Wissenschaft und Wirtschaft:Brücke in die Arbeitswelt

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Von der Zusammenarbeit mit Hochschulen erwarten sich Gewerkschaften neue Erkenntnisse fürs Berufsleben. Das Foto entstand bei einem Aktionstag der IG Metall. (Foto: Oliver Dietze/dpa)

Mitarbeiter von Hochschul-Kooperationsstellen bringen Wissenschaftler und Betriebsräte miteinander in Kontakt. Die Netzwerker organisieren auch Exkursionen zu Arbeitgebern.

Von Joachim Göres

Hochschulen und Gewerkschaften, das sind zwei ganz verschiedene Welten. "Das stimmt, Gewerkschaften sind für Studierende erst mal weit weg. Durch unsere Arbeit versuchen wir, eine Brücke zu schlagen", sagt Klaus Pape. Der Soziologe ist Leiter der Kooperationsstelle Hochschule und Gewerkschaften in der Region Hannover-Hildesheim. Sie berät Studierende, organisiert Betriebsbesichtigungen, veranstaltet Tagungen. Gleichzeitig bringt sie Betriebsräte und Wissenschaftler zusammen, damit Forschungsergebnisse für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen genutzt werden können. Besonders die Exkursionen zu Arbeitgebern, zum Beispiel der Automobilindustrie, in Verlage oder Krankenhäuser erfreuen sich großer Beliebtheit - bislang haben 3000 Studierende daran teilgenommen. "Es sind auch immer Betriebsräte dabei, die über ihre Arbeit berichten und von denen die Teilnehmer etwas über die tatsächliche Arbeitssituation erfahren können. Das kommt an", sagt Pape.

Bundesweit gibt es an 18 Hochschulen Kooperationsstellen - in manchen Städten sogar zwei, etwa in Berlin. Die erste Kooperationsstelle wurde 1971 in Bremen durch einen Vertrag zwischen der dortigen Arbeiterkammer und der Uni Bremen gegründet. "Es gibt ganz unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte, was unter anderem mit den Besonderheiten der Hochschulen und der Struktur der Region zu tun hat", sagt Pape. Häufig werden Studien erstellt, die nach Lösungen für Probleme einer Region suchen. In Saarbrücken wurde untersucht, wie der Arbeitsmarkt für Absolventen der Hochschule im Saarland aussieht. Nach Schließung der großen Werke von Nokia und Opel in Bochum versucht die Gemeinsame Arbeitsstelle der Ruhr-Uni Bochum und der IG Metall mit wissenschaftlichen Projekten neue Perspektiven für die Region zu entwickeln. In Göttingen, wo an der Uni viele Lehrer ausgebildet werden, hat die Kooperationsstelle gemeinsam mit der Gewerkschaft GEW eine Studie zur Arbeitsbelastung von Lehrern veröffentlicht.

Aufgabe der Netzwerker ist auch, Studenten in Krisensituationen zu helfen

An einigen Hochschulen stellen die Kooperationsstellen Kontakte zwischen Uni-Dozenten und Betriebsräten her, die dann in Seminaren, zum Beispiel für angehende Ingenieure oder spätere Personalverantwortliche, über praktische Fragen der Mitbestimmung informieren und mit den Studierenden diskutieren. "Eine unserer Aufgaben ist es, Inhalte zu vermitteln, die in Lehrveranstaltungen sonst keine Rolle spielen. Gerade in den Wirtschaftswissenschaften kommen kritische Positionen oft nicht zum Ausdruck", sagt Pape.

Die Kooperationsstelle in Hannover hat einen Beirat aus Vertretern der Hochschulen und des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). "Die Gewerkschaften erhoffen sich Impulse aus der Wissenschaft für die Arbeit in den Betrieben", sagt Pape. So treffen sich im "Netzwerk demografische Entwicklung und betriebliche Antworten" seit 2008 Wissenschaftler, Personalverantwortliche und Vertreter der Beschäftigten aus Hannover und Umgebung, um verschiedene Modelle beim demografischen Wandel kennenzulernen und zu bewerten. Seit mehr als zwei Jahren besteht ein Arbeitskreis zur Digitalisierung in der Arbeitswelt, in dem Wissenschaftler mit Arbeitnehmervertretern über aktuelle Entwicklungen in der Arbeitswelt sprechen.

In Hannover wird die Kooperationsstelle mit Geldern des Bundeslandes finanziert, an anderen Orten, wie zum Beispiel in Leipzig, läuft die Finanzierung ausschließlich über Drittmittel. "Wir konzentrieren uns auf Projekte, die sowohl für die Hochschule als auch für die Gewerkschaft interessant sind und die öffentlich gefördert werden", sagt Jana Wünsch, Projektleiterin an der Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt Leipzig. Derzeit ist das Thema Studienabbruch Schwerpunkt ihrer Arbeit. Studierende werden beraten, wie sie Probleme im Studium überwinden können, ob ein Fachwechsel sinnvoll ist, oder welche Berufsmöglichkeiten nach einem Abbruch bestehen. Dazu werden auch Kontakte zu Unternehmen vermittelt, die an Abbrechern interessiert sind. "Wir sind an der Hochschule die Einzigen mit so einem gezielten Angebot, die Nachfrage ist groß", sagt Wünsch.

Schließlich versuchen die Kooperationsstellen auch universitäre Mitarbeiter zu unterstützen. Sie haben nach ihrem Promotionsstudium meist einen befristeten Arbeitsvertrag mit großer Arbeitsbelastung, unsicheren Perspektiven sowie prekärer Bezahlung. In Hannover gehören circa 2000 Menschen dieser Gruppe an. Die dortige Kooperationsstelle hat unlängst eine Veranstaltung organisiert, um sie über das neue Wissenschaftszeitvertrags-Gesetz zu informieren, das ihre Situation etwas verbessert. Universitäre Mitarbeiter hätten oft "keine Ahnung, welche Rechte sie haben, und viele sind auch nicht in der Lage, sich darüber zu informieren", sagt Pape. "Dahinter steckt auch die Angst vor Konflikten, wenn man für seine Rechte eintritt." Pape ist sich dessen bewusst, dass seine Aktivitäten und das Engagement von zwei weiteren Mitarbeitern nicht in allen Fachbereichen auf offene Ohren, ja mitunter sogar auf Distanz stoßen. Dennoch ist der Soziologe der Überzeugung: "Die Hochschulen sind ganz froh, dass wir die Studenten mit der Arbeitswelt zusammenbringen, denn zahlreiche Lehrende betrachten es nicht als ihre Aufgabe, über die Berufspraxis zu sprechen."

Information: Kooperationsstellen befinden sich in Hamburg, Bremen, Oldenburg, Hannover, Braunschweig, Göttingen, Osnabrück, Bochum, Dortmund, Saarbrücken, Stuttgart, Frankfurt am Main, Kassel, Berlin, Leipzig und Halle. Weitere Informationen : www.kooperationsstellen.de

© SZ vom 18.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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