Sprachstereotype:"Eine nette Idee ist kein genialer Einfall"

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Die Sprachforscherin Elisabeth Wehling von der Universität Berkeley über weibliche und männliche Adjektive - und wie sie die Karriere beeinflussen.

Interview von Sigrid Rautenberg

Elisabeth Wehling lehrt als Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin an der Universität Berkeley in Kalifornien. Dort leitet sie Forschungsprojekte zu Ideologie, Sprache und unbewusster Meinungsbildung.

SZ: Hat Sie jemand schon mal als "zu nett" bezeichnet?

Elisabeth Wehling: Ja, meine Mutter. Sie bezog sich darauf, dass ich in jungen Jahren oft anderen mehr Raum zugestanden habe als mir selbst. Und sie hatte nicht unrecht. Die ersten Jahre als Studentin in Berkeley waren ein Crashkurs in diplomatischer Durchsetzungskraft. Ich lernte viel darüber, wie man als Frau eine kräftige Stimme für sich beansprucht. Ich strich Zurückhaltung aus meinem Vokabular. Beispiel: "Ich würde gerne kurz anmerken, dass Ihr Papier die aktuelle Gehirnforschung falsch auszulegen scheint" wurde zu "Ihr Papier legt die aktuelle Gehirnforschung falsch aus, und zwar an folgenden Stellen".

Ihr Kernthema ist die politische Sprache. Bekannt wurden Sie durch Ihr Buch "Politisches Framing". Sie analysieren darin, wie Begriffe wie "Steueroase" oder "Flüchtlingswelle" auf unser Denken einwirken. Welche Schublade öffnet sich bei dem Wort "nett"?

Das Wort "nett" bezeichnet zwar zunächst eine positive Eigenschaft, allerdings macht es schon im alltäglichen Sprachgebrauch oft nicht viel her. Eine nette Idee ist kein genialer Einfall. Ein nettes Dinner war kein wunderbarer Abend. Eine nette Unterhaltung ist kein inspirierender Austausch. Wenn wir das Wort "nett" benutzen, um etwas wirklich Schönes zu benennen, schießen wir noch was dazu: Die Kollegin ist total nett, das Interview mit der Süddeutschen Zeitung war wirklich sehr nett. Darüber hinaus wird "nett" oft als Synonym für harmlos genutzt: Der Hund ist nett, der beißt nicht. Und nicht zuletzt meinen wir mit "nett" oft einen Mangel an Durchsetzungskraft: Ein netter Versuch, zum Beispiel, ist ein zum Scheitern verurteilter Versuch.

Warum sind viele ursprünglich positive Begriffe negativ besetzt?

Positive Begriffe können sich durch ihre Verwendung in der Alltagssprache ins Negative drehen. Überhaupt kommt es immer auf den Kontext an, denn Sprache erhält ihre Bedeutung durch die mit ihr einhergehende soziale Interaktion. Wenn ich zu einem Freund sage: "Du bist aber lieb!", drücke ich Freude und Dank aus. Wenn ich zu einem Kind sage: "Sei jetzt lieb!", dann meine ich mit "lieb" den Gehorsam gegenüber der elterlichen Autorität.

"Die ist lieb und nett" - warum wird die Kollegin damit eher diskreditiert und wohl keine Chefin werden?

Weil "lieb und nett" hier synonym steht für Konfliktscheue und eben oft auch Gehorsam gegenüber Autoritäten. Konfliktscheue Persönlichkeiten - in der Sozialpsychologie spricht man von einem hohen Grad an "agreeableness", also dem Bedürfnis, anderen zuzustimmen - eignen sich tatsächlich nicht für Führungspositionen. Sie tendieren dazu, Konflikten aus dem Weg zu gehen, statt sie zu managen. Aber natürlich bleibt die Frage: Ist die Kollegin wirklich "lieb und nett" oder ist sie vielleicht einfach freundlich und zugewandt, aber zugleich bestimmt. Dann wäre sie nämlich eine hervorragende Chefin, denn eine zugewandte Natur hilft ungemein dabei, eine Gruppe von Menschen zu managen und zum Erfolg zu führen.

Gibt es "männliche" und "weibliche" Adjektive? Wenn ja: Wie beeinflussen diese die Wahrnehmung und damit die Karriere einer Person im Unternehmen?

Das ist eine spannende Frage. Es gibt Adjektive, die sich auf männliche oder weibliche soziale Rollen beziehen. Ein "väterlicher" Chef ist ein Mann, der mit dem schützenden Habitus einer Vaterfigur auftritt. Oft ist eine besondere Autorität mitgedacht, ein väterliches Besserwissen, das an die nächste Generation im Unternehmen weitergegeben wird. Eine "mütterliche" Chefin hingegen ist eine Frau, die sich besonders fürsorgend und emphatisch kümmert, bei der man auch einmal schwach sein darf. Die Adjektive speisen sich also aus stereotypen Geschlechterrollen in der Familie. Anderes Beispiel: Ein "jungenhaftes" Auftreten eines Kollegen impliziert eher überschwänglichen Tatendrang, ein "mädchenhaftes" Auftreten einer Kollegin eher zögerliche Unbedarftheit. Ganz generell legen Adjektive oft den Blick frei auf stereotype Denkmuster.

Kann man überhaupt zu nett sein?

Nettigkeit und Verbindlichkeit sind enorme Stärken, die ungemein zum sozialen Erfolg beitragen, im Beruf und anderswo im Leben. Aber Nettigkeit kann eben auch aus einer Schwäche heraus entstehen, nämlich der Unfähigkeit, Konflikte auszuhalten. Das bedingt oft soziale Misserfolge, auch im Beruf, weil man nicht für seine eigenen Interessen sorgt.

© SZ vom 21.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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