Wohlstandsstarrsinn:Der Berliner Hochschul-Krach

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Die Universitäten in Berlin wollen Studenten aussperren und keine Wissenschaftler mehr einstellen. Wie es so weit kommen konnte.

Jens Bisky

(SZ vom 25.4.2003) Wer dem Sozialdemokraten Thilo Sarrazin, der im Kabinett Wowereit die Finanzen verwalten darf, vorurteilsfrei zuhört, wird den so ungeliebten Senator als ein Beispiel echten Berlinertums schätzen lernen: Er agiert überraschend vorhersehbar, argumentiert gern schnoddrig, rasch absprechend, meist im Tonfall des Bescheidwissens und mit der dazugehörigen Vorliebe fürs Große.

Vor Ostern etwa ließ der Senator wissen, dass auch mit der Hälfte der Theater und Opern ein "reiches kulturelles Leben" zu haben sei und an den Hochschulen kräftig gespart werden könne.

Da Berlin beispielsweise auch Lehrer für andere Bundesländer ausbilde, entstünden ihm - verglichen mit dem Bundesdurchschnitt - zusätzliche Kosten in Höhe von 600 Millionen Euro. Vielleicht kann man im Wissenschaftshaushalt 100 Millionen Euro einsparen? Oder 200 Millionen? Auf jeden Fall wohl vierzig Millionen bei den Kunsthochschulen.

Bevor noch der Senat die endgültigen Zahlen vorgelegt hat, haben die Präsidenten der drei großen Berliner Universitäten beschlossen, die Landespolitik ernst zu nehmen.

Die Humboldt-Universität will im kommenden Wintersemester keine Studienanfänger aufnehmen, die Freie Universität und die Technische Universität beabsichtigen, der Not gehorchend und obwohl sie diese Maßnahme für grundsätzlich falsch halten, einen Numerus clausus für sämtliche Fächer einzuführen. Eingestellt wird auch keiner mehr. Frei werdende Stellen werden gestrichen.

Da scheint es bloß noch eine Petitesse von höchstens lokalem Interesse, dass die Freie Universität auch ihren Botanischen Garten schließen oder verkaufen will.

Vergleichbares hat es in der Geschichte der deutschen Universitäten bisher nicht gegeben. Eine Universität, die darauf verzichtet, junge Wissenschaftler einzustellen, neue Studenten zu immatrikulieren, Professoren aus anderen Städten zu berufen, ist wohl ebenso absurd wie die Zahlen Sarrazins es sind. Da ringen Alarmisten miteinander: ein Senator, der mit schrecklichen Ankündigungen Zugeständnisse erpressen will, Universitäten, die ihre Selbstverstümmelung androhen, um etwas glimpflicher davon zu kommen.

Absurde Zahlen

Wie viel die Universitäten tatsächlich einsparen müssen, wird während einer Senatsklausur am 19. Mai beschlossen. Am 20. Mai beginnt die nächste Runde in den Verhandlungen über die Hochschulverträge ab dem Jahr 2006. Sollte es bei den "absurden Zahlen" bleiben, hat der Präsident der Freien Universität, Peter Gaehtgens, am Mittwoch angekündigt, werde man die Verhandlungen abbrechen.

Und dann? "Ich verstehe", hat der Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) inzwischen erklärt, "die Sorge der Universitäten. Es gibt jedoch keinerlei politische Beschlüsse des Senats, die solche Reaktionen rechtfertigen." Auch der zuständige Staatssekretär, Peer Pasternack, hat Verständnis für die Reaktion der Universitäten.

Wahrscheinlich wird die Senatsverwaltung die Humboldt-Universität anweisen, dennoch Studenten aufzunehmen. Andernfalls dürften die Verwaltungsgerichte das tun.

Lange Geschichte

Die Drohgebärden der Universitäten sind gut begründet. Sie sind der vorerst letzte Akt in einer langen Geschichte der Eskalation.

Als Anfang der neunziger Jahre die Wissenschaftslandschaft der Stadt neu geordnet werden musste, erklärte der damalige Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU), der letzte unter den zuständigen Senatoren, dem man Gestaltungswillen nachsagen konnte, Berlin benötige auf jeden Fall 100.000 Studienplätze. Mit teuren Berufungen und heute unvorstellbarem Aufwand wurde die Humboldt-Universität ausgebaut, die Freie Universität regenerierte sich und lernte, mit dem momentanen Liebesentzug durch die Landespolitik zu leben. Das ist ihr nicht schlecht bekommen.

Heute gehören die drei Universitäten zu den besten im Lande, beliebt unter Studenten sind sie schon aufgrund des Standorts. Es ist gewiss eine Kränkung, die einzigartige Berliner Wissenschaftslandschaft am Bundesdurchschnitt zu messen. Die Vielzahl der außeruniversitären Forschungseinrichtungen - vom Max-Delbrück-Zentrum über das Wissenschaftskolleg bis hin zur Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften - garantiert ein Angebot an Vorträgen, Diskussionen, Projekten, das es in dieser Breite in keiner anderen deutschen Stadt gibt.

