Antisemitismus:Offenere Debatte nötig

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Die Diskussion um Aussagen des Historikers Mbembe könnte der Anfang einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus sein, hoffen einige Leser. Andere mahnen, dass bei der Jugend mehr Aufklärung nötig sei.

Zu " Trauma-Deuter" vom 15. Mai und " Sorge reicht nicht" vom 11. Mai:

Sie schreiben groß, "Die Debatte um Achille Mbembe schadet Deutschland, denn die Erinnerungskultur braucht andere Perspektiven." Na, welche denn? Ich vermisse die Ansätze dazu. Es ist eine kleine, verdrehte Welt, wenn ein afrikanischer Historiker und Politikwissenschaftler sich zu einem freien Wort entscheidet und feststellt: "Ich respektiere die deutschen Tabus, aber es sind nicht die Tabus aller Menschen auf der Welt." Was sollte daran falsch sein und immerzu den Schlenker zum Antisemitismus rechtfertigen? Warum kann in Deutschland nicht, nach diesen unsäglichen Geschehnissen, offen auch die "Besatzungsmacht Israel" mit allen logischen Denkansätzen kritisiert werden, ohne dass der Hammer "Antisemitismus" hervorgeholt wird!?

Gerd Hummert, Eschmar

Die Kritiker Mbembes begründen ihren Antisemitismus-Vorwurf mit dessen postkolonialem Verständnis von der israelischen Palästinenserpolitik. Selbst wenn dies Verständnis grotesk übertrieben sein sollte, wäre es dadurch nicht antisemitisch.

Den Kritikern fehlt offenbar ein Begriff von Antisemitismus. Darunter wird in der Wissenschaft "Feindschaft gegen Juden als Juden" verstanden, nachzulesen in dem Bericht des 2014 vom Bundestag eingesetzten Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus. Um den Vorwurf des Antisemitismus gegenüber Mbembe zu rechtfertigen, müssten seine Aussagen danach im Wege einer sogenannten "Umwegkommunikation" nur vermeintlich gegen Israel und in Wirklichkeit gegen das Personenkollektiv "der Juden" gerichtet sein. Dafür gibt es jedoch keinerlei Hinweise, die Vorwürfe sind deshalb meiner Ansicht nach infam.

Von einem Antisemitismusbeauftragten sollte man aber erwarten können, dass er einen klaren Begriff von Antisemitismus hat, und von einem FDP-Kulturpolitiker, dass er an der intelligenten Austragung von Kontroversen über Postkolonialismus und nicht an deren Unterbindung durch eine Ausladung interessiert wäre.

Prof. Dr. Lothar Zechlin, Essen

Ein sorgenvoller Artikel zum Thema Antisemitismus reicht ebenso wenig wie ein sorgenvolles Gesicht. Was tun, frage ich Herrn Schneider, Autor des Kommentars "Sorge reicht nicht", was ist der Vorschlag? Den Menschen das Denken verbieten?

Der Antisemitismus war niemals weg, nur war er leiser, und er ist kein deutsches Phänomen, sondern auch in der restlichen Welt weit verbreitet. Schlimm ist, dass er nicht nur unter Dumpfbacken, Neonazis und Ewiggestrigen grassiert, sondern in der Mitte unserer Gesellschaft. Es reicht nicht, sich darüber zu empören und noch ein paar Gedenktage für die Opfer der Schoah einzurichten. Ursachenforschung ist angesagt!

Für viele junge Leute ist "Jude" gleichbedeutend mit "Israeli" und dem Unrecht, das dort an den Palästinensern begangen wurde und noch begangen wird. Niemand wagt es, das deutlich auszusprechen, weil man fürchtet, damit in die Schublade "Antisemit" gepackt zu werden. Das muss thematisiert und diskutiert werden. Nur mit dem Finger auf Antisemiten zu zeigen, hilft nicht, es ist eher kontraproduktiv.

Renate Seitz, München

Aufklärung, selbst wenn sie die Energie eines Sisyphos erfordert, muss Daueraufgabe sein, jedenfalls, wenn Kinder und Jugendliche die Klientel sind. Erwachsene wird man nicht mit "Nathan der Weise" beeindrucken können. Hier helfen in der Tat nur rigorose Sanktionen, wobei das Ziel des Freiheitsentzuges auch (!) eine dauerhafte Sozialisation sein sollte.

Ein Staat aber, dessen Repräsentanten sich im Wesentlichen auf Sonntagsreden und Appelle zu Antisemitismus beschränken, ist wenig glaubwürdig, insbesondere wenn zum Beispiel ein Björn Höcke, der als Faschist gilt, immer noch die Option hat, nach der Politik in den Schuldienst zurückzukehren.

Robert Tomaske, Bochum

© SZ vom 28.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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