Sozialforscherin:Entlasten, nicht ersetzen

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Viele Einrichtungen sind auf Freiwillige angewiesen. Verhindert das die Entstehung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze?

Interview von miriam hoffmeyer

Freiwilligendienste stärken nicht nur die Helfer selbst und die Einrichtungen, in denen sie arbeiten, sondern die ganze Gesellschaft, sagt die Sozialwissenschaftlerin Susanne Huth. Sie leitet das Frankfurter Forschungs- und Planungsinstitut Inbas-Sozialforschung, das den Bundesfreiwilligendienst und die Jugendfreiwilligendienste evaluiert hat.

SZ: Könnten Kindergärten, Krankenhäuser, Altenheime und Behinderteneinrichtungen ohne die rund 100 000 Helfer aus den Freiwilligendiensten überhaupt zurechtkommen?

Susanne Huth: Im sozialen Bereich übernehmen die Freiwilligen meist betreuende, pflegerische und hauswirtschaftliche Tätigkeiten - die ergänzen die Arbeit der hauptamtlichen Mitarbeiter. Ohne die Freiwilligen würden die Einrichtungen zwar weiter funktionieren, aber viele Angebote würde es so nicht mehr geben. Außerdem würde eine große Bereicherung für die Teams wegfallen. Aus unserer Befragung wissen wir, dass durch die Freiwilligen mehr Vielfalt und Offenheit in die Einrichtungen kommt, weil sie Fragen stellen und andere Sichtweisen mitbringen.

Die Gewerkschaften kritisieren, dass die Dienste die Entstehung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze verhindern würden.

Reguläre Arbeit darf nicht verdrängt werden, die Freiwilligen dürfen Festangestellte nur entlasten, nicht ersetzen. Laut Gesetz sollen sie praktische Hilfstätigkeiten leisten. Gleichwohl stellen sie Ansprüche an ihre Aufgaben, sie wollen eine abwechslungsreiche Tätigkeit mit direktem Kontakt zu Menschen. Da gibt es natürlich Grauzonen, wenn Freiwillige ähnliche oder sogar die gleichen Tätigkeiten verrichten wie Hauptamtliche. Wichtig ist, dass der Charakter als Bildungs- und Orientierungsdienst im Vordergrund steht und die Freiwilligen nicht alleinverantwortlich Regelaufgaben übernehmen.

In den sozialen Berufen fehlen Fachkräfte. Können die Dienste dazu beitragen, dem Mangel abzuhelfen?

Mittelfristig helfen die Dienste den Einrichtungen bei der Nachwuchsgewinnung, denn viele Freiwillige gehen danach ja in einen sozialen oder medizinischen Beruf. Meistens sind das allerdings akademische Berufe, denn von den jüngeren Freiwilligen haben zwei Drittel Abitur. An dem Fachkräftemangel in der Kranken- und Altenpflege ändern die Dienste deshalb nicht so viel.

Schon das Freiwillige Soziale Jahr wurde seit seinen Anfängen vor allem von Töchtern aus gutem Hause geleistet. Sind die Dienste immer noch eher etwas für die höheren Schichten?

Dass man es sich leistet, ein Jahr Auszeit zu nehmen, ist in Kreisen mit höherem Bildungsniveau eher üblich. Diese Kreise messen so einer Auszeit auch einen höheren Wert für die persönliche und berufliche Entwicklung bei. Andere Bevölkerungsgruppen sehen das eher als vergeudete Zeit. Es wäre wichtig, mehr junge Leute mit mittlerem Abschluss und mit Hauptschulabschluss zu gewinnen. Man müsste in den Schulen früher ansetzen und den Wert der Freiwilligenarbeit besser vermitteln, besonders den Eltern.

Ist das freiwillige Engagement eigentlich mit dem Ende des Dienstes vorbei?

Die Älteren engagieren sich danach häufiger als die Jüngeren, denn die konzentrieren sich erst einmal darauf, beruflich Fuß zu fassen. Später engagieren auch sie sich aber wieder mehr. Wir empfehlen den Einrichtungen und Verbänden deshalb, den Kontakt zu ihren ehemaligen Freiwilligen zu halten. Das Schöne an den Diensten ist, dass sie Menschen in Bereiche bringen, mit denen sie sonst nicht in Berührung kämen. Selbst wenn sie später beruflich etwas ganz anderes machen, wirken diese Impulse weiter und stärken den Zusammenhalt der Gesellschaft.

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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