Werbeagenturen:Wo die Muse die Kreativen küsst
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Gemütliches Hirnschmalz-Meeting oder Stress-Sitzung unter Lärmzufuhr: Wie Top-Werber auf ihre Ideen kommen.
Peter Hammer und Judith Stephan
Mit Termindruck hat Lars Rühmann gelernt umzugehen. Schließlich kann der bevorstehende Abgabetermin auch die Leistungsfähigkeit steigern. Doch wenn die stressige Wettbewerbspräsentation gelaufen oder das zeitlich eng terminierte Projekt abgeschlossen ist, muss auch der Kreativchef der Hamburger Agentur Nordpol Luft holen, die Batterien wieder aufladen. Dann macht sich Rühmann auf den Weg ins Abaton oder das Magazin. Programmkinos, in denen nicht die Hollywood-Blockbuster laufen, sondern Nischenfilme, Exotisches. Dort kommen ihm auch die außergewöhnlichen Ideen. Oder im Zug, im Restaurant. Selten am Ballindamm, in den Räumen der Agentur.
Ideen sind der wichtigste Rohstoff der Agenturen, das Kapital, mit dem die Werber bei den Kunden wuchern. Daher setzen sie alles daran, den kreativen Output möglichst hoch zu halten oder ihn gar noch zu erhöhen. Kein leichtes Unterfangen. Schließlich kämpfen Kreative permanent mit Zeitdruck. Die Anforderungen angesichts der medialen Vielfalt und komplexer integrierter Kampagnen sind weiter gestiegen.
Vielleicht ein Grund, warum auch die Branchenverbände in die Offensive gehen. Der Art Directors Club (ADC) legt Mitte Juni die neue Seminarreihe "ADC Management Dialog" auf, die erstmals Markenverantwortliche aus Unternehmen und der Kommunikationsbranche im Visier hat. "Ideen sind die Urgewalt der Kommunikation. Ihre Kraft entscheidet über Erfolg und Misserfolg einer Marke. Dieses Momentum können Auftraggeber und Agentur nur gemeinsam entwickeln", erklärt ADC-Vorstandsmitglied Dörte Spengler-Ahrens das neue Konzept. Auch der Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA räumt der Ideenfindung Platz ein und lädt am 14. Juni erstmals zum "Kreativtag" nach Hamburg.
Doch wie kommen die Werber auf ihre Ideen? Welche Prozesse sind dafür nötig, welche Hilfsmittel gibt es?
"Die besten Ideen sind nie spontane Eingebungen, sondern Basis harter Grundlagenarbeit. Die beste Idee ist immer eine, die mit den bestehenden Regeln und Konventionen bricht. Und die muss man zuerst kennen", sagt Amir Kassaei, Kreativchef von DDB Germany.
Auf jeden Fall sollte bei der Ideenfindung nicht gleich an die Umsetzung oder technische Realisierbarkeit gedacht werden. "Wir verstehen die Technologie eher als Chance, kreative Höchstleistungen zu erbringen und auf innovative Lösungen zu kommen. Das ist ja das Besondere am digitalen Marketing", mahnt Olaf Czeschner, Kreativchef der Frankfurter Neue Digitale.
Kurz: Ohne Vorarbeit geht gar nichts. Auch ein sogenannter kreativer Mensch muss sich intensiv mit dem Produkt, der Zielgruppe und den Märkten auseinandersetzen. Ob die Marktforschungsergebnisse oder Consumer Insights vom Kunden kommen oder durch eigene Recherchen, Aktionen wie Fokusgruppen oder Wettbewerbsanalysen, ist sekundär.
Einfach "alle Quellen, beispielsweise technische Online-Entwicklungen auszuloten, Blogs beobachten oder aktuelle Trends auf Kongressen aufzuspüren, werden intern genutzt", erklärt Matthias Berger. Gerade diesen Input schätzt der CEO von Baader Berger Hermes. "Oft kommen die besten Ideen und Inspirationen von außen", aus der Markenwelt seiner Kunden.
Je nach Unternehmenskultur haben alle Agenturen für sich selbst bestimmte Vorgehensweisen festgelegt, wie der tägliche oder wöchentliche Informations- und Ideenaustausch zu bewerkstelligen ist. Außerdem suchen sie neue Möglichkeiten zum gemeinsamen Brainstorming.
