Spracherkennung:Das Gerät übernimmt

Lesezeit: 4 min

Virtuelle Assistenten wie Siri, Alexa oder Cortana sollen in Zukunft noch besser kommunizieren können - und es sich sogar selbst beibringen. Wird das zu einer Bedrohung für den Arbeitsplatz?

Von Tobias Hanraths /dpa

Ein schmuckloses Gerät, eine schnelle Frage und eine mehr oder weniger hilfreiche Antwort: Was virtuelle Assistenten wie Siri, Alexa, Bixby und Cortana tun, wirkt auf den ersten Blick zwar nicht sehr spektakulär. Doch damit das einfach so klappt, war jede Menge Arbeit nötig. Und die Entwicklung von Spracherkennungssystemen geht weiter. Für manche Berufe könnte sich durch die digitalen Assistenten einiges ändern.

"Wir haben die Systeme mit Hunderten Stunden von Sprachdaten trainiert, in verschiedenen Dialekten, von über tausend Sprechern aus ganz Deutschland", sagt Professor Wolfgang Wahlster, Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI). "80 000 Dialogbeiträge haben Wissenschaftler massenhaft per Hand transkribiert, Millionen hat das gekostet." Die Grundlagenarbeit des DFKI bei der Erkennung von sogenannter Spontansprache bildete die Basis für die ersten kommerziellen Dolmetschsysteme auf Smartphones.

Spracherkennung war nicht das Einzige, was Menschen der künstlichen Intelligenz erst mühsam beibringen mussten. Denn noch unterhalten sich Nutzer nicht wirklich mit Siri oder Cortana. Stattdessen sind Fragen und Kommandos von Menschenhand fest mit bestimmten Funktionen verknüpft - dem Kalender oder der Wetter-App zum Beispiel. Deshalb sind die Möglichkeiten der Assistenten auch noch sehr eingeschränkt.

Doch in Zukunft könnten sie sich neues Wissen auch selbst beibringen. Experten sprechen dabei von maschinellem Lernen. "Das ist im Grunde, wie wenn Sie Italienisch lernen", sagt Wahlster. "Erst brauchen Sie einen menschlichen Lehrer für die Grundbegriffe. Später können Sie dann auch einfach nach Italien fahren und durch zahlreiche Gespräche mit Italienern selbst lernen und Ihre Sprachkenntnisse rasch perfektionieren."

Grundlage des maschinellen Lernens sind riesige Datenmassen, die eine künstliche Intelligenz selbständig aufbereitet und analysiert. Die daraus abgeleiteten Funktionen könnten mittel- bis langfristig viel komplexer sein als heute. Statt "Wie wird das Wetter?" könnte die Frage also "Welche Versicherung lohnt sich für mich?" lauten.

Mit echtem maschinellen Lernen würden so nicht nur die Trainer von Siri oder Cortana überflüssig. Langfristig könnten die Assistenten auch andere Arbeitsmärkte aufmischen. "Ich kann mir gut vorstellen, dass es solche Assistenten in Zukunft auch bei Bürotätigkeiten gibt, die zum Beispiel Routine-E-Mails sortieren und sogar beantworten", sagt Lucia Falkenberg, Personalexpertin beim Verband der Internetwirtschaft Eco. In Fabriken gilt der Roboter längst als Schreckgespenst, das dem Menschen erst die Arbeit und schließlich den ganzen Arbeitsplatz wegnimmt. Wären Alexa und Co. damit im Büro das, was der Roboter in der Fabrik ist?

"Siri, was steht an?" Meist sind es simple Fragen, die virtuelle Assistenten ebenso simpel beantworten. Doch bald lernen Spracherkennungssysteme dazu. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die Antwort darauf lautet: Ja und Nein. "Reine Routinejobs sind durch den Siegeszug der künstlichen Intelligenz tatsächlich gefährdet", sagt Wahlster. "Was wegfällt, sind Stellen einfacher Sachbearbeiter, also wenn Menschen den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzen und Daten in Computer eingeben oder digitale Daten nach einfachen Regeln weiterverarbeiten." Arbeitnehmer in stark regulierten Arbeitsabläufen mit sich oft wiederholender geistiger Arbeit müssen sich langfristig sogar mehr Gedanken um ihren Arbeitsplatz machen als Fabrikarbeiter, erwartet Wahlster. Denn deren körperliche Arbeit und praktische Erfahrung kann ein Roboter nicht komplett ersetzen.

