Wachsende Nachfrage:Da ist viel Musik drin

Lesezeit: 3 min

Von eigenen Auftritten allein können Bandmitglieder meist nicht leben. Im Pop-Studium lernen sie auch, wie man Konzerte für andere organisiert. (Foto: imago)

Für Pop-Studiengänge gibt es deutlich mehr Bewerber als Plätze. Die Ausbildung vermittelt auch Fachwissen für das Management von Bands und das Organisieren von Konzerten.

Von Joachim Göres

Mick Jagger oder Phil Collins haben nicht Pop- oder Rockmusik studiert, die haben sie einfach gemacht. Wenn Hochschulen eine Ausbildung zum Popmusiker anbieten, dann müssen wir uns fragen: "Wen bilden wir wofür aus?" Benjamin Köthe, Professor an der Popmusikabteilung der Musikhochschule Rostock, liefert seine Antwort gleich hinterher: "Die meisten Absolventen werden alleine von ihrer Musik nicht leben können. Daher ist es wichtig, dass sie das Rüstzeug bekommen, später an Musikschulen unterrichten zu können, und zwar populäre wie klassische Musik."

Die Musikhochschule Rostock nimmt jedes Jahr fünf von 50 Bewerbern auf. "Bei den Eignungsprüfungen wächst die Qualität", freut sich Köthe. Im acht Semester dauernden Bachelorstudiengang "Pop- und Weltmusik mit Klassik instrumental und vokal" wird dann jeweils zur Hälfte Pop und Klassik in Praxis und Theorie unterrichtet. "Die präzisen Anforderungen der klassischen Musik können für künftige Popmusiker nur von Vorteil sein", sagt Köthe.

Ganz andere Ziele verfolgt man am Institut für Musik an der Uni Oldenburg - dort werden in erster Linie Lehrer ausgebildet, für die die Popmusik wichtiger Teil ihres Studiums ist. "Uns geht es nicht darum, perfekte Musiker auszubilden. Unsere Studierenden müssen später Schüler begleiten können und in der Lage sein, Stücke, zum Beispiel für Bläserklassen, so zu arrangieren, dass sowohl bessere als auch schlechtere Spieler zum Zuge kommen", sagt Professorin Susanne Binas-Preisendörfer. Sie kennt die Probleme in der Praxis: "Bei den Referendaren wird in den Studienseminaren der traditionelle Musikkanon abgefragt, und wer sich bei uns auf populäre Musik konzentriert hat, muss viel nacharbeiten."

"Wir können Kreativität nicht erfinden, aber wir können sie beschleunigen"

Musiktheorie, Musikgeschichte, Gehörbildung, Musikvermittlung, Instrumental- und Gesangspraxis - bleibt bei dem vollen Stundenplan des Bachelorstudiums noch Platz für Kreativität? "Wer Musik auf Lehramt studiert, der hat schon viele Vorgaben, für die anderen Studenten ist es lockerer. Meine Aufgabe als Dozent ist es, ihren musikalischen Horizont zu erweitern und sie zum Songschreiben zu inspirieren", sagt Michel van Dyke, der am Institut für Jazz/Rock/Pop der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH) unter anderem im Bachelorstudiengang Popular Music Popkomposition unterrichtet. Er ist ohne Studium zum Musiker geworden. "Bei mir ist viel Zeit vergangen, bis ich Musiker getroffen habe, von denen ich in der Praxis lernen konnte. Bei guten Professoren können Studierende heute schneller ans Ziel kommen", ist van Dyke überzeugt. In Hannover kommen auf jährlich zehn freie Plätze 150 bis 200 Bewerber.

"Wir können Kreativität nicht erfinden, aber wir können sie beschleunigen", sagt Udo Dahmen, künstlerischer Direktor der staatlichen Popakademie Mannheim. Für die 70 freien Plätze in den drei Bachelorstudiengängen Popmusikdesign, Musikbusiness und Weltmusik gibt es jährlich 600 Bewerbungen, von 180 Bewerbern für die Masterstudiengänge Populäre Musik und Music Creative Industries werden jedes Jahr 35 Interessenten ausgewählt. 150 oft namhafte Dozenten aus der Praxis arbeiten intensiv mit den Studierenden, die jeweils in zwei Hochschulbands aktiv sein und ihre Fortschritte ständig vor Publikum unter Beweis stellen müssen. Wer sich auf das Popbusiness spezialisiert, arbeitet in mehreren Projekten, in denen unter anderem Bands gemanagt und Konzertreihen organisiert werden. Vier Studios, zwei Konzertsäle, acht Probestudios, ein eigenes Label sowie eine eigene Agentur nur für die Vermittlung der Studenten - schon an der Hochschule werden die Weichen für die spätere Karriere gestellt. "80 Prozent der Absolventen im Musikbusiness bekommen später eine feste Anstellung. Im Studiengang Popmusikdesign können später 90 Prozent im musikalischen Bereich auskömmlich leben", sagt Dahmen. Dazu zählen Absolventen wie die Songschreiber Tim Bendzko und Joris.

An einigen Hochschulen steht Popmusik noch immer im Schatten der Klassik

In Mannheim wurde die Popakademie vor zwölf Jahren als eigenständige Lehreinrichtung gegründet, um der weitverbreiteten Dominanz der Klassik an den Musikhochschulen zu begegnen. Für den künstlerischen Direktor Dahmen der richtige Weg: "Wir beobachten die Musikszene permanent und können auf Veränderungen schnell reagieren, indem wir das Curriculum anpassen. Vor zwei Jahren haben wir zum Beispiel den Bereich elektronische Hardcoremusik eingeführt. In einer traditionellen Musikhochschule wäre das kurzfristig viel schwieriger."

Die Vorherrschaft der Klassik bestätigt HMTMH-Präsidentin Susanne Rode-Breymann: "Bei uns ist die Klassik in der Villa im Hauptgebäude, später kamen Jazz und Pop dazu, für die dann Dienstbotengebäude zur Verfügung gestellt wurden. Das ist symptomatisch. Die populäre Musik muss mehr ins Zentrum der Ausbildung rücken, denn sie ist genauso wichtig wie die klassische Tradition." Bernd Ruf, Professor für Popularmusik an der Musikhochschule Lübeck, ergänzt: "Bei vielen Kollegen in Lübeck steht Pop für schlichte Musik und Kommerz, womit man an einer Hochschule, die die Elite ausbildet, nichts zu tun haben will." Nicht nur in Hannover und Lübeck zeichnet sich aber auch ein Wandel ab: Wer mit einem Studium der Musikwissenschaft beginnt, legt heute wesentlich häufiger als früher seinen Schwerpunkt auf Jazz oder Pop, auch wenn die Klassik noch von den meisten Studierenden gewählt wird.

Studenten der Popmusik unterscheiden sich nach Ansicht von Experten übrigens in ihrer Herkunft nicht von denen der klassischen Musik. "Auch die meisten Popstudierenden kommen aus der Mittelschicht, spielen zu Studienbeginn seit mehr als zehn Jahren ihr Instrument und haben bereits einen Kleinwagen in ihre bisherige Ausbildung und ihr Equipment investiert", sagt Andreas Lehmann, Professor für Systematische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik Würzburg. Ob sich das finanziell auszahlt? Laut Künstlersozialkasse verdienen freiberufliche Berufsmusiker zu Beginn ihrer Laufbahn 9500 Euro - im Jahr!

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: