SEO:Ganz oben

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Suchmaschinenoptimierer bringen ihre Kunden auf den Trefferlisten von Google & Co. nach vorne. Noch immer haftet dem Beruf der Ruch des Unseriösen an.

Von Markus Hensel

Im Büro von Seokratie riecht es noch nach frischer Farbe. Die junge Firma ist erst vor Kurzem in den Neubau in München-Neuhausen gezogen. Die Zimmer sind groß und modern eingerichtet, ein Hauch von Silicon Valley. Es gibt einen Entspannungsraum mit Tischkicker, Flachbildschirm und Spielekonsolen. An den Wänden hängen Fotos der Mitarbeiter, die sich gerne verkleiden: mal mit Sonnenbrille und Tarnumhang als Spezialagenten, mal mit Werwolf- oder Einhorn-Maske als Fantasy-Charaktere. Seokratie ist eine Agentur, die sich auf Suchmaschinenoptimierung, kurz SEO, spezialisiert hat.

SEO ist eine Wachstumsbranche. Wer im Internet sichtbar sein möchte, muss sich mit SEO beschäftigen. Ziel ist es dabei, Suchmaschinen zu manipulieren, um in den Trefferlisten ganz oben zu stehen. Wer im Internet ein Paar Schuhe kaufen oder einen Urlaub buchen möchte, steuert meistens nicht direkt einen Onlineshop an, sondern sucht mit Google oder anderen Rechercheprogrammen nach günstigen Angeboten. Dem Anbieter, der ganz oben in der Trefferliste erscheint, schenken die potenziellen Kunden am meisten Aufmerksamkeit. Laut einer Umfrage unter mehr als 650 deutschen Handelsunternehmen nutzten schon im Jahr 2013 mehr als 80 Prozent der Firmen SEO als Online-Marketing-Instrument oder hatten den Einsatz zumindest fest geplant.

Wie man Google so manipuliert, dass die eigene Seite besonders oft angeklickt wird - diese Frage faszinierte Julian Dziki schon als Student. Der 30-jährige Jungunternehmer ist der Gründer von Seokratie, dabei hat er eigentlich Geschichte und Archäologie studiert. 2006 kam er auf die Idee, seine beiden Interessen zu verbinden und programmierte einen Onlineshop für T-Shirts mit lateinischen Sprüchen. "Es faszinierte mich, Webseiten zu bauen", sagt Dziki. "Geld habe ich aber damals nicht verdient, weil sich fast niemand auf meinen Onlineshop verirrt hat." Also suchte er nach einer Möglichkeit, seine Seite bekannter zu machen.

In der Agentur Seokratie arbeiten viele Quereinsteiger. Die meisten haben Geisteswissenschaften studiert wie Gründer Julian Dziki (erste Reihe, rechts). (Foto: Privat)

Die Lösung hieß SEO. Mehr als ein Jahr lang stöberte er in Blogs, programmierte, experimentierte herum. Zunächst zahlte sich die Mühe nicht aus. Anfang 2008 lag sein Stundenlohn bei ungefähr zwei Cent, erzählt er. "Doch ich wusste schon damals: SEO ist mein Traumberuf." SEO - so nennen sich die Suchmaschinenoptimierer auch selbst.

Dziki gründete die Agentur, sein erster Kunde war ein Onlineshop-Betreiber. Der zahlte 250 Euro im Monat, dafür verzehnfachte Dziki den Gewinn des Shops. Das sprach sich herum. Bis 2011 betrieb Dziki die Firma vom Keller seines Elternhauses aus, dann zog er in ein Zentrum für Start-ups und jetzt in das eigene Büro. In dieser Zeit wuchs die Firma stetig, heute beschäftigt sie 20 Mitarbeiter.

So wie die Münchner Agentur ist auch die gesamte Branche im stetigen Umbruch. Noch vor ein paar Jahren arbeiteten SEOs nicht mit, sondern gegen Google. Mit dem sogenannten Linkbuilding versuchten sie, ihre Webseiten als besonders wichtig erscheinen zu lassen. Damals waren die Suchmaschinen-Algorithmen noch so programmiert, dass sie solche Seiten als gut bewerteten, die von anderen Webseiten besonders oft verlinkt wurden. Wer ein paar Euro investierte, konnte sich Links kaufen und Google so vorgaukeln, dass seine Webseite sehr beliebt sei.