Von solchen Umwälzungen könnten große Krankenversicherungen oder Banken betroffen sein, aber auch kleinere Arbeitgeber wie Anwalts- oder Steuerberaterbüros. Ein Experte für diese Branche ist Klaus Schmidt, Head of Tax Technology & Transformation bei der Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers (PwC). Probleme sieht er vor allem beim Modell der sogenannten Shared Service Center: Dienstleistern mit oft billigen menschlichen Arbeitskräften für Routineaufgaben. "Die sind mit der Digitalisierung in Zukunft vermutlich teilweise ersetzbar", sagt Schmidt.

In der Anwaltskanzlei oder beim Steuerberater selbst befürchtet er aber keinen Kahlschlag durch virtuelle Assistenten. Im Idealfall könnte das Arbeiten sogar angenehmer werden: "Selbst heute geht noch sehr viel Zeit dafür drauf, Daten zu sammeln und aufzubereiten. Das ist jetzt für viele nicht der spannendste Teil des Jobs, die meisten würden sich freuen, wenn sie mehr Zeit für die kreative Arbeit hätten."

So könnte es auch im Journalismus laufen. Erste Versuche für das vollautomatisierte Produzieren und Verteilen von Nachrichten mit Hilfe von künstlicher Intelligenz gibt es bereits. Ganze Redaktionen voller Robo-Redakteure kann sich Wolfgang Wahlster aber nicht vorstellen: Was Bots heute schon gut können, sei die Aggregation von Nachrichten, "aber das ist ja nicht der eigentliche Qualitätsjournalismus", sagt der DFKI-Leiter. "Da geht es zum Beispiel ums kritische Hinterfragen von Quellen und die Einordnung in größere Zusammenhänge. Das können die heutigen Bots nicht."

Der große Arbeitsplatz-Killer werden virtuelle Assistenten aber wohl schon deshalb nicht, weil das maschinelle Lernen noch eher Vision als Wirklichkeit ist. Mit zahlreichen offenen Fragen, wie Informatikprofessor Wahlster erklärt: Damit es funktioniert, brauchen die Maschinen heute noch Unmengen von Trainingsdaten - die es aber nicht immer gibt.

Zudem sind Maschinen im Gegensatz zu Menschen nicht vergesslich. Und das muss kein Vorteil sein. "Wenn die Maschinen einmal aus fehlerhaften Trainingsdaten etwas Falsches neu hinzugelernt haben, bekommen wir das heute nicht mehr aus den neuronalen Netzen heraus und müssen noch mal ganz von vorne lernen", erläutert Wahlster.

Ob sich solche Probleme jemals lösen lassen, ist unklar. Und so vernichtet künstliche Intelligenz am Ende vielleicht keine Arbeitsplätze, sondern schafft sogar neue Jobs - zum Beispiel in der Position des Assistenten-Dolmetschers beim Steuerberater. Denn um die neuen Technologien nutzen zu können, muss man sie verstehen können: "Deshalb brauchen wir auch die entsprechenden Fachkräfte, die wir Tax Technologists nennen", erklärt Branchenexperte Klaus Schmidt.

"Ideal sind für uns Leute, die beide Welten kennen und entsprechend übersetzen können", sagt Schmidt und träumt vom programmierenden Steuerberater. Mint-Fachkräfte können künftig - vom Programmierer bis zum Datenanalyst - also auch in Kanzleien, Redaktionen oder bei Versicherungen anheuern. Und wären noch begehrter als ohnehin schon. Bleibt nur eine Frage: "Alexa, was tun gegen den Fachkräftemangel?"

© SZ vom 23.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: