Vielfältige Ausbildungsstile:Disziplin einüben oder Kontakte knüpfen?

Lesezeit: 3 min

In ausländischen Internaten wird anders gelehrt als in Deutschland. Eltern sollten die Unterschiede kennen.

Von Christine Demmer

"Können Sie uns ein Internat in England empfehlen?" Wenn Eltern diese Frage stellen, weiß Alexandra von Bülow-Steinbeis, dass sie jetzt auf das Kind achten muss. Folgt es mit Interesse dem Beratungsgespräch oder starrt es Löcher in die Luft? "Es bringt nichts, ein Kind gegen seinen Willen nach England zu schicken", erklärt Bülow. Sie ist gelernte Lehrerin und kennt sich auch mit Psychologie aus. Eltern, deren Nachwuchs bei jedem Telefonat darum fleht, nach Hause zurückkommen zu dürfen, werden der Internatsberaterin kaum ein gutes Zeugnis ausstellen.

Schüler des Eton College auf dem Gelände der traditionsreichen Bildungsstätte. Knapp 20 spätere britische Premierminister wurden dort ausgebildet. (Foto: Christopher Furlong/Getty Images)

Englische Internate genießen den Ruf, großen Wert auf Fairness und Teamgeist zu legen

Im Vereinigten Königreich gibt es fast zehn Mal so viele Internate wie in Deutschland. In den meisten Schätzungen ist von 250 bis 350 Internaten in der Bundesrepublik die Rede. Bislang gibt es keine genauen Angaben dazu, wie viele Internate es in Deutschland gibt, da sich der Begriff Internat schwer definieren lässt. Denn es gibt zum Beispiel auch Internate ohne Übernachtungsmöglichkeiten. Bülow schätzt, dass momentan etwa 2000 deutsche Kinder und Jugendliche auf den britischen Inseln zur Schule gehen. Aus persönlicher Anschauung kennt sie zwar nicht jedes einzelne Haus. Aber sie kann einschätzen, ob es zu den Erwartungen der Eltern und des Kindes passt. Grundsätzlich ist sie da zuversichtlich. "Kinder finden englische Internate spannend", sagt sie, "und die Eltern schätzen die Disziplin, den Teamgeist und die Fairness, die hier gelebt wird." Bülow hat ein Büro in Oxfordshire, das mittlerweile von ihrem Sohn geleitet wird. Ihre vier Kinder sind in englischen Internaten aufgewachsen, sie selbst in einem Landschulheim in Süddeutschland. "In England wird mehr gelobt als in Deutschland", betont sie. "Die Kinder bekommen jedes Vierteljahr eine schriftliche Beurteilung, in der das Positive herausgestellt wird. Das motiviert ungemein." Wie passt das zu der angeblich so strengen Erziehung in britischen Internaten? "Ja, es herrscht mehr Disziplin als in Deutschland", bestätigt Bülow. "Man mag sich darüber wundern, aber die Kinder finden das gut. Weil es gerecht zugeht."

Nur von außen sieht das englische Internat für Hartmut Ferenschild nach Law and Order aus. "Es ist ein Klischee, dass die Kinder dort mit fester Hand zum Abschluss geführt werden", sagt der Elternberater, der früher für die Vereinigung deutscher Landerziehungsheime und heute für die Schule Schloss Salem tätig ist. "Englische Lehrer wollen vor allem die Lernziele erreichen. Auch nach dem Unterricht nehmen sie sich viel Zeit für ihre Schüler." Der Lehrerberuf stehe in hohem Ansehen, erläutert Ferenschild, und je mehr Kinder die Schule mit Erfolg absolvierten, desto eher steige der Pädagoge in der Schulhierarchie auf. "In Deutschland steht der Lernweg im Vordergrund", beschreibt Ferenschild den Unterschied. "Der Lehrer ist nicht der Vollstreckungsbeamte des Curriculums, sondern versucht mit lernpsychologisch fundiertem Unterricht, das Kind zum Selberlernen zu motivieren." Woher rühren die ungleichen Ansätze? "Wir haben eben ein halbes Jahrhundert Reformpädagogik hinter uns", sagt Ferenschild, "die Briten nicht."

In allen Ländern mit einer Internatskultur gibt es Institute mit sehr gutem, gutem oder weniger gutem Ruf. Wobei man sich davor hüten sollte, diesen Aspekt als einziges Auswahlkriterium heranzuziehen. Denn Kind und Internat müssen zusammenpassen, schreiben alle ernsthaft um Passung bemühten Internatsberater auf ihre Fahnen. Da sämtliche Internate eine Vermittlungsgebühr bezahlen, kann man von einer gewissen Objektivität ausgehen. Insbesondere die Schweiz gilt als geeignetes Land, um Kontakte zum Führungsnachwuchs und Jetset von morgen zu knüpfen. "Der große Vorzug der Schweizer Internate ist die Vielfalt der Abschlüsse, von der Schweizer Matura über das deutsche Abitur und französische Baccalauréat bis hin zu angelsächsischen Abschlüssen wie A-Level und zum amerikanischen Highschool Diploma", sagt Wolfgang Tumulka von der Euro-Internatsberatung in München. "Schweizer Internate haben schon immer Schüler aus aller Welt aufgenommen und gemeinsam ausgebildet." Auch das sportliche Angebot sei sehr groß. Wer sein Kind auf eine US-amerikanische Universität vorbereiten möchte, schickt es gern in die USA oder nach Kanada ins Internat. "Keine Nation versteht es besser als die USA, Kinder positiv zu motivieren und ihre Potenziale auszuschöpfen", betont Tumulka. Sport sei extrem wichtig, "geradezu unausweichlich". Der Grund: Nordamerikanische Hochschulen und Universitäten vergeben Stipendien ebenso gern an gute Turner wie an geniale Tüftler.

© SZ vom 04.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: