Aktionen von Klimaaktivisten:An der Politik klebt das Etikett der Klima-Ignoranz

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Tempo 100 auf Autobahnen und Neun-Euro-Ticket auf Dauer: Forderungen von Klima-Aktivisten bei einer Straßenblockade in München. (Foto: Lennart Preiss/dpa)

SZ-Leserinnen und -Leser verteidigen die "Letzte Generation" gegen Diffamierungen aus der Politik, drängen auf mehr Klimaschutz, warnen teils aber vor Selbstjustiz.

"Darf die Stadt Klima-Blockaden einfach verbieten?" vom 12. Dezember, "Ja, wo kleben sie denn?" vom 10. Dezember, "Über Feindbilder auf der Straße" vom 25. November:

Notwendige Störaktionen

Gott sei Dank setzt sich der Essay "Über Feindbilder auf der Straße" einmal kritisch mit dem Meinungsmainstream gegen die Klimaaktivisten auseinander. Ansonsten kann man nur sagen: Geht's noch, dass sich die ganze Welt über die unseren Lebenskomfort störenden jungen Leute auslässt, anstatt mit ihnen zu reden?

Wir sollten mit ihnen diskutieren, streiten und nach Wegen aus diesem unsäglichen Schlamassel suchen. Ja, gemeinsam! Nein, sie werden diskreditiert. Vorne dran, wie so oft, bestimmte Größen der CSU, die sich nicht zu schade sind, Vergleiche mit der RAF anzustellen. Welche Stimmung wollen sie erzeugen, wen wollen sie gewinnen und wem gefallen? Sie meinen wohl, so von jahrzehntelanger katastrophaler Umwelt- und Verkehrspolitik ablenken zu können. Was mussten wir uns seit 50 Jahren nicht alles anhören, als wir auf die Straße gingen gegen Atomkraft- und Atomwaffen, in Gorleben, für Umwelt- und Naturschutz, nach Tschernobyl und gegen Wackersdorf. Und was hat es gebracht?

Jetzt sollten wir uns aus unserer Komfortzone bewegen, uns mit den Jungen solidarisieren. Damit können wir den Druck auf die Politik vergrößern. Ja, wir sollten handeln. Analysiert, evaluiert wurde genug. Die Faktenlage ist klar. Zu überlegen ist auch, ob es die Möglichkeit gibt, auf Unterlassung zu klagen. Denn Präventivhaft geht ja wohl in diesem Fall nicht.

Elisabeth Rind-Schmidt, Bernried

Fragwürdige Blockaden

Es mag schon sein, dass die Rechtslage in Bezug auf die "Klimakleber" unklar ist, und dass die Stadt München mit dem pauschalen Verbot derartiger Aktionen ihre Kompetenzen überschreitet. Das heißt aber nur, dass die ungewöhnlichen Protestformen den Staat auf dem falschen Fuß erwischt haben. Wenn sie drohen sollten, überhand zu nehmen, werden Bundestag und Länderparlamente neue Gesetze beschließen, die es erlauben, schärfer zu unterscheiden: Zwischen grundgesetzlich garantierten Versammlungen, bei denen Verkehrsbehinderung die in Kauf zu nehmende Begleiterscheinung einer großen Menschenansammlung ist, und andererseits politisch motivierten Blockaden, bei denen Verkehrsbehinderung der primär angestrebte Effekt ist. Versammlungsfreiheit ist nicht gleich Blockadefreiheit. Auch die edelsten Absichten heiligen nicht jedes Mittel, zumindest sind Einzelne in einem Rechtsstaat nicht legitimiert, eine solche Güterabwägung nach eigenem Gusto vorzunehmen. Auf Notwehr - im Grunde so etwas wie Selbstjustiz - darf man sich nur in einer Gefahrensituation berufen, in der kein anderes Mittel mehr zur Verfügung steht. Wer diese Bedingung relativiert, spielt mit dem Feuer. Er stellt den Rechtsstaat als solchen in Frage.

Axel Lehmann, München

Geleimt

Zum Beitrag "Ja, wo kleben sie denn" vom 10. Dezember:

Die Einen kleben an der Straße,

die Anderen kleben an der Vergangenheit.

Die Einen kommen ins Gefängnis,

die Anderen in höchste Ämter.

Dr. Ralph Bürk, Engen

Wer verteufelt, verdrängt

Mit Erleichterung habe ich die Aussage der Rechtsprofessorin Isabel Feichtner im Beitrag "Darf die Stadt Klima-Blockaden einfach verbieten?" gelesen. Die Verhältnismäßigkeit der Aktionen von Klima-Aktivisten und der sofort folgenden scharfen Attacken seitens verschiedener Politiker und auch Privatpersonen ist schon bedenklich.

Verbale Entgleisungen sind in dem Zusammenhang inzwischen an der Tagesordnung. Interessant ist, dass es eigentlich immer darum geht, diese Aktionen zu verteufeln, nach härterer Rechtsprechung zu rufen, nicht aber dann auch diejenigen ins Visier zu nehmen, die viel dazu beigetragen haben, dass es überhaupt zu den Aktionen beziehungsweise zu einer Situation kommen konnte, die derartige Aktionen provoziert. Und um richtig verstanden zu werden: "Viel dazu beigetragen haben" meint insbesondere: Nichts getan zu haben. Seit rund 50 Jahren Kenntnis davon zu haben, worauf wir in Bezug aufs Klima zusteuern, und wenig bis gar nichts dagegen zu unternehmen, ist schon ein starkes Stück. Und wenn der "ungehinderte Verkehrsfluss" oder auch ein Tempo von über 100 auf Autobahnen unser Verständnis von Freiheit sein soll, dann ist es sehr traurig um uns bestellt.

Ingrid Suhr-Täger, Gröbenzell

Es brennt, und keiner tut etwas

Da kleben sich junge Menschen bei Dezemberwetter im Freien fest und müssen davon ausgehen, dass ihnen dafür auch noch immer härtere Strafen und andere negative Konsequenzen für ihr weiteres Leben drohen. Außerdem scheinen sie von kaum einer Seite der Gesellschaft mit Verständnis rechnen zu dürfen, sondern werden aufs Schärfste verurteilt. Ist es den Kritikern ("den Älteren") tatsächlich nicht bewusst, dass die jungen Aktivistinnen und Aktivisten ihre Aktionen nicht aus Spaß machen, sondern weil sie größte Sorge um das zukünftige Leben auf unserer Erde haben?

Man könnte fast den Eindruck gewinnen, wir sind ein Volk von Leugnern der Klimakrise. Dabei werden doch die Vorhersagen der Wissenschaft durch die tatsächlichen Katastrophen seit Jahren bestätigt! Sollten wir in der Hektik des Alltags nicht einmal etwas Abstand nehmen und die Situation als Ganzes betrachten? Sind die Klimaaktivisten und -aktivistinnen nicht vergleichbar mit Menschen, die - ungeachtet eigener Nachteile - mit allen Mitteln, die sie für hilfreich halten, die Bevölkerung auf den Brand ihres Hauses aufmerksam machen wollen? Doch wie reagiert die Allgemeinheit: Sie regt sich darüber auf, dass sie durch die jungen Menschen in ihrem Alltagstrott gestört werden und sehen keinerlei Grund, den Brand löschen zu helfen!

Sind die Menschen in diesem Land tatsächlich ganz bei Trost, wenn sie kurzfristigen punktuellen Störungen mehr Beachtung schenken als der globalen Katastrophe, die mit immer höherer Wahrscheinlichkeit über uns hereinbrechen und Leid und Schäden einer völlig anderen Dimension bringen wird?

Ich als Alter (71), der in seinem Leben so einiges getan hat, was die Klimakrise letztlich ausgelöst hat, kann die jungen Menschen nur um Vergebung bitten und versuchen, den Blick der Allgemeinheit vielleicht doch etwas zu weiten.

Joseph Leuthner, Bestensee

Einseitiger Deal

Zum Beitrag "Darf die Stadt Klima-Blockaden einfach verbieten?" vom 12. Dezember über die "Allgemeinverfügung" der Stadt gegen Klimaproteste:

Und hat die Stadt München mit der sich entwickelnden Klimakatastrophe eine Vereinbarung geschlossen, dass diese bis zum 8. Januar 2023 nicht mehr weitermacht?

Erich Würth, München

Da gäbe es andere Aufreger

Seit einigen Wochen verwundert mich zunehmend die Reaktion von Bürgern, Polizei und Politikern auf die Proteste der Klimaaktivisten (zuletzt im Bericht "Bundesweite Razzia bei Klima-Aktivisten" vom 14. Dezember). Erstaunlicherweise regt sich fast niemand auf über die aggressiven Filmemacher, die auf Autobahnen und Landstraßen verunglückte und sterbende Menschen mit Handys filmen, Rettungskräfte und Polizei behindern und angreifen. Von einer Verurteilung solcher Personen habe ich noch nie gehört, bestenfalls wird eine Geldstrafe verhängt. Wenn sich mutige Menschen für das Klima, die Welt und den Planeten einsetzen und dabei unkonventionelle Methoden nutzen (wir leben in einer Demokratie), dann ist die Empörung groß und es wird versucht, die Aktivisten in die kriminelle Ecke zu schieben. Aber na klar, der Klimawandel ist eine Erfindung, genau wie Corona und der Artenschwund. Deshalb weiter: "Ich will Spaß, ich geb Gas" - und täglich ordentlich Fleisch auf den Teller.

Ursula Hofner, Türkenfeld

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