Noch heute setzen einige SEO-Agenturen auf Linkbuilding. Dziki hält solche Tricksereien für unseriös: "Gekaufte Links sind wie Steroide: Man kann damit zwar in kurzer Zeit einen beachtlichen Erfolg erzielen, aber langfristig bringt das gar nichts." Google hat seine Algorithmen in den vergangenen Jahren so weiterentwickelt, dass sie echte von gekauften Links relativ zuverlässig unterscheiden können. Wer auf seiner Webseite keine interessanten Inhalte zu bieten hat, wird deshalb langfristig abgestraft. Trotzdem haftet der Branche bis heute ein schlechter Ruf an. Mit Trickserien und Manipulation wollen Unternehmen nichts zu tun haben, aus Angst, es könne ihrem Image schaden. Auch auf der Webseite von Seokratie stehen keine Kundenreferenzen. Obwohl fast jeder SEO nutzt, will es keiner zugeben.

Um ihren Ruf zu verbessern, präsentieren sich SEO-Agenturen mittlerweile als moderne Marketing-Unternehmen. Tatsächlich muss man heute kein Programmierer mehr sein, um ein guter SEO zu werden - großes Interesse für Internettrends und ein gutes Sprachgefühl genügen. Früher musste man noch den Programmiercode einer Webseite verändern, um sie zu optimieren, heute geht es hauptsächlich um den Inhalt.

Mit besonderen Programmen kann ein SEO herausfinden, nach welchen Begriffen Internetnutzer häufig suchen. Diese Schlüsselwörter baut er in seine Texte ein, besonders an markanten Stellen wie der Überschrift. Bei Seokratie arbeiten die meisten Mitarbeiter als Online-Redakteure. Sie produzieren Texte und andere Inhalte für ihre Kunden, und die lassen sich diesen Service einiges kosten. Das günstigste Paket kostet 3000 Euro pro Monat.

Nicht alle SEOs arbeiten für Agenturen. Manche sind direkt bei großen Firmen angestellt. Besonders Onlinehändler leisten sich eigene Suchmaschinenoptimierer, da es für sie besonders wichtig ist, bei Google weit vorne gelistet zu sein. Die Branche wird immer professioneller: In einigen Informatik-Studiengängen ist Suchmaschinenoptimierung bereits auf dem Lehrplan gelandet. Längst beginnen SEO-Karrieren nicht mehr zwangsläufig im Keller der Eltern, viele starten als Praktikant oder Trainee in einer Agentur.

Doch bis heute gibt es in der Branche viele Quereinsteiger, Leute wie Silja Troll. Die 33-jährige hat Finnougristik studiert und wollte nach dem Studium eigentlich an der Universität bleiben. Weil sie dort keine Aussichten auf einen guten Job hatte, orientierte sie sich um: Sie machte erst eine Mediatoren-Ausbildung, arbeitete dann im Personalmarketing und landete schließlich bei Seokratie. "Ich war damals viel im Internet unterwegs", sagt sie, "und Schreiben hat mir viel Spaß gemacht."

Die SEO-Branche ist schnelllebig. Andauernd verändert Google seine Algorithmen, programmiert seine Suchmaschine so um, dass die bewährten Methoden der SEOs unwirksam werden. Die müssen sich deshalb ständig neue Wege ausdenken, um Google zu manipulieren. Wer sich nicht anpasst, wird schnell abgehängt. Einen Teil ihrer Arbeitszeit verbringt Troll deshalb mit dem Lesen von Blogs, um sich über die neuesten Entwicklungen zu informieren.

Suchmaschinenoptierung ist bis heute vor allem ein Handwerk. Die Zeit, in der Nerds nächtelang vor ihren Computern hockten und tüftelten, um die Suchmaschinenbetreiber immer wieder aufs Neue zu überlisten, ist zwar vorbei. Doch trotzdem muss ein guter SEO kreativ sein, er muss Spaß haben am spielerischen Umgang mit Technik und Sprache. "Und", sagt Silja Troll, "ein wenig Leidenschaft gehört auch dazu."

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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