Dennoch wurden die Hochschulen der Stadt 1997 verpflichtet, die Zahl der Studienplätze auf 85.000 zu reduzieren. Der Wissenschaftsrat fragte damals nach, ob die Berliner Politik tatsächlich bereit sei, wenigstens diese Zahl dauerhaft zu finanzieren. Unbedingt, lautete die Antwort. Nun aber droht Sarrazin, ohne Absprache mit dem Fachressort, mit einer Kürzung um zwanzig Prozent.

Glanz und Armut

Das trifft die Universitäten in einer prekären Lage. Den 85.000 finanzierten Studienplätzen stehen 130.000 eingeschriebene Studenten gegenüber. Die Betreuungsrelationen sind - statistisch wie in der Wirklichkeit der Hörsäle - besonders ungünstig, was an der Beliebtheit der Berliner Universitäten allerdings nichts ändert.

Im vergangenen Wintersemester hat die Technische Universität 1300 Studenten aufgenommen und 1500 Bewerber abgelehnt, FU und HU verschickten tausende Ablehnungsbescheide. Zu den Sparvorgaben - in welcher Höhe auch immer - kommen die Lasten aus den ständig steigenden Pensionsfonds, Belastungen durch den Anstieg der Beamtenruhegehälter, für den in Berlin die Universitäten aufkommen müssen.

Sparen müssen die Berliner Universitäten ausgerechnet in dem Augenblick, in dem sie die Chance zu einer Art Neuaufbau haben. Aufgrund der verkorksten Altersstruktur der Lehrenden werden Lehrstühle immer gleich im Dutzend vakant.

An der Technischen Universität etwa könnten in den kommenden zwei Jahren 10 von 13 Professuren im Bauingenieurwesen besetzt werden. Ist das Geld dafür nicht vorhanden, muss man den Studiengang wohl einstellen. Dass es allmählich schwerer wird, Wissenschaftler nach Berlin zu holen, die unter mehreren Angeboten wählen können, leuchtet ein. Der Glanz eines Lehrstuhls Unter den Linden und die Reize des Berliner Lebens können auf Dauer für materielle Nachteile, ständige Unsicherheit und schlechtere Arbeitsbedingungen wohl kaum entschädigen.

Hoffen auf reitende Geldboten

Man kann die Reaktionen der Universitäten in der Tat gut verstehen - dennoch haben sie etwas unangenehm Bockiges. Sparen wir uns die wohlfeilen Sprüche über die "Stadt des Wissens", über Bildung und Zukunft und die Universitäten als Standortfaktor. Da Berlin jahrelang über seine Verhältnisse gelebt hat und miserabel verwaltet wurde, ist die Stadt bankrott, weitere Milliarden müssen wohl oder übel eingespart werden. Mit dem Auftrag, dies zu tun, regiert der jetzige Senat. Die Debatte, wie die Stadt zu sanieren sei, wird nun schon über ein Jahr lang in schrillen Tönen und überwiegend alarmistisch geführt.

Wer Alarm auslöst, rechnet damit, aus unmittelbarer Gefahr gerettet und in den gewohnten Zustand zurückversetzt zu werden. Eben das aber ist in Berlin unmöglich. Es ist das Verdienst Sarrazins, dass er daran regelmäßig erinnert. Die Öffentlichkeit der Stadt reagiert darauf empört und mit einer allmählich Routine werdenden Blockadehaltung. So wie der DGB aufgrund des Tarifstreits den traditionellen Ersten-Mai-Empfang des Regierenden Bürgermeisters boykottiert, drohen die Universitäten mit Verhandlungsabbruch.

Allerdings hat der Senat viel dafür getan, seinen Sparplänen den Anschein der Willkür zu verleihen, so dass Brüllen als Ausweg erscheinen mag. Schärfer, als sie es in dieser Woche getan haben, können die Universitäten nun nicht mehr protestieren. Ist es zu viel verlangt, dass sie ein Konzept vernünftiger Einsparungen vorlegen, dass sie erklären, diese Summe ist zu erbringen, mehr geht nicht? Ist es zuviel verlangt, dass der rot-rote Senat der eigenen Ideologie untreu wird und Studiengebühren einführt? 500 Euro pro Semester, gezahlt von 120 .00 Studenten, würden gewiss zur Entspannung der Lage beitragen.

Ist es Wohlstandsstarrsinn oder die Hoffnung auf reitende Geldboten, dass beide Seiten so tun, als würde es so schlimm schon nicht kommen, als sei das Hauptproblem Berlins der schnell redende Finanzsenator?

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