Übertrittszeugnisse:Elternwille vs. Kindeswohl

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Beim Wechsel auf weiterführende Schulen liegen die Nerven blank: Eltern fürchten um die Zukunft ihres Kindes und tun alles dafür, ihren Willen durchzusetzen. Doch der muss nicht das Beste für das Kind sein.

C. Burtscheidt

Vorurteile sind Franz Fuchs verhasst. "Bei uns ist noch nie ein Kind gewaltsam daran gehindert worden, die höhere Schule zu besuchen, wenn es geeignet war", verteidigt sich der Grundschulrektor aus dem oberpfälzischen Schmidmühlen. Gerade auf dem Land gehen viel weniger Schüler auf die Realschule oder das Gymnasium als in der Stadt.

Grundschüler: Durchschnitt der Fächer Deutsch, Mathematik, Heimat- und Sachkunde benötigen Schüler für das Gymnasium eine 2,33, für die Realschule eine 2,66. (Foto: Foto: ap)

Ein Mangel, den die bayerische Regierung beheben will - mit einem Übertrittszeugnis für alle Viertklässler, in dem ihnen empfohlen wird, welche Schullaufbahn sie einschlagen sollen. Am Montag haben die 125.000 Schüler der vierten Klassen ihr Übertrittszeugnis erhalten, auch die zwei Dutzend in Schmidmühlen. Erstmals gab es das Empfehlungsschreiben nicht mehr auf Antrag, sondern für alle verpflichtend.

Ausschlaggebend sind allein die Noten

Seit langem beklagen Eltern den "Noten- und Auslesedruck" in der vierten Grundschulklasse. Doch von der neuesten Maßnahme ist kaum einer begeistert: "Das ist nur ein formaler Akt. Dadurch ändert sich das Übertrittsverfahren keinen Deut", kritisiert Thomas Lillig, Vorsitzender der Landeselternvereinigung an bayerischen Gymnasien. "Wir sind enttäuscht, dass der Elternwille nicht freigegeben wurde", meint auch Ulrike Stautner vom Elternverband. In anderen Bundesländern können Eltern längst selbst entscheiden, auf welche Schule ihr Kind geht.

Das verpflichtende Übertrittszeugnis ist Teil einer Reform, die Druck aus dem letzten Grundschuljahr nehmen soll. Dort entscheidet sich, welche weiterführende Schulart Kinder anschließend besuchen dürfen. Ausschlaggebend sind allein die Noten: Im Durchschnitt der Fächer Deutsch, Mathematik, Heimat- und Sachkunde benötigen Schüler für das Gymnasium eine 2,33, für die Realschule eine 2,66.

"Desinteressierte Eltern"

Immer mehr Eltern zweifeln aber die Aussagekraft von Noten an und wollen mehr Chancen für ihre Kinder. Bislang wechseln in Bayern 38 Prozent der Grundschüler ans Gymnasium, 24 Prozent an die Realschule. Zehn Prozent mehr könnten es sein, würden die Eltern es nur zulassen, heißt es im Kultusministerium. Offenbar herrscht zwischen Schule und Elternhaus oft ein Informationsmangel.

Die Folgen haben Jugendliche aus sozial benachteiligten Schichten zu tragen. Dass es laut bayerischem Bildungsbericht nur sieben Prozent Migrantenkinder zum Abitur schaffen, liegt auch an "desinteressierten Eltern" wie der Nürnberger Grundschulleiter Hans-Jürgen Hartwig meint.

Auf der nächsten Seite: Warum gerade die Mittelschicht auf dem Land die Mittlere Reife dem Abitur vorzieht.

Sprachförderung ausländischer Kinder

Ungleich sind auch die Chancen zwischen Stadt und Land. So treten in wohlhabenden, wirtschaftsstarken Regionen wie Oberbayern bis zu 50 Prozent der Viertklässler ans Gymnasium über, in strukturschwachen wie der Oberpfalz oder Niederbayern sind es hingegen nur 20 Prozent. Gerade die Mittelschicht auf dem Land zieht die Mittlere Reife dem Abitur vor. Dabei zeigt Pisa: Bayerns Realschüler können es locker mit den Gymnasiasten in anderen Bundesländern aufnehmen.

Das Potential hofft nun Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) besser auszuschöpfen. Ein Übertrittszeugnis für alle sei sinnvoll, sagt der Vorsitzende des Realschullehrerverbands, Anton Huber; schon weil nun kein Schüler mehr diskriminiert werde. Dass sich dadurch aber Übertrittsquoten steigern ließen, scheint eher zweifelhaft.

Wer dies anstrebe, der müsse in die Sprachförderung ausländischer Kinder investieren, sagt der Nürnberger Rektor Hartwig. Aus Sicht seines oberpfälzischen Kollegen Fuchs wirkt sich das Grundschulzeugnis sogar negativ aus. So rechnet er mit Fehlentscheidungen zu Lasten der Kinder: "Da werden Eltern doch falsche Hoffnungen gemacht." Kritik übt auch der bayerische Lehrerverband. "Das Leistungspotential lässt sich nicht durch ein Zeugnis steigern", sagt BLLV-Chef Klaus Wenzel. Wie die Landtags-Opposition fordert er eine längere gemeinsame Schulzeit.

© SZ vom 5.5.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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