Wanderausstellung:Meine Freundin, eine "Kopftuchtante"

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Die didaktische Ausstellung "Was' los Deutschland!?" schärft den Blick für Vorurteile gegenüber Muslimen und regt insbesondere Schüler und Lehrer zum Engagement gegen Rassismus an.

Von Joachim Göres

Ein Mann steht an einer Bushaltestelle, neben ihm wartet eine junge Frau mit Kopftuch. Er murmelt vor sich hin: "Boah, schon wieder so 'ne Kopftuchtante, ey. Die sind üüü-bä-all. Danke, Merkel." Dann brüllt er die Frau an: "Bist du zu hässlich oder warum bist du so zugehangen? Hey, ich sprech' mit dir! Gibt's den Müllsack auch in anderen Farben?" Danach wendet er sich erregt an die anderen Wartenden: "Guckt euch die an, Deutsch kann se auch nicht, war ja klar. Schön hier Sozialhilfe abgreifen und sich nicht integrieren. Die soll sich ma verpissen, oder?"

Szenen verbaler Gewalt aus dem Alltag, in denen Muslime in Deutschland im Mittelpunkt stehen und Konflikte thematisiert werden, die zum Nachdenken und Gespräch anregen sollen - darum geht es in der Ausstellung "Was' los, Deutschland!? - Ein Parcours durch die Islamdebatte", die bislang in zehn Städten zwischen Bremen und Aalen zu sehen war. Da es sich um eine didaktische Ausstellung handelt, die vorwiegend in Schulen gezeigt wird, ist sie auch während der Pandemie zu sehen. Sie richtet sich an Besucher ab 14 Jahren und insbesondere an Schülerinnen und Schüler. Auch eine neunte Klasse des Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gymnasiums in Celle hat sich die Ausstellung im Kulturzentrum CD-Kaserne angeschaut und darüber diskutiert. "So ein Verhalten geht gar nicht. Ich hätte den Mann aufgefordert, das bitte zu lassen", sagt eine Schülerin. "Ich wüsste nicht, ob ich eingreifen würde, denn der Mann würde dann vielleicht ausrasten", gibt eine andere zu bedenken. "Bei so einer aggressiven Stimmung und bei Unbekannten würde ich mich eher raushalten. Wenn ich die Person kennen würde, wäre das anders", meint eine dritte Schülerin. Die Ausstellung nennt Handlungsmöglichkeiten und ermutigt zur Zivilcourage - mit Tipps, wie man konkret in so einer Situation der verbal angegriffenen Frau helfen kann, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.

An einem Dutzend Stationen treffen Besucher lebensgroße Figuren an, die von Tuffix entworfen wurden. Das ist der Künstlername der Comic-Zeichnerin Soufeina Hamed. Über Kopfhörer verfolgt man die Gespräche der Protagonisten. Man erlebt am Essenstisch, wie die muslimische Mutter ihrer Tochter Emine verbietet, mit ihrer nicht-muslimischen Freundin Sarah ins Kino zu gehen: "Die sind alle so freizügig und wild, guck dir doch an, was da jedes Jahr an Übergriffen auf dem Oktoberfest passiert." Eine Szene, die sich in ähnlicher Weise mit Sarahs Vater wiederholt: "Da hängen die ganzen Araber rum, da gehst du auf gar keinen Fall hin."

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Um das Thema Salafismus geht es an der Station Shisha-Café. Dort unterhalten sich zwei muslimische Jugendliche über Wahlen, als sich ein Mann vom Nebentisch mit langem Bart und Gebetskette ins Gespräch einmischt und sie warnt, wählen zu gehen: "Als Muslime dürfen wir nur den Gesetzen Allahs gehorchen." Auf die Frage, was am Wählen unislamisch sein soll, kann er keine Argumente nennen, sondern fordert Gehorsam und nennt die beiden jungen Menschen Ungläubige. Einer der beiden Jugendlichen ist vom Auftreten des Missionars verunsichert - seine widerstreitenden Gedanken, wer nun Recht hat, soll den Einstieg für ein Gespräch über das Auftreten von religiösen Fanatikern bieten.

In einer weiteren Szene unterhalten sich zwei 15-Jährige, die in einer Mannschaft Fußball spielen. Thomas will von Mehmed wissen, ob er für die deutsche oder die türkische Nationalmannschaft spielen würde, wenn er sich entscheiden müsste. Nachdem Mehmed klargestellt hat, dass er Bosnier und nicht Türke ist, beharrt Thomas darauf, dass er sich dann zwischen Deutschland oder Bosnien entscheiden müsse. Schließlich entscheidet Mehmed sich für Deutschland, aber nur unter einer Bedingung: "Dann ist auch mal gut, und dann sind wir eine Mannschaft und fertig, egal, ob wir gewinnen oder verlieren und egal, wo man herkommt."

