Sprachunterricht:Babylon im Klassenzimmer

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Spanisch in der Schule boomt: Verunsicherte Eltern wollen ihren Kindern Geschäftskontakte mit Madrid ermöglichen. Doch die haben ganz andere Gründe, sich für die Sprache zu entscheiden: Sie heißen Kuba oder Teneriffa, Salsa oder Shakira.

Johan Schloemann

Würde es den Wirtschaftskontakten, die Angela Merkel gerade in Lateinamerika anzubahnen hilft, entscheidend nützen, wenn mehr Deutsche in der Schule Spanisch lernten? Wohl kaum. Die Wirtschaftseliten, die dort aufeinander treffen, tauschen sich über Investitionen und Absatzmärkte ohnehin auf Englisch aus. Und für den Manager, der für seine deutsche Firma, im Export oder in der verarbeitenden Industrie, nach Mexiko oder Chile geht, reicht es herkömmlicherweise aus, einen Crash-Kurs in Spanisch zu besuchen, um dann recht bald ganz gut klarzukommen.

Einmal mit sexy Shakira sprechen - das ist einer der Gründe für Schüler, die Fremdsprache Spanisch zu lernen. (Foto: Foto: dpa)

Ganz anders aber klingt es in Deutschlands Schulen. Die Eltern, die ihre Kinder in diesen Wochen für die weiterführenden Schulen anmelden, die Lehrer und ihre Verbände, die in Aulen und Turnhallen Werbeveranstaltungen für ihr Fach abhalten: sie beschwören das magische Wort der Globalisierung. Um wirtschaftlich bestehen zu können, heißt es, müssten die Kleinen diese große Weltsprache möglichst früh lernen, um sich keine Chancen zu verbauen.

250.000 Schüler lernen schon Spanisch

Der Sog des Spanischen ist gewaltig. 1990 hatten es knapp über 40.000 Schüler in Deutschland als Fach. Inzwischen ist daraus eine Viertelmillion geworden. Das Globalisierungsargument ist dabei nichts als ein Lockvogel für die Eltern der verunsicherten Mittelschichten. Es dient der Selbstvergewisserung, dass man im Zuge des Nützlichkeitszwangs, dem der Jobmotor namens Bildung unterliegt, etwas Sinnvolles für das Kind tue. Die Kinder hingegen haben ganz andere Gründe, sich für Spanisch auszusprechen. Sie heißen Kuba oder Teneriffa, Salsa oder Shakira. Spanisch ist cooler und leichter als Französisch, finden sie. Und der Spanischlehrer ist auch viel jünger. Denn wer als 12-Jähriger sagt, er kümmere sich um seine berufliche Zukunft, der lügt in den meisten Fällen.

Begonnen hatte Spanisch als Modeerscheinung, also außerhalb der Romanistik, in den studentischen Milieus und den Volkshochschulen. Die dortigen Interessenten bewegen sich zwischen dem Inka Trail und dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela, zwischen Backpackern und Flamenco-Kurs, und sie sehen gern Filme wie "Amores Perros" oder "Buena Vista Social Club". Auch als zusätzliches Oberstufenfach in besonders gut sortierten Gymnasien hat es Spanisch gelegentlich gegeben, neben Italienisch, Hebräisch oder Russisch. Und gegen all dies ist natürlich nichts zu sagen: Es gibt kaum ein besseres Hobby, als eine neue Sprache zu lernen, es ist gut, sich auf Reisen verständigen zu können, und interessierte Schüler, die ihre Sprachvielfalt erweitern wollen, gehören unterstützt.

Spielerisches Lernen in der Grundschule

Doch was derzeit passiert, ist etwas ganz anderes. Spanisch erfasst die unteren Stufen: als dritte Fremdsprache von der 8.Klasse an, zunehmend auch als zweite (ab 6. Klasse), ja sogar, so etwa an einem Hamburger Gymnasium, als erste Fremdsprache in der 5. Klasse. Hier und da sickert Spanisch auch schon in das berüchtigte "spielerische Lernen" in der Grundschule ein.

Was soll dieser Unfug? Spanisch, das Idiom, in dem der Grundroman Europas verfasst ist, ist eine schöne und wichtige Sprache. Es wäre ein Gewinn, sie zu beherrschen, was auch für Hindi, Arabisch, Suaheli, Chinesisch und Russisch gilt. Trotzdem wäre es falsch, aus kultureller Mode oder aus Globalisierungsangst eine dieser Sprachen zur ersten oder zweiten Anfangssprache in unseren Schulen zu machen und so langfristig das Französische zu verdrängen. Gewiss, der Disney-Sarkozy und die brennenden Vorstädte üben vielleicht gerade nicht den größten Reiz aus, die Sprache von Voltaire und Marcel Proust zu lernen. Aber vor die Forderung, sie vom Spanischen nicht ersetzen, sondern nur später ergänzen zu lassen, hätten wir hiermit gerne ein beherztes umgekehrtes Ausrufezeichen gesetzt.

© SZ vom 17.5.2008/sam - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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