Studium der Tiermedizin:Auf den Hund gekommen

Lesezeit: 4 min

Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Tiermedizin wollen viele studieren, obwohl das Studium als schwer gilt, und junge Ärzte schlecht verdienen.

Von Annika Brohm

Wenn Elisa Garand von ihrem Studium erzählt, wird sie häufig beneidet: "Ach schön, man macht so viel mit Tieren", hört sie dann immer wieder. Oder auch, dass sie später sicher viel Geld verdienen werde. Die 21-Jährige studiert Veterinärmedizin an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Ein Kindheitstraum, erzählt sie. Von der Vorstellung, rund um die Uhr Tiere retten zu können, ist der Alltag der Studierenden jedoch weit entfernt: Das Studium der Tiermedizin ist dicht getaktet und verschult, die Leistungsanforderungen sind hoch. Mehr als dreißig Prüfungen müssen die Studierenden bis zum Staatsexamen bestehen. "Die Stressbelastung ist extrem", sagt Kerstin Fey, Studiendekanin des Fachbereichs Veterinärmedizin in Gießen. Wer Prüfungsangst hat oder unter hohem Druck nicht lernen kann, solle sich deshalb gut überlegen, "ob er sich das antun will".

Tiermedizin zählt zu den kräftezehrendsten Studiengängen in Deutschland. Das ergab zumindest eine Untersuchung der Krankenkasse AOK aus dem Jahr 2016. Demnach empfinden etwa zwei Drittel der Befragten im Studium hohen bis sehr hohen Stress. Das Interesse an der Disziplin ist dennoch groß: Bundesweit stehen circa 1000 Studienplätze zur Verfügung. Auf jeden von ihnen kommen laut Fey vier bis sechs Bewerber. Außer in Gießen haben Aspiranten Chancen an der Freien Universität Berlin, der Universität Leipzig und der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Die Tierärztliche Hochschule in Hannover hat sich sogar auf den Studiengang spezialisiert. Man kann dort aber auch Animal Biology and Biomedical Sciences und Biologie studieren. Außerdem bietet die Tierärztliche Hochschule in Kooperation mit der Fakultät für Agrarwissenschaften Göttingen und der Deutschen Reiterlichen Vereinigung den Master-of-Science-Studiengang Pferdewissenschaften an.

Für die Hochschulen ist die Tiermedizin ein besonders kostenintensives Fach: Ein angehender Veterinärmediziner kostet Universitäten dem Statistischen Bundesamt zufolge knapp 19 000 Euro - teurer ist nur die Humanmedizin. Dementsprechend hoch sei auch die Verantwortung, das Studium diszipliniert durchzuziehen, sagt Kerstin Fey: "Mehr als 70 Prozent unserer Studierenden schließen in der Regelstudienzeit von elf Semestern ab, trotz der gedrängten Leistung. Und es ist nicht so, dass wir lasche Prüfungen hätten."

Wer an einer der Hochschulen angenommen wird, sollte sich deshalb auf fünfeinhalb fordernde Lehrjahre einstellen. Der Fokus der Ausbildung liegt auf der Theorie, Tiere sehen die Studierenden in den ersten Semestern nur selten. Stattdessen stehen im ersten Studienabschnitt Grundlagenfächer wie Chemie, Physik und Zoologie auf dem Stundenplan. In der zweiten Phase des Studiums folgen klinische Themen, unter anderem Fleischhygiene, Tierernährung und Radiologie. Um dennoch praktische Erfahrungen zu sammeln, hilft die Gießener Studentin Elisa Garand hin und wieder in der Uniklinik aus. Dann unterstützt sie die Tierärzte, indem sie etwa Lämmer füttert oder Fohlen bei Transfusionen betreut - freiwillig und unentgeltlich. Für einen weiteren Nebenjob sei neben dem Studium keine Zeit.

In der Lebensmittel- und der Pharma-Branche winken Tierärzten hohe Gehälter

Und auch nach dem Examen bleibt die finanzielle Situation der jungen Veterinärmediziner häufig angespannt: Das Einkommen angestellter Tierärzte ist eines der niedrigsten innerhalb aller akademischen Berufe. Einer Studie zufolge verdienen angestellte Tierärzte in den ersten drei Berufsjahren durchschnittlich 30 000 Euro brutto pro Jahr. Die Studie ist im März 2017 in der Berliner und Münchener Tierärztlichen Wochenschrift erschienen.

"Die Gehälter sind unterirdisch", sagt Christian Wunderlich, 31. Um die Arbeitsbedingungen in der Branche zu verbessern, hat er gemeinsam mit seiner Kollegin Leonie Wolters vor zwei Jahren den Bund angestellter Tierärzte gegründet. Der Veterinärmediziner aus Hannover spricht von teils "prekären Verhältnissen", von Arbeitszeiten bis zu 80 Stunden in der Woche und Einstiegsgehältern, die unter dem Mindestlohn liegen. Wunderlich hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, einen Tarifvertrag auszuhandeln - denn den gibt es in der Branche derzeit noch nicht. Die Suche nach einem Verhandlungspartner sei jedoch schwierig, sagt er: "Aktuell sperren sich die alteingesessenen Arbeitgeber dagegen."

Denn auch diese stehen unter finanziellem Druck: Die Konkurrenz unter den praktizierenden Tierärzten sei groß, erzählt Wunderlich. Ebenso die Angst, Kunden zu verlieren. Preisabsprachen bei Stammtischen seien deshalb nicht ungewöhnlich. "Man kann davon ausgehen, dass danach mindestens ein Kollege weniger abrechnen wird, um Kunden zu gewinnen", sagt der Veterinärmediziner. Den Schritt in die Selbständigkeit scheuen junge Tierärzte seiner Einschätzung nach sehr, Praxisinhaber finden nur schwer Nachfolger. Gleichzeitig beobachtet er, dass immer mehr kommerzielle Klinikketten entstehen, etwa im Kleintierbereich. Wunderlich wertet diese Entwicklungen als Zeichen dafür, dass sich die Branche wandelt. Viele Absolventen seien nicht mehr dazu bereit, unter den gegebenen Bedingungen zu arbeiten. "Die machen dann etwas ganz anderes", sagt Wunderlich, "oder sie gehen in die Industrie, in die Forschung, aufs Amt."

Es dürfte vor allem die Aussicht auf bessere Gehälter und geregelte Arbeitszeiten sein, die junge Tierärzte in diese Bereiche lockt. In der Pharma- oder Lebensmittelindustrie etwa können Tiermediziner nach Angaben des Portals "Beruf Tierarzt" als Einstiegsgehalt bis zu 5500 Euro brutto verdienen. Für Konzerne planen sie die Markteinführung von Produkten, begleiten Feldstudien oder organisieren den Vertrieb von Arzneimitteln für Mensch oder Tier. Manche entscheiden sich für das öffentliche Veterinärwesen: Die Beamten kontrollieren die Produktion von Lebensmitteln, bekämpfen Seuchen und stellen sicher, dass Tiere in Heimen oder Zuchtbetrieben artgerecht gehalten werden. Arbeitsmöglichkeiten gibt es auch im Zoo oder bei der Bundeswehr - dort behandeln Tierärzte etwa Diensthunde und Pferde. Für Wunderlich sind es eben diese vielfältigen Perspektiven, die den Beruf reizvoll machen: "Als Tierarzt ist man Internist, Chirurg und Anästhesist", sagt er, "man hat ein sehr breites Wissen und dementsprechend sehr viele Möglichkeiten, den Tieren zu helfen."

Auch die angehende Veterinärmedizinerin Elisa Garand ist sich sicher, dass sie mit diesem Studium die richtige Wahl getroffen hat. Das Fach studiere man ohnehin nicht, um später viel Geld zu verdienen, sagt sie. Und fügt hinzu: "Ich gehe in dem Studium auf, trotz der Belastung." Fragt man sie nach den schönsten Erfahrungen, die sie bisher sammeln konnte, erzählt sie von der Arbeit in der Uniklinik. Im Frühjahr, wenn die Fohlensaison der Pferde beginnt und die Stuten Nachwuchs bekommen, darf die Studentin hin und wieder bei einer Geburt assistieren. "Wenn man miterleben kann, wie neues Leben entsteht, dann ist das sehr faszinierend", sagt sie. Solche Momente seien die Mühen des Studiums allemal wert.

© SZ vom 11.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: