Wahl des Studienfachs:Ein bisschen Bio, ein bisschen Mathe

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Für Unentschlossene bieten Hochschulen spezielle Orientierungs-Programme.

Von Benjamin Haerdle

Spätestens, wenn es bei der Abiturfeier das Zeugnis gibt, ist klar: Das Kapitel Schule ist vorbei - und damit ist auch Schluss mit den vertrauten Strukturen. War der Tag in den Monaten vor den Prüfungen angefüllt mit einem üppigen Lernprogramm, so folgt nun für viele erst mal das genaue Gegenteil: Freiheit - und eine Auswahl von Ausbildungsmöglichkeiten, die so groß ist wie nie zuvor. Doch die meisten Schulabgänger haben dasselbe Ziel, zumindest laut dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Nach Ergebnissen der im Jahr 2017 veröffentlichten DZHW-Studie "Erwerb der Hochschulreife und nachschulische Übergänge von Studienberechtigten" planen 74 Prozent der Abiturienten ein Studium an einer Hochschule. Dem DZHW zufolge haben 50 Prozent der jungen Leute bereits ein halbes Jahr nach dem Abitur eine akademische Ausbildung aufgenommen, egal ob an einer Universität, einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften, wie die Fachhochschulen nun meist heißen, oder an einer privaten Hochschule. Mit dem Studium verknüpfen sie bestimmte Gründe: die Sicherheit, anschließend einen Job zu finden, gute Karriereaussichten und höhere Gehälter. Doch die Schulabsolventen haben die Qual der Wahl: Mehr als 20 000 Studiengänge gibt es nach Angaben der Plattform Hochschulkompass.de, eines Informationsportals der Hochschulrektorenkonferenz, mittlerweile an Deutschlands Hochschulen. "Die Studiengänge werden immer differenzierter, es werden immer mehr, und die Unsicherheit der jungen Menschen nimmt deswegen zu", sagt die Professorin Monika Jungbauer-Gans, Wissenschaftliche Geschäftsführerin am DZHW. Nach einer Abiturienten-Befragung, die sie gerade auswertet, wissen 17 Prozent der Abiturientinnen und Abiturienten nicht, was sie studieren sollen - das sind drei Prozentpunkte mehr als noch vor drei Jahren.

Im Schnupperprogramm absolvierte Module lassen sich aufs folgende Studium anrechnen

Helfen können dabei zum Beispiel Orientierungssemester oder ein auf zwei Semester angelegtes Orientierungsstudium, das immer mehr Hochschulen anbieten. Das gibt es auch für bestimmte Fächergruppen: "Mintgrün", benannt nach den Mint-Fächern Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften und Technik, heißt ein entsprechendendes Programm an der Technischen Universität Berlin, "Modulstudien Naturale" bietet die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg an. "Studium Mint" heißt das Modell der Technischen Universität München. Junge Menschen sollen so leichter das für sie passende Fach finden. Sollten sie eines der Fächer aus der Orientierungszeit fortsetzen, können sie sich bereits absolvierte Module anrechnen lassen. "Viele Jugendliche haben die Anforderung, dass das, was sie später beruflich tun, kongruent zu ihrer Persönlichkeit sein soll. Sie wollen das Gefühl haben, sich nicht nur fachlich fortzubilden, sondern auch persönlich reifen zu können", sagt Ragnhild Struss, die für Struss & Claussen unter anderem Schüler bei der Berufswahl unterstützt.

In der persönlichen Beratung, die Studien- und Berufsberatungen wie Struss & Claussen anbieten, kann herauskommen, dass Abiturienten statt eines Studiums besser zuerst einen der 326 vom Bundesinstitut für Berufsbildung (Bibb) anerkannten Ausbildungsberufe beginnen sollten. Das ist für immer mehr Schulabgänger eine Option: Waren es laut DZHW im Jahr 2008 nur 28 Prozent der Abiturienten, die ihre Perspektiven mit einer Berufausbildung als gut oder sehr gut einschätzten, lag der Prozentsatz im Jahr 2018 schon bei 54 Prozent. "Die Ausbildung wird wieder geschätzt", sagt Jungbauer-Gans. Als mögliche Gründe dafür nennt sie das Bestreben der Regierung, die Berufsausbildung attraktiver zu machen, sowie die Debatte über den Fachkräftemangel. Wer sich nicht zwischen praktischer Ausbildung und Studium entscheiden möchte, für den kann das duale Studium die richtige Wahl sein. Es verknüpft das Studium an einer Hochschule oder einer Berufsakademie mit Praxisphasen in einem Unternehmen.

