Universitäten in den USA:Die Straßengelehrten von New York

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In den USA heuern die Hochschulen immer mehr billige und flexible Lehrbeauftragte an - ordentliche Professuren sparen sie sich.

J. Köhn-Haskins

Das Wort "Adjunct" sticht aus dem Lebenslauf heraus wie ein Stigma. Seit seinem Abschluss vor 20 Jahren an der Harvard-Universität unterrichtet Dr. Alan Trevithick als Lehrbeauftragter in Teilzeit. Er ist ein "Adjunct Professor", wie dies in den USA heißt. Trevithick wird für jeden Kurs, den er erteilt, eigens angeheuert. Es gibt keine Sicherheit auf eine Beschäftigung im nächsten Semester, oft auch keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Damit sich die Lehrbeauftragten nicht für eine Krankenversicherung qualifizieren, dürfen sie vielerorts höchstens zwei Kurse im Semester unterrichten.

Universität Stanford: In den USA gibt es immer weniger reguläre Professoren. (Foto: Foto: AP)

In Deutschland ergeht es vielen Privatdozenten und Lehrbeauftragten ähnlich schlecht, hierzulande glauben aber viele, in den USA sei die Lage für Wissenschaftler besser. Doch um mit den 2400 US-Dollar, die er für einen gesamten Kurs bekommt, über die Runden zu kommen, muss Alan Trevithick derzeit fünf Kurse in Anthropologie und Soziologie an drei verschiedenen Universitäten in New York unterrichten. Dozenten wie er werden deshalb auch als roads scholars bezeichnet - als Straßengelehrte.

Gastdozent nach Bulgarien

Weshalb Alan Trevithick keine feste Professur abbekommen hat, lässt sich schwer sagen. Er wird regelmäßig zu Konferenzen eingeladen, seine Liste von Veröffentlichungen in Fachzeitschriften ist lang. Weil es nach seinem Abschluss keine offene Stelle gab, ging er zunächst als Gastdozent nach Bulgarien. Zurück in den USA, ließ er sich als Adjunct verpflichten - und ist es geblieben: "Was soll ich anderes machen, ich habe ja nichts anderes gelernt."

"Wenn du deinen Doktortitel länger als ein paar Jahre trägst und immer noch keine feste Position hast, denken alle, du bist nicht gut genug", sagt Mark Letteri, der sich schon seit 22 Jahren als freier Dozent herumschlägt; derzeit lehrt er an der Windsor-Universität in Kanada. Dank ihrer Gewerkschaft haben es die Lehrbeauftragten dort, was ihre Bezahlung und den Versicherungsschutz angeht, ein wenig besser als ihre Kollegen in den USA. "Aber es gibt dennoch eine Wand zwischen uns und den Festangestellten. Wir werden geduldet, solange wir wissen, wo unser Platz ist."

Nur ein Gemeinschaftsbüro

Meist hat ein Adjunct Professor, wenn überhaupt, nur ein Gemeinschaftsbüro, keinen eigenen Telefonanschluss und nur begrenzt Zugang zu Computern. "Vollzeit- Professoren bekommen ein Gigabyte Speicherkapazität für ihre E-Mail, Adjuncts nur 100 MB", ärgert sich Arto Artinian, der sich am Lehman College als Dozent für Politikwissenschaft verdingt.

Wörtlich übersetzt bedeutet das Wort "adjunct" Zusatz oder Beigabe. An vielen amerikanischen Hochschulen übersteigt mittlerweile aber die Zahl der Adjunct-Professoren die Zahl der festangestellten Professoren. An den sogenannten Community Colleges, an denen kaum geforscht wird, ist der Anteil mit 70 Prozent am höchsten, an den öffentlichen Hochschulen des Staates und der Stadt New York, an denen zusammen rund 660.000 Studenten eingeschrieben sind, liegt der Anteil bei etwa 50 Prozent. An New Yorks City University (CUNY) wurden Mitte der siebziger Jahre etwa 250.000 Studenten von 11 300 festangestellten Professoren unterrichtet - heute sind es für 226.000 Studenten nur noch 6800 vollwertige Professoren.

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Keine Zeit, keine Energie

"Wenn ich den Studenten erzähle, dass sie im Gegenzug für die steigenden Studiengebühren immer weniger bekommen, schlucken sie", erzählt Antonia Levy, die vor sieben Jahren von Kassel nach New York kam. Die 34-Jährige verdient sich ihren Lebensunterhalt als Lehrbeauftragte für Soziologie. Außerdem setzt sie sich in der Gewerkschaft für die Interessen der Adjunct Professoren ein. Levy hat mitgeholfen, eine eigenen Organisation für sie zu gründen, die CUNY Contingents Unite.

Viele Adjuncts verfügen aber weder über das Geld noch über die Zeit und Energie, um sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen zu können. "Wenn jemand nicht zum Spaß oder aus reinem Idealismus unterrichtet, sondern seinen Lebensunterhalt damit verdienen muss, ist er damit vollauf beschäftigt", sagt eine Gewerkschafterin.

Akademische Freiheit

Dennoch gibt es nun Bestrebungen, die Bewegung auf das gesamte Land auszuweiten. Zu den treibenden Kräften gehören auch einige festangestellte Professoren, wie Peter Brown, der an der staatlichen Universität von New York in New Paltz Deutsch unterrichtet. Er befüchtet, dass die akademische Freiheit darunter leidet, wenn es immer weniger reguläre Professoren gibt, die nicht ums Überleben kämpfen müssen. In seiner Fakultät ist die Zahl der regulären Professoren in den vergangenen Jahren von 30 auf zehn geschrumpft.

Ein Grund für diese Entwicklung ist der Sparkurs an vielen US-Hochschulen. Adjuncts sind nicht nur günstig. "Die Verwaltung mag uns auch, weil wir so flexibel einsetzbar sind", sagt Artinian. Jedes Semester muss er erneut bangen, ob er ausreichend viele Kurse bekommt, um genug zu verdienen. Da seine Frau ebenfalls als Adjunct Professorin arbeitet, ist die Lage für ihn doppelt unsicher. Krankenversichert ist er zwar - aber nur solange er zwei Kurse pro Semester unterrichtet. "Bevor du dich dafür qualifizierst, musst du jedoch ein Jahr lang ohne Krankenversicherung arbeiten. Ich fühle mich sozial und finanziell nicht viel besser gestellt als mein Großvater, der ein Fabrikarbeiter in Bulgarien war."

Rechnet man die Zeiten für die Vorbereitung der Kurse und die Korrektur studentischer Arbeiten mit ein, kommen Adjunct Professoren auf karge Stundenlöhne von weniger als sieben Dollar. Ihr Verdienst liegt damit unter dem gesetzlichen Mindestlohn.

© SZ vom 4.5.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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