Afrika:Die Wende muss von innen kommen

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Wie verhindert man die Migration aus Afrika? Flüchtlinge in einem Schlauchboot vor der libyschen Küste. (Foto: AP)

Was verhindert die Massenmigration aus Afrika? Winfried Pinger hat jüngst in der Außenansicht seine Vorschläge präsentiert. Einige Leserinnen und Leser halten davon jedoch nichts. Sie sehen Entwicklungshilfe als größtenteils gescheitert an.

"Radikale Wende für Afrika" vom 17. März:

Das Gift des Freihandels

Bei allem Respekt vor dem seit Jahrzehnten in der Entwicklungspolitik engagierten Winfried Pinger: Seine "radikale Wende", die er zur Lösung der Probleme Afrikas anbietet, beinhaltet nicht viel mehr als das, was ebenfalls seit Jahrzehnten im Instrumentenkasten des mit der Durchführung der deutschen Entwicklungshilfe beauftragten BMZ zu finden ist. Förderung einheimischer Kleinunternehmen, Mikrofinanz, Berufsausbildung durch das duale System: Das ist nun wirklich nichts Neues für die GIZ-Experten.

Es stimmt ja auch nicht, dass der Großteil der deutschen Entwicklungshilfe vornehmlich direkt in die Taschen der korrupten Eliten geflossen ist. Im Vordergrund der deutschen Hilfe standen überall Projekte, die von deutschen Experten vor Ort betreut wurden. Aber was haben alle diese gut gemeinten Projekte gebracht? Jedenfalls nicht den großen Durchbruch, die Initialzündung für eine radikale Wende.

Was Pinger nicht erwähnt, sind die schädlichen Auswirkungen der europäischen Handelspolitik auf Afrika. Freihandel funktioniert nicht, wenn die Partner nicht von annähernd gleichen Voraussetzungen ausgehen. Die heute konkurrenzfähigen Länder Asiens - von Japan über China, Taiwan, Korea bis Singapur - haben alle ihre Volkswirtschaften geschützt, solange sie sich im Aufbau befanden. Dazu hatten und haben sie entwicklungsorientierte Eliten, meist auch Entwicklungsdiktaturen, die sehr zielbewusst den Aufbau ihrer Länder gefördert haben. In Afrika dagegen verprassen die politischen Eliten die Reichtümer des Kontinents für maßlosen persönlichen Konsum, ohne ihn für notwendige Investitionen zu verwenden.

Hinzu kommt, dass die Afrikaner nichts dafür tun, das Bevölkerungswachstum zu bremsen. Auch da könnte man von Asien lernen: Chinas Aufstieg wäre ohne die Ein-Kind-Politik kaum so rasch gelungen. Aber auch mit weniger drastischen Methoden lassen sich die Geburtenraten senken, wie Beispiele aus anderen Ländern Asiens und Lateinamerikas zeigen.

Eine "radikale Wende für Afrika" ist dringend nötig. Aber sie muss von innen kommen. Wir im Norden sollten allerdings auch zu einer Wende beitragen, indem wir Afrikas Wirtschaft schützen, anstatt sie durch unsere Billigexporte von Agrarprodukten oder unsere Fischereipolitik zusätzlich zu ruinieren.

Dieter Brauer, Köln

Gute Regierung unterstützen

Sein Plädoyer für eine "neue" Entwicklungspolitik gegenüber Afrika unterstreicht Winfried Pinger mit der Ankündigung einer "drohenden Massenflucht" aus dem Nachbarkontinent: Abermillionen afrikanischer Flüchtlinge stünden schon bereit, ihre Ankunft in Europa sei - bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen - nur eine Frage der Zeit. Die Katastrophenrhetorik ist nicht neu, sondern wird seit Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise immer wieder bemüht und von der Öffentlichkeit teils bereitwillig aufgegriffen. Das macht sie aber leider nicht richtiger, denn mehr als 80 Prozent der Fliehenden halten sich in Entwicklungs- und Schwellenländern oder innerhalb der Länder selbst auf. Unter den zehn Hauptaufnahmeländern von Flüchtlingen weltweit befindet sich Amnesty International zufolge kein einziges in Europa. Denn die meisten Betroffenen in Afrika können sich die Flucht nach Europa gar nicht leisten.

Pingers Empfehlungen für die entwicklungspolitische Wende gegenüber Afrika zur Verhinderung der "Katastrophe" überzeugen indes auch nicht. Er problematisiert zu Recht, die Entwicklungspolitik der vergangenen Jahrzehnte habe sich zu selten effektiv um grundlegende politische Veränderungen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge bemüht.

