Werbeagenturen:Wo die Muse die Kreativen küsst

Bei Dorten in Stuttgart nehmen sich die "verpflichteten Konzepter regelmäßig die Zeit, halbtageweise Kundenprojekte zu durchdenken. Das gehört zum Anspruch der konzeptorientierten Agentur", betont Mit-Geschäftsführer Christian Schwarm. Aber auch hier wird zusätzlich der kreative Austausch in entspannter Atmosphäre gepflegt: 14-täglich stehen die Räder für mindestens drei Stunden still, wenn der "Erzeugnis-Rat" tagt.

Das Anfang des Jahres eingeführte Free-Flow-Meeting "hat die Produktivitätsrate um mehrere hundert Prozent erhöht", so Schwarm. Die Mitarbeiter üben sich in strategischen Überlegungen und im Entwickeln selbstständiger Kommunikationskonzepte. Der CEO sammelt dort entstandene "freie Kommunikations-Formate", die er später mal fürs Angebots-Portfolio der Firma nutzen kann.

Ähnlich auch das Procedere bei der Agentur Neue Digitale. Im Intranet kann jeder Kollege in einem Spezialbereich Arbeiten einstellen, die er für außergewöhnlich hält. Sie werden im wöchentlichen Kreations-Meeting diskutiert. Lange war es üblich, zur Ideenfindung neben dem Kunden (Agenturbriefing) und dem Planning (entwickelt das Creative Brief) vor allem hauseigene ADs und CDs heranzuziehen. Doch der Anspruch integrierter Kommunikationskonzepte und die Vielfalt medialer Kanäle ändern diese Tradition. Plötzlich sitzen Vertreter aus allen Disziplinen an einem Tisch und begleiten den kreativen Prozess.

Bei Draftfcb in Hamburg nehmen sie demnächst im sogenannten War-Room Platz. Der mit Monitoren ausgestattete Raum liefert auf Knopfdruck gleichermaßen statistische oder auch Mafo-Daten, damit die Ideenfindung nicht im luftleeren Raum stattfindet. Bei Nordpol wird - möglichst - das gesamte Team bei der Ideenfindung miteinbezogen.

Mit Demut

Doch auch das kreativste Team ist nicht immer inspiriert. Der Arbeitsalltag beinhaltet immer wieder intensive und frustrierende Phasen mit großer Anspannung. Die Kunst besteht darin, stressresistenter zu werden und ihn nach getaner Arbeit abzubauen, um auf Abruf für die nächste Kundenanfrage parat zu stehen. Bei der Kreativschmiede Nordpol wechseln daher die Kreativen regelmäßig von einer Disziplin zur nächsten. Kreativchef Lars Rühmann: "Wer beispielsweise Print gemacht hat, steigt dann bei Web mit ein. Das ist für Mitarbeiter eine neue Herausforderung, die motiviert."

Bei der Neuen Digitale versucht Olaf Czeschner den Kreativen Freiraum zu schaffen, um über den eigenen Tellerrand zu gucken. Deshalb wendet jeder Mitarbeiter zehn Prozent seiner Arbeitszeit für Forschung & Entwicklung auf.

Eine andere Lösung: Mitarbeiter und Führungskräfte müssen den richtigen Mix zwischen Arbeit und Freizeit - ihre persönliche Work-Life-Balance finden. Denn die Erfahrung zeigt, die Idee zum witzigsten Slogan, dem originellsten TV-Spot oder dem ausgefeiltesten Online-Konzept entsteht nicht nur am Reißbrett der Agentur. Ideen werden im Flieger, beim Joggen, auf dem Berg, in der U-Bahn oder schlicht unter der Dusche gesammelt. Top-Werber Amir Kassaei weiß: "Man braucht jenseits des Jobs ein paar feste Säulen, die den eigenen Horizont in die richtige Richtung verschieben und einem wieder die nötige Kraft geben, um zu erden. Freunde und Familie, Architektur und Design, Literatur, Kunst und eine gewisse Demut gehören dazu."

Doch was tun, wenn der kreative Output nicht den eigenen Erwartungen entspricht? Manche Agenturchefs greifen dann auf externe Unterstützung zurück. Wenn auch mit Einschränkung. "Das Wichtigste kann man sowieso nicht erlernen: Das ist Intuition. Sie verbindet die rationale Ebene mit der emotionalen. Intuition bringt die PS auf den Boden. Ohne sie nützen alle Techniken nichts", so André Aimaq, Chef-Kreativer bei der Berliner Agentur Aimaq Rapp Stolle.

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