnungen hatten teils keine Decken mehr, Wände waren durchbrochen, Bäder fehlten." In enger Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde habe man die historische Substanz so weit wie möglich wiederhergestellt und die Wohnungen auch technisch wieder auf den neuesten Stand gebracht. Beim Austausch der Steigleitungen aus den Achtzigerjahren musste auch Asbest entfernt werden. Die Grundrisse der Wohnungen wurden zum Teil verändert. "Ich wollte den Anspruch des damaligen State-of-the-Art wieder in die Wohnungen hineinbringen, Riehmers Haltung ins Jetzt projizieren", erläutert Innenarchitekt Fabian Freytag, der neben den Grundrissen auch zwei Penthäuser auf den Dächern entworfen hat. Diese wurden aus Denkmalschutzgründen zurückversetzt - so bleibt selbst ein Domizil mit sechs Zimmern auf 246 Quadratmetern Wohnfläche auf dem Dach von der Straße aus unsichtbar.

Bei der Restaurierung haben Denkmalpfleger und Restauratoren viel recherchiert. Wie waren die Wände bespannt, mit welchen Farben die Holzelemente gestrichen, wo zeigten sich noch Spuren einer Grundierung, wie waren die Stuckelemente farblich aufeinander abgestimmt? Zehn Restauratoren haben knapp ein halbes Jahr lang unter anderem 640 Holztüren überarbeitet und 6,2 Kilometer Stuck saniert. Historische Beschläge, die nicht mehr restauriert oder nachbestellt werden konnten, wurden nachgegossen.

Das hat seinen Preis. Mindestens 17 000 Euro kostet ein Penthouse pro Quadratmeter. Für leer stehende und sanierte Wohnungen werden ab 4000 Euro je Quadratmeter aufgerufen. Bisherigen Mietern wurde ein Vorzugspreis eingeräumt - ab 3600 Euro pro Quadratmeter. Jetzt, wo Riehmers Hofgarten bis ins Detail historisch wiederhergestellt ist, wird die Anlage auch sozial wieder zu dem, was sie ursprünglich war: ein mondänes Objekt für eine eher liquide Klientel.

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