Aus der Kritik werden aber erstaunlicherweise keine politischen Empfehlungen (beispielsweise Unterstützung guter Regierungsführung, Achtung der Menschenrechte) abgeleitet. Diese wären nicht zuletzt im Zusammenhang der Verhandlungen der Bundesregierung mit den Staaten in Nord- und Ostafrika durchaus angebracht.

Eva Dick, Düsseldorf

Migration ist Entwicklungshilfe

Winfried Pinger fordert eine "radikale Wende für Afrika", um die "Massenflucht" von dort zu verhindern. Der deutsche Mittelstand soll es richten: Jobs für all die jungen Afrikaner, die "auf ihren Koffern sitzen". Ich arbeite selbst seit mehr als 20 Jahren in der Entwicklungshilfe und maße mir deshalb folgendes Urteil zu diesem Vorschlag an: im Westen nichts Neues! Jeder Minister im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (kurz: BMZ) hat bisher eine neue Entwicklungspolitik für Afrika ausgerufen. Dasselbe gilt für fast alle Minister der anderen Geberländer und auch für die Chefs zahlreicher internationaler Hilfsorganisationen. Geändert hat sich aber kaum etwas.

Hilfe von außen, egal in welcher Größendimension, wird die Situation in Afrika nicht grundsätzlich verändern. Die Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung Afrikas sind immens, im Vergleich dazu war der "Aufbau Ost" ein Kinderspiel (und trotzdem sind so viele aus dem Osten in den Westen "geflüchtet"). Machen wir uns also nichts vor: Eine neue Entwicklungspolitik für Afrika wird die "Massenflucht" nicht verhindern. So ehrlich sollten die Politiker schon sein.

Wir müssen uns damit abfinden, dass Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben dorthin gehen, wo sie dieses Leben vermuten, also auch nach Europa. Nicht eine neue Entwicklungspolitik für Afrika ist gefragt, sondern eine neue Einwanderungspolitik für Europa.

Und wir sollten eines dabei nicht vergessen: Migration ist auch Entwicklungshilfe. Laut IOM (International Organization for Migration) haben Migranten im Jahr 2015 weltweit 601 Milliarden Dollar in ihre Heimatländer überwiesen, davon etwa zwei Drittel in Entwicklungsländer. Zum Vergleich: Im selben Jahr gaben laut OECD alle Geberländer zusammen nur etwa 125 Milliarden Dollar für Entwicklungshilfe aus.

Helmut Grossmann, Bogotá/Kolumbien

Bevölkerungswachstum bremsen

Wenige einfache Rechnungen auf der Basis der in der Außenansicht genannten Zahlen zeigen, dass Winfried Pingers Hoffnung utopisch ist: Wenn sich die Bevölkerung in Afrika von jetzt 1,2 Milliarden auf 2,5 Milliarden 2050 mehr als verdoppeln wird, bedeutet das im Mittel 40 Millionen Menschen mehr jedes Jahr. Wenn für jeden vierten davon ein produktiver Arbeitsplatz geschaffen würde, wären das zehn Millionen erforderliche neue Arbeitsplätze pro Jahr zusätzlich zu den jetzt fehlenden Arbeitsplätzen (20 Millionen). Wenn man die Kosten für einen Arbeitsplatz mit nur 10 000 Euro ansetzt, bedeutet das 100 Milliarden Euro pro Jahr alleine für die zukünftig zu schaffenden Arbeitsplätze, die über Entwicklungshilfe bereitgestellt werden müssten. Wenn bisher in etwa 50 Jahren circa 800 Milliarden Dollar Entwicklungshilfe nach Afrika geflossen sind, von denen "geschätzt bis zu 600 Milliarden in die Taschen korrupter Eliten geflossen sind", müsste man wohl jetzt auch noch mit einem "Schwund" von mindestens 50 Prozent rechnen. Das heißt, man bräuchte etwa 200 Milliarden Euro Entwicklungshilfe jedes Jahr alleine für die hinzukommenden Afrikaner. Bei weltweiter Anstrengung sicherlich theoretisch möglich, aber unter den gegebenen Verhältnissen utopisch!

Für die Misere in Afrika gibt es zwei Hauptursachen, die in dem Artikel leider nur am Rande beziehungsweise nicht angesprochen werden. Auf beide haben wir von außen so gut wie keinen Einfluss:

1. Das Bevölkerungswachstum steht in keinem vernünftigen Verhältnis zu den wirtschaftlichen Möglichkeiten.

2. Die "Eliten"/Regierungen in den meisten afrikanischen Ländern sorgen mehr für sich als für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ihrer Länder.

Deshalb gibt es leider keinen Lichtblick für Afrika, der Exodus wird verstärkt anhalten.

Prof. Gerhard Schmidt, Breuberg

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

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© SZ vom 28.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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