Die heftigsten Reaktionen bei den Celler Jugendlichen löst der Youtuber Fiete Aleksander aus, der in der Rolle eines Lehrers auf einem Video zwei Minuten über Schüler mit Migrationshintergrund süffisant lächelnd herzieht. "Ali, bist du auch endlich da. Dein fliegender Teppich hatte wohl 'nen Platten. Ach, du musstest deine Mutter zum Jobcenter begleiten. Versteh' ich nicht. Wenn deine Mutter so schlecht Deutsch kann, warum nimmt sie dich mit. Hätte sie gleich einen Dolmetscher holen können, Deutsch-Kanakisch, Kanakisch-Deutsch." Nachdem er noch eine schlecht hörende türkische Schülerin und einen rumänischen Schüler wegen seiner Kleidung beleidigt hat, blickt er in die Runde und fragt: "Wer von euch glaubt ernsthaft, hier seinen Abschluss machen zu können?", um nach einer kurzen Pause sarkastisch hinzuzufügen: "Da melden sich einige völlig umsonst." Was ist in deiner Jugend falsch gelaufen? Unfair. Rassist. Respektlos. Warum sind Sie Lehrer geworden? Das sind einige der Kommentare, die Jugendliche an den Rand des Bildschirms geklebt haben.

Die Besucher werden auch gefragt, ob sie selbst diskriminierende Erfahrungen gemacht haben. "Ausgelacht, dass ich bis zur ersten Klasse nicht richtig Deutsch sprechen konnte", steht auf dem Zettel eines zweisprachig aufgewachsenen Schülers. Eine Schülerin fühlt sich wegen ihrer "falschen Religion" in der Schule diskriminiert. Hinter der großen Mehrheit der Antworten stehen andere Erfahrungen: Sexismus im Bus, Belästigung von alten Männern im Fitnessstudio, Internet, Bewerbungsgespräch, Familie. Nur sehr wenige Jugendliche aus dem Celler Gymnasium haben einen Migrationshintergrund.

"Die Antworten hängen immer davon ab, wie eine Gruppe zusammengesetzt ist", sagt Jannik Veenhuis und fügt hinzu: "In einer Berufsschule in Hamburg hat die Vielzahl der Diskriminierungserfahrungen der Schüler die Lehrer so überrascht, dass sie seitdem viel stärker im Unterricht darauf eingehen." Der Islamwissenschaftler Veenhuis hat die Ausstellung mitkonzipiert. Ihm geht es darum, klarzumachen, dass es wenig sinnvoll ist, allgemein vom Islam und den Muslimen zu sprechen - angesichts ganz unterschiedlicher Strömungen. Schon die Anzahl von 4,7 Millionen in Deutschland lebenden Muslimen sei fraglich, da sie auf groben Schätzungen beruhe und nichts darüber aussage, nach welchen Grundsätzen diese Menschen lebten.

Häufig gebe es keine direkten Kontakte zu Muslimen, sodass das eigene Bild vor allem durch Medien geprägt werde. In der Ausstellung sind an der Station Zeitungskiosk Titelbilder der Zeitschriften Focus , Spiegel und Stern zu sehen. So wurde 2007 im Spiegel das Brandenburger Tor unter einem muslimischen Halbmond abgebildet, die Schlagzeile lautete "Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung". Der Focus machte 2004 mit der Innenaufnahme einer Moschee voller betender Gläubiger und der Überschrift "Unheimliche Gäste" auf. "Wir nehmen solche Aussagen zum Anlass, um zu fragen, wie wir uns eigentlich informieren", sagt CD-Kaserne-Mitarbeiterin Juliane Vieth, die die Gesprächsrunde mit den Jugendlichen leitet.

Die Schau liefert auch Informationen zu den Grundsätzen des Islam, thematisiert die Benachteiligung von Bewerbern mit türkischem Namen auf dem Arbeitsmarkt, spricht Antisemitismus und Sexismus bei (Nicht-)Muslimen an. Am Ausgang können die Besucher ihre Wünsche für ein besseres Miteinander aufschreiben und an einen Pappbaum heften. Drei Schulklassen haben an diesem Tag die Fläche mit kleinen Zetteln zugeklebt - mit Abstand am häufigsten werden "Respekt" und "Gleichberechtigung" genannt, gefolgt von Toleranz, Akzeptanz, Offenheit, Zusammenhalt, Liebe und Frieden. Juliane Vieth: "Die Islamdebatte ist für uns Aufhänger für die Frage, wie wir miteinander leben wollen." Das Ziel: Jungen Menschen Mut zu machen, populistischen und menschenverachtenden Ideologien entgegenzutreten.

© SZ vom 04.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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