Will man nicht gleich nach der Schule mit einer Ausbildung beginnen, kann man ein Gap Year einlegen. Damit lassen sich Wartesemester bis zum Wunschstudium sinnvoll überbrücken, denn das Gap Year ist im Grunde kein "Lückenjahr". Programme für "Work and Travel" sind eine Möglichkeit, das Gap Year zu gestalten, also zum Beispiel Landwirten bei der Ernte helfen, als Surflehrer arbeiten, sich in Nationalparks oder für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) engagieren. Dabei geht es weniger darum, Geld zu verdienen, als Menschen kennenzulernen, selbständig zu werden oder eine Sprache zu erlernen. Je weiter weg, umso größer ist mitunter das Abenteuer: Beliebte Ziele sind Australien, Neuseeland, Lateinamerika oder Nordamerika. Manche schaffen es, sich schon während Schulzeit, circa ein Jahr vor Beginn des Gap Years, um die Organisation zu kümmern. Doch nicht jeder ist so selbständig, und die frühzeitige Suche nach möglichen Arbeitgebern, das Beschaffen einer Arbeitserlaubnis, eines Visums, einer Auslandskrankenversicherung und passender Flüge ist nicht jedermanns Sache. Deshalb gibt es mittlerweile zahlreiche Organisationen, die sich um diese Angelegenheiten kümmern und sich das aber auch teuer bezahlen lassen.

Für die USA und Kanada kann diese professionelle Hilfe wichtig sein, weil die Visaformalitäten sehr kompliziert sind. Bei "Work and Travel" in Südamerika, Asien oder Afrika ist die Einreise mit dem Touristenvisum häufig einfacher, allerdings werden viele Freiwilligenprojekte von Anbietern koordiniert, bei denen man sich rechtzeitig anmelden muss. Leichter sind solche Programme in Australien oder in Neuseeland sowie in Europa zu organisieren.

Keine Lust, im Seminar zu sitzen? Dann wären das freiwillige soziale und ökologische Jahr Optionen

"Wenn das, was junge Menschen während des Gap Years tun, der Persönlichkeitsentwicklung dient, ist das sehr sinnvoll. Nur Party zu machen, ist nicht besonders zielführend. Doch Erfahrungen durch Praktika, im Bundesfreiwilligendienst, mit Work and Travel, im Sprachunterricht und fachlich vorbereitenden Kursen oder als Au-pair sind eine Be- reicherung", sagt Berufsberaterin Struss. "Werden die jungen Menschen dadurch mutiger, selbständiger, offener oder ist der Aufenthalt in einem anderen Land mit dem Lernen einer neuen Sprache verbunden, ist das von Vorteil", stellt sie fest.

Beliebt sind nach wie vor Au-pair-Stellen im Ausland. Dabei leben die Abiturientinnen - es gibt nur wenige junge Männer, die als Au-pairs im Einsatz sind - in einer Gastfamilie und kümmern sich um deren Kinder und den Haushalt. Da es immer wieder zu Konflikten mit der Gastfamilie kommt, wie viele freie Abende oder Urlaub man als Au-pair hat oder wie viel Geld man bekommt, sollte man diese Frage vorab in Zusammenarbeit mit einem professionellen Anbieter klären. Deutsche Au-pair-Agenturen haben das RAL-Gütezeichen entwickelt, das für hohe Qualitätsstandards sorgen soll, und dabei helfen kann, seriöse Vermittler zu identifizieren.

Abiturienten, die sich für den Umweltschutz einsetzen wollen, können ein freiwilliges ökologisches Jahr (FÖJ) machen. Währenddessen arbeitet man sechs bis zwölf Monate in Natur- und Umweltschutzorganisationen. Ähnlich strukturiert ist das freiwillige soziale Jahr (FSJ). Dort kann man beispielsweise im Krankenhaus, im ambulanten Pflege- oder Sozialdienst, in Kindergärten, Kulturvereinen oder Jugendclubs arbeiten.

Einige entscheiden sich für den freiwilligen Wehrdienst, der bis zu 23 Monate dauern kann. Was sie daran reizt: Der Bundeswehr liegt viel daran, junge Leute für eine Karriere in verschiedenen Bereichen zu gewinnen - sie bietet viele Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten.

© SZ vom 13.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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