Beim Goldenen Vlies beispielsweise treffen sich alle zwei Wochen dienstags ab 17 Uhr alle interessierten Mitarbeiter, von der Assistentin bis zum Kreativdirektor. Bekocht von ein, zwei Kollegen, "spinnt" die Runde mit Open End neue und ausgefallene Konzepte. Aus dem "Hirnschmalz" Meeting hat die Münchner Kreativschmiede, erklärt stolz Agenturchef Hansjörg Zimmermann, zwei der besten Einfälle für Kundenprojekte mitgenommen und später realisiert. Urheber waren - jedesmal - keine per Berufsbezeichnung ausgewiesenen Kreative, so das Protokoll der Abende.
Bei Dorten in Stuttgart nehmen sich die "verpflichteten Konzepter regelmäßig die Zeit, halbtageweise Kundenprojekte zu durchdenken. Das gehört zum Anspruch der konzeptorientierten Agentur", betont Mit-Geschäftsführer Christian Schwarm. Aber auch hier wird zusätzlich der kreative Austausch in entspannter Atmosphäre gepflegt: 14-täglich stehen die Räder für mindestens drei Stunden still, wenn der "Erzeugnis-Rat" tagt.
Das Anfang des Jahres eingeführte Free-Flow-Meeting "hat die Produktivitätsrate um mehrere hundert Prozent erhöht", so Schwarm. Die Mitarbeiter üben sich in strategischen Überlegungen und im Entwickeln selbstständiger Kommunikationskonzepte. Der CEO sammelt dort entstandene "freie Kommunikations-Formate", die er später mal fürs Angebots-Portfolio der Firma nutzen kann.
Ähnlich auch das Procedere bei der Agentur Neue Digitale. Im Intranet kann jeder Kollege in einem Spezialbereich Arbeiten einstellen, die er für außergewöhnlich hält. Sie werden im wöchentlichen Kreations-Meeting diskutiert. Lange war es üblich, zur Ideenfindung neben dem Kunden (Agenturbriefing) und dem Planning (entwickelt das Creative Brief) vor allem hauseigene ADs und CDs heranzuziehen. Doch der Anspruch integrierter Kommunikationskonzepte und die Vielfalt medialer Kanäle ändern diese Tradition. Plötzlich sitzen Vertreter aus allen Disziplinen an einem Tisch und begleiten den kreativen Prozess.
Bei Draftfcb in Hamburg nehmen sie demnächst im sogenannten War-Room Platz. Der mit Monitoren ausgestattete Raum liefert auf Knopfdruck gleichermaßen statistische oder auch Mafo-Daten, damit die Ideenfindung nicht im luftleeren Raum stattfindet. Bei Nordpol wird - möglichst - das gesamte Team bei der Ideenfindung miteinbezogen.
Mit Demut
Doch auch das kreativste Team ist nicht immer inspiriert. Der Arbeitsalltag beinhaltet immer wieder intensive und frustrierende Phasen mit großer Anspannung. Die Kunst besteht darin, stressresistenter zu werden und ihn nach getaner Arbeit abzubauen, um auf Abruf für die nächste Kundenanfrage parat zu stehen. Bei der Kreativschmiede Nordpol wechseln daher die Kreativen regelmäßig von einer Disziplin zur nächsten. Kreativchef Lars Rühmann: "Wer beispielsweise Print gemacht hat, steigt dann bei Web mit ein. Das ist für Mitarbeiter eine neue Herausforderung, die motiviert."
Bei der Neuen Digitale versucht Olaf Czeschner den Kreativen Freiraum zu schaffen, um über den eigenen Tellerrand zu gucken. Deshalb wendet jeder Mitarbeiter zehn Prozent seiner Arbeitszeit für Forschung & Entwicklung auf.
Eine andere Lösung: Mitarbeiter und Führungskräfte müssen den richtigen Mix zwischen Arbeit und Freizeit - ihre persönliche Work-Life-Balance finden. Denn die Erfahrung zeigt, die Idee zum witzigsten Slogan, dem originellsten TV-Spot oder dem ausgefeiltesten Online-Konzept entsteht nicht nur am Reißbrett der Agentur. Ideen werden im Flieger, beim Joggen, auf dem Berg, in der U-Bahn oder schlicht unter der Dusche gesammelt. Top-Werber Amir Kassaei weiß: "Man braucht jenseits des Jobs ein paar feste Säulen, die den eigenen Horizont in die richtige Richtung verschieben und einem wieder die nötige Kraft geben, um zu erden. Freunde und Familie, Architektur und Design, Literatur, Kunst und eine gewisse Demut gehören dazu."
Doch was tun, wenn der kreative Output nicht den eigenen Erwartungen entspricht? Manche Agenturchefs greifen dann auf externe Unterstützung zurück. Wenn auch mit Einschränkung. "Das Wichtigste kann man sowieso nicht erlernen: Das ist Intuition. Sie verbindet die rationale Ebene mit der emotionalen. Intuition bringt die PS auf den Boden. Ohne sie nützen alle Techniken nichts", so André Aimaq, Chef-Kreativer bei der Berliner Agentur Aimaq Rapp Stolle.
Dennoch: Das Geschäft mit der Ideen-Nachhilfe boomt. Trainer und Coaches stehen für die Gruppen- und Einzelbetreuung zur Verfügung. Vom handfesten Training bestimmter Techniken, wie sie Mario Pricken oder auch Ralf Langwost mit seiner IdeaManagement-University anbietet, bis zum persönlichen Rundumservice wird alles geboten.
Das Münchner Kreativitäts-Trainingsunternehmen Eisbrecher-Präsenz setzt auf die Selbstreflexion der Kreativen. Sie schulen, so Joachim Heiderich, einer der drei Partner, "vor allem aus eingefahrenen Bahnen auszubrechen und andere Blickwinkel zu versuchen." Heiderich weiß aus Erfahrung: Die Unternehmenskultur prägt den kreativen Output entscheidend mit.
Zur Angebotspalette der Eisbrecher-Crew zählen etwa Trainings wie Talking bei Walking - gedacht für Führungskräfte und Vorstände, die verlorengegangene Beziehung zu Umwelt und Natur auffrischen und beim Spazierengehen die Chance zu intensiven Gesprächen finden sollen. Gruppen betreuen Heiderich und seine Kollegen auch in der "Tournee der Inspirationen". Im Tour-Modul "Drama" müssen sich die Teilnehmer des Kreativitäts-Trainings in einem Besprechungsraum mit unzumutbaren Störfaktoren - wie extrem lauter Hintergrundbeschallung, Flugzeuglärm - auseinandersetzen. In solchen paradoxen Situationen entwickeln die "Genervten" oft unerwartete Ideen.
Bremse ausschalten
Top-Management-Coach Dorothee Echter rät den von ihr betreuten Führungskräften, darunter viele CEOs der Kommunikationsbranche, Arbeits- und Privatwelt nicht künstlich zu trennen, denn ihre Vorbildfunktion ende nicht an der Bürotür. Sie zeigt ihnen dagegen, wie sie im Museum, beim Konzert oder in der Oper sowohl ihren Repräsentationspflichten als auch ihrem persönlichen Vergnügen gerecht werden.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Beraterin Dorothea Assig. Auch sie hält nichts von aufgesetzter Work-Life-Balance, die Kreativität nicht garantiert. Sie empfiehlt "Impulse durch interessantes Leben" - wie Naturstreifzüge, Kunstimpressionen oder einfach Abhängen und Faulenzen. So entspannt S&F-Vorstand und ADC-Mitglied Sebastian Turner schon lange.
Katharina Balde*, Senior-Kundenberaterin einer PR-Agentur, hat ihr Kreativtraining bei Langwost viel gebracht. "Nicht nur auf professioneller Ebene, sondern auch was ,Problemlösung' im Alltag oder im Privaten angeht." Ihre Lieblings-Technik: "Einfach den Gedanken freien Lauf lassen, sich nicht durch Denk-Konventionen beschränken und die Bremse im eigenen Kopf ausschalten." So entstehen vielfältige Sichtweisen im neuen Kontext.
Ob die Kombination von harter Vorarbeit und gesteuertem Kreativitätsfluss oder der geniale Einfall aus dem stillen Kämmerlein: Patentrezepte gibt es nicht. In einem Punkt aber sind sich Agenturchefs und Trainer einig: Dem spielerischen Element bei der Entwicklung von Ideen wird ein höherer Stellenwert zukommen. Die Trendforscher sind in ihrer Analyse des "Creative Work", wie die gleichnamige Studie des Zukunftsinstituts zeigt, schon einen Schritt weiter. In ihren Prognosen löst der Begriff Work-Life-Play bald die Work-Life-Balance ab.