Sprachanalyse:Was ins Schema passt

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Markus Wolf. (Foto: Privat)

Forscher werten die Chats von psychisch kranken Menschen aus, um damit therapeutische Prozesse zu verbessern. Ein Psychologe erklärt, wie.

Interview von Miriam Hoffmeyer

Der Psychologe Markus Wolf forscht an der Universität Zürich über Möglichkeiten, E-Mails und Chats psychisch kranker Menschen mithilfe automatischer Sprachanalyse auszuwerten. Die Ergebnisse könnten als Basis dienen, um therapeutische Prozesse besser zu verstehen und die Versorgung zu verbessern. Wolf hält die Fehlerquote der Sprachanalyse per Computer noch für zu hoch, um die Ergebnisse sinnvoll auf Einzelpersonen anzuwenden.

SZ: Dass Computer die Chats psychisch kranker Menschen durchleuchten, ist unheimlich. Wie kam es dazu?

Markus Wolf: Seit etwa zehn Jahren gibt es Versuche, moderne Kommunikationstechnik in der Psychotherapie zu nutzen, um die Versorgung zu verbessern. So können psychisch Kranke, die nach einem stationären Aufenthalt nach Hause zurückgekehrt sind, leichter den Kontakt zu ihrem Therapeuten halten und sich auch mit anderen Betroffenen austauschen. Das hat sich gut bewährt. Aus den Projekten ist der Gedanke entstanden, diesen riesigen verborgenen Datenschatz für die Forschung zu nutzen. Dazu haben wir ein automatisches Sprachanalyseprogramm weiterentwickelt.

Was sagt die Ethik-Kommission Ihrer Universität dazu?

Deren Einverständnis ist bei derartigen Studien natürlich die Voraussetzung. Die Teilnehmer haben ausdrücklich der Auswertung zugestimmt, alle Daten werden anonymisiert und nur für die Forschung genutzt. Ein anderes Vorgehen wäre nicht erlaubt - und ich würde das auch nicht wollen. Wir versuchen, allgemeingültige Muster aus den Texten herauszufiltern. Das Programm misst zum Beispiel, wie häufig positive Wörter wie schön, lustig oder froh verwendet werden. Unser Ziel sind Handreichungen, die Psychotherapeuten dabei helfen sollen, den Erfolg ihrer Therapien besser einzuschätzen.

Wie gut funktioniert die automatische Sprachanalyse, wenn man sie auf Einzelpersonen anwendet, etwa bei der Personalauswahl?

Die heutigen Systeme können definierte Merkmale relativ sicher erkennen. Sie sind aber nur so gut wie die Datensätze, die ihnen zugrunde liegen. Wenn man viele unterschiedliche Merkmale herausfiltern möchte, braucht man einen riesigen Satz an Referenzdaten. Wie Menschen Sprache verwenden, hängt beispielsweise auch von Geschlecht und Alter ab. Die Sprachprobe eines jungen Mannes sollte also nur mit Daten verglichen werden, die von jungen Männern gewonnen wurden. Wenn man so vorgeht, werden Datensätze schnell zu klein für aussagekräftige Ergebnisse.

Das Rauschen in der Statistik ist noch zu stark?

Ja. Das ist aber ein Problem, das sich letztlich über Quantität lösen lässt. Ein qualitatives Problem sehe ich darin, dass Computerprogramme sehr konservativ sind. Wenn ein Unternehmen neue Manager sucht und als Datensatz Sprachproben von Managern verwendet, die schon dort arbeiten, dann bekommt es Leute, die ins Schema passen. Dann können Innovation und Kreativität übersehen werden, die Dynamik fehlt.

Wählen menschliche Personaler nicht meistens genau so aus?

Doch, schon! Aber der Computer täuscht eine absolute Objektivität vor, die so nicht gegeben ist. Und außerdem gibt es bei menschlichen Entscheidungen Denksprünge, eine Kreativität, die künstliche Intelligenz vielleicht nie erreichen wird.

Wie sehen Sie die Zukunft der automatischen Sprachanalyse?

In der Computerlinguistik ist viel in Bewegung. Forschergruppen arbeiten daran, alle verfügbaren Datenquellen anzuzapfen. Wer es schafft, Marktführer zu werden und die ungeheuren Datenmengen im Internet auszuwerten, kann sehr einflussreich werden. Dabei schaffen innovative Unternehmen oft Fakten, die von der Forschung nur mühsam wieder einzuholen sind. Das kann man kritisch sehen. Denn es besteht das Risiko, dass neue Entwicklungen losgelassen werden, bevor wir sie richtig verstanden